Lernen mit Virtual-Reality-Brille: "Echter als gedacht"

Ob beim Kuppeln von Waggons oder bei medizinischen Anwendungen – viele Arbeitsschritte werden Azubis oder Studenten heutzutage mit VR-Brillen vermittelt.

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Lernen mit Virtual-Reality-Brille: "Echter als gedacht"

(Bild: Deutsche Bahn)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jörn Perske
  • Christian Schultz
  • dpa
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Die Digitaltechnik macht's möglich: Stephan Schmöle soll üben, Güterwaggons aneinander zu kuppeln. Normalerweise müsste sich der 29 Jahre alte Neueinsteiger bei der Deutschen Bahn aufs Gleis begeben. Doch dieser Weg ist überflüssig. Stattdessen setzt Schmöle im neu eröffneten Trainingszentrum der Bahn in Fulda eine Virtual-Reality-Brille auf und nimmt zwei Controller in die Hand, mit denen er das Geschehen steuert. Sein Lernbegleiter Christian Dorn von DB Training startet am Computer das Szenario und verfolgt am Bildschirm jeden seiner Handgriffe in der virtuellen Welt.

Der Einsatz von VR-Brillen ist nicht nur im Bereich der Unterhaltungsmedien, vor allem in der Gaming-Szene, ein Riesenthema. Auch in der Aus- und Weiterbildung werden sie vermehrt eingesetzt. "Die Technologie hat großes Zukunftspotenzial und wird sicher in den kommenden Jahren ein immer bedeutenderes Thema", urteilt IT-Fachmann Ludger Schmidt. Der Universitätsprofessor leitet in Kassel das Fachgebiet Mensch-Maschine-Systemtechnik. Doch derzeit befänden sich Anwendungen mit VR-Brillen in der Berufswelt "noch eher am Anfang der Entwicklung".

Die Brillen seien zwar bezahlbar für unter 1000 Euro in höchster Qualität. Aber die am Computer erschaffenen Szenarien der Virtuellen Realität seien noch recht kostspielig. Die Einsatzmöglichkeiten sind Schmidt zufolge vielfältig. Handwerker können virtuell üben oder Fachkräfte im Produktionsbereich angelernt werden.

Die VR-Technik bietet viele Vorteile. Etwa, dass man sich jederzeit virtuell an einen anderen Ort beamen kann. So wie DB-Mitarbeiter Schmöle. Er sieht durch die VR-Brille seine Aufgabe an den Güterwaggons. Nun heißt es: einhacken, ankurbeln, Bremsschläuche verbinden und belüften. Dabei hört er über seine Kopfhörer auch, wie der Luftdruck zischend entweicht. Als er fertig ist und die Brille abgezogen hat, bilanziert er: "Das war echter als gedacht. Es hat sich sehr real angefühlt." Ein Unwohlsein oder gar Übelkeit, wie sie beim VR-Technik-Gebrauch zuweilen auftreten kann, habe er nicht verspürt. "Hat Spaß gemacht."

Christian Dorn, Projekt-Manager für digitale Lernmedien der DB in Frankfurt, sagt: "Der Einsatz von VR-Technik ist ein Bindeglied zwischen Theorie und Praxis. Wir wollen dadurch noch mehr Handlungssicherheit herstellen." In den Trainingszentren kann auch geübt werden, wie Weichen zu stellen sind oder wie die Reparatur eines ICE-Stromabnehmers funktioniert. Das Üben mit VR-Technik kommt für einige Bahn-Berufe infrage, für Fahrdienstleiter, Wagenmeister, Triebfahrzeugführer und Elektroniker der Betriebstechnik.

Seit drei Jahren sammele die Bahn Erfahrungen mit der VR-Technik im Schulungsbetrieb, erklärt Dorn. Nun beginnt eine Technologie-Offensive. Bis Mitte Februar sollen bundesweit 14 Standorte mit mobiler VR-Technik ausgestattet werden, wie Projekt-Manager Dorn erklärte. Im kommenden Jahr sollen einige hundert Mitarbeiter mit VR-Szenarien trainiert werden.

Die VR-Technik ist ein Baustein für ein größeres Projekt. DB-Personalvorstand Martin Seiler sagte dazu vor kurzem laut Mitteilung: "Die DB erhöht gerade ihre Kapazitäten in der Aus- und Weiterbildung massiv." Im Zuge der Zukunftsstrategie "Starke Schiene" will die Bahn in den nächsten Jahren 100.000 Mitarbeiter einstellen. Die wollen auch qualifiziert werden.

Auch in anderen Branchen, Firmen und Anwendungsbereichen werden die Techniken VR und AR (Augmented Reality) mittlerweile rege genutzt. Unternehmen von Weltrang haben sie für sich entdeckt. Siemens nutzt die Technik zur Entwicklung von Automobilbestandteilen, Daimler bei der Brandschutzausbildung und der Industriekonzern Thyssenkrupp bei Wartungsanleitungen. Der Chemie-Riese BASF nutzt VR-Brillen seit vergangenem Jahr in der Chemikanten-Ausbildung. Aber auch in der Medizin, Architektur, in Unterhaltung und Sport ist die Digitaltechnik angekommen.

Die Universität Gießen verweist auf Kurse für Studierende zu rheumatischen und osteologischen Erkrankungen. Die Teilnehmer tragen VR-Brillen und erkunden dabei die gesunde Anatomie und entzündliche Erkrankungen, indem sie virtuelle Rundgänge durch die Knochen machen.

Katharina Rönick, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Arbeitswissenschaft der TU Darmstadt, berichtet von weiteren Anwendungen in der Medizin. Mit VR-Brillen könnten Operationen geübt werden. Auch sie sieht "großes Potenzial" für die Technik. Doch bei einer Studie sei auch herausgekommen, dass es bei längerer Tragezeit zu Belastungen und Augenschmerzen kommen könne. Darüber hätten einige Probanden geklagt. Technik und Tragekomfort seien noch ausbaubar. (mho)