TikTok: Reichweitenbegrenzung für Kritik und Menschen mit Behinderung

Geleakte Richtlinien von TikTok zeigen, wie die Moderatoren die Reichweite von Kritikern und Menschen einschränkten, die sie als Mobbing-gefährdet einstuften.

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TikTok: Reichweitenbegrenzung für Kritik und Menschen mit Behinderung

(Bild: XanderSt/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Simon Koenigsdorff

Moderatoren der Kurzvideo-App TikTok sollten laut internen Regeln Posts in ihrer Reichweite einschränken, wenn diese Kritik am Unternehmen oder Erwähnungen von Konkurrenten enthalten. Auch Inhalte von Nutzern, die TikTok als "hochgradig verwundbar für Cyberbullying" einstuft, wurden einem Bericht zufolge durch Moderatoren eingeschränkt. Dazu zählten offenbar Menschen mit Behinderung, aber auch queere oder übergewichtige Personen.

Darüber berichtet Netzpolitik.org unter Berufung auf geleakte Moderationsregeln sowie eine anonyme Quelle im TikTok-Moderationsteam, nachdem zuvor öffentlich geworden war, dass nach denselben Regeln auch das politisch unerwünschten Inhalten eingeschränkt werden sollten.

Laut den Regeln sind die Moderationsteams im Falle von Inhalten, die TikTok "attackieren, verdammen oder kritisieren", dazu angehalten gewesen, entsprechende Videos als "Not Recommend" zu markieren. Wie auch schon im Fall von politisch unliebsamen Inhalten führte diese Markierung dazu, dass die Videos im automatischen Startseiten-Feed anderer Nutzer nicht mehr zu sehen waren und somit deutlich weniger Reichweite erhielten. Gleiches galt offenbar für Inhalte, die als "Werbung" für Konkurrenten wie Facebook, Instagram, Whatsapp oder Snapchat eingestuft wurden – wofür mutmaßlich schon ein Screenshot ausreichen konnte.

Für Menschen, bei denen es "ausgehend von ihrer physischen oder mentalen Verfassung" wahrscheinlich sei, dass sie Opfer von Online-Mobbing werden könnten, sahen die Regeln vor, die Posts zunächst nur auf das jeweilige Land zu beschränken und nicht international zu zeigen. Als Beispiele führten die Regeln laut den von Netzpolitik.org veröffentlichten Auszügen Videos an, die Menschen mit "entstelltem Gesicht", "Autismus" und "Down-Syndrom" zeigen.

Erreichten diese Videos mehrere zehntausend Aufrufe, sei ihre Reichweite mit einer weiteren Markierung namens "Auto_R" automatisch begrenzt worden – ab einer bestimmten View-Zahl seien sie ebenfalls nicht mehr im Newsfeed aufgetaucht. Eine Liste von etwa 24 deutschen Accounts soll sogar automatisch in der "Auto_R"-Kategorie gelandet sein, darunter Accounts von Menschen, die aktiv über ihr Leben mit Behinderung posten oder sich bewusst als queer oder übergewichtig zeigen.

TikTok gehört zum chinesischen Unternehmen ByteDance und ist als Video- und Karaoke-App vor allem bei jüngeren Nutzern beliebt. In den letzten Monaten war TikTok mehrfach vorgeworfen worden, Inhalte auf der Plattform zu zensieren. Das Unternehmen hatte auf die Vorwürfe hin wiederholt betont, die umfassenden Inhaltskontrollen seien nur in der Anfangszeit der rasant wachsenden Plattform im Einsatz gewesen und bereits vor längerer Zeit ersetzt worden, nachdem man erkannt habe, dass "dies nicht der richtige Ansatz ist."

Im Hinblick auf die Einschränkung von "verwundbaren" Usern erklärte TikTok gegenüber Netzpolitik.org zudem, diese Strategie sei "nie als langfristige Lösung gedacht" gewesen und mit einer "guten Absicht" verfolgt worden. Nach Informationen von Netzpolitik.org waren die zuletzt geleakten Regeln noch mindestens bis September 2019 in Kraft. (siko)