Rückschau 2019: Biotech – Revolution ohne Aufstand

Ob als Baby-Designer mit Genschere, Embryonenbauer oder Erbgut-Wahrsager: Das Jahr 2019 hat gezeigt, dass viele Biotech-Visionen der letzten Jahrzehnte ­allmählich wahr werden. Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann bleibt trotzdem ­erstaunlich gelassen.

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Rückschau 2019: Biotech - Revolution ohne Aufstand

Embryoid aus Stammzellen.

(Bild: University of Michigan)

Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Nike Heinen

TR: Die ersten Crispr-Babys. Schweine-Mensch-Chimären. Mini-Gehirne, deren Nervenzellen ähnliche Signale wie bei einem Fötus feuern, zum ersten Mal ein einfacher Bluttest für Trisomie 21 auf Kassenrezept. All das sind Schlagzeilen nur aus den vergangenen zwölf Monaten. Täuscht der Eindruck, oder nimmt die Veränderung unseres Lebens durch die Gentechnik auch aus Ihrer Sicht rasant Fahrt auf?

Wiesemann: Ja, das stimmt. Wir merken gerade, dass wir am Anfang eines neuen Zeitalters stehen.

Es wirkt, als würden moralische Tabus fallen wie Dominosteine. Nehmen Forscher inzwischen weniger Rücksicht auf Moral?

Zunächst mal liegt diese Häufung von Neuerungen nicht an ­einer veränderten moralischen Einstellung, sondern an der technischen Entwicklung selbst. Einige Biotechnologien sind technisch stark vereinfacht worden. Man muss kein hochgradig spezialisierter Forscher mehr sein, um die menschliche DNA zu verändern. Vor allem, dass das so einfach geworden ist, beschleunigt alles.

Sie wirken erstaunlich gelassen. Haben die Entwicklungen Sie nicht so überrascht?

Ich war nicht wirklich überrascht – schockiert dagegen schon über die Art der Eingriffe. Man ahnte ja spätestens seit 1985, was kommen würde. Damals wurde in der Bundesrepublik der ­Bericht der sogenannten Benda-Kommission veröffentlicht. Es ging um ethische Richtlinien für die künstliche Befruchtung –aber auch um das, was dadurch einmal möglich werden könnte. Damals haben die Kommissionsmitglieder schon jene gentechnologischen Wege angesprochen, die heute beschritten werden. Allerdings hat mich doch ein bisschen bestürzt, wie schnell es letztlich ging.

(rot)