Boeing 737 Max: Neuzulassung verzögert sich weiter

Die US-Luftverkehrsbehörde will sich von Boeing nicht unter Druck setzen lassen, gerät in der Max-Affäre aber selbst stärker in Erklärungsnot.

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Boeing 737 Max der Southwest Airlines geparkt auf dem Southern California Logistics Airport bei Victorville, Dezember 2019

Müssen noch länger auf dem Boden bleiben: Boeing 737 Max der Southwest Airlines, geparkt auf dem Southern California Logistics Airport bei Victorville, Dezember 2019

(Bild: heise online/pbe)

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Das nach zwei Abstürzen mit einem internationalen Startverbot belegte Flugzeug Boeing 737 Max wird nicht wie vom Hersteller erhofft schon bald wieder abheben können. Die Zertifizierung des Flugzeugs mit neuer Software werde sich bis ins Jahr 2020 hinziehen, sagte der Chef der US-Luftfahrtbehörde FAA, Stephen Dickson, dem Sender CNBC. Seine Behörde werde die Wiederzulassung der 737 Max sehr sorgfältig prüfen, Sicherheit habe absolute Priorität. Allerdings steigt nach der Aussage eines ehemaligen Boeing-Ingenieurs im US-Kongress nun auch der Druck auf die Behörde.

Im Verkehrsausschuss des Repräsentantenhauses hat in dieser Woche Ed Pierson ausgesagt, der im Boeing-Werk in Renton für die Produktionsabläufe zuständig war. "Ich habe chaotische Zustände in der Fabrik erlebt", sagte Pierson und belastete Boeing mit seiner Aussage schwer. Hoher Produktionsdruck und übermüdete Arbeitnehmer hätten Sicherheit und Qualität der Produktion beeinflusst. Bereits im Oktober war eine interne Beschwerde über die mangelnde Sicherheitskultur in der Produktion bekannt geworden.

Boeing hatte die Produktionsrate für die stark nachgefragte 737 Max von 47 auf 52 Maschinen im Monat hochgefahren. Dadurch seien die Abläufe aus dem Tritt geraten, sagte Pierson. Er habe sich an seinen Vorgesetzten gewandt, aber ohne Konsequenzen. Nach dem Absturz der Lion-Air-Maschine habe er einen Zusammenhang mit den Produktionsbedingungen vermutet und an Boeing-Chef Dennis Muilenburg sowie den Vorstand geschrieben. Nach dem zweiten Absturz in Äthiopien hatte sich Pierson auch an die FAA gewandt.

FAA-Chef Dickinson musste vor den US-Abgeordneten einräumen, dass die FAA zahlreiche Briefe von Pierson erhalten, die Vorwürfe aber nicht untersucht hatte. Auch hatte die Behörde nach dem Absturz der Lion Air trotz einer internen Analyse, die von einem erhöhten Unfallrisiko des Typs ausging, kein Flugverbot ausgesprochen. Auch sehen sich Boeing und die FAA dem Vorwurf ausgesetzt, zu große Nähe zwischen den Organisationen habe Nachlässigkeiten bei der Zulassung begünstigt.

Der Hersteller hatte zuletzt damit gerechnet, die für die Wiederzulassung des Flugzeugs erforderlichen Testflüge noch im Dezember abschließen zu können. Die anschließend notwendigen Pilotenschulungen hätten dann im Januar ausgearbeitet werden und das Flugzeug wieder in Dienst gehen können. Die FAA reagierte verärgert auf die von Boeing veröffentlichten Pläne und wirft dem Hersteller in einem Schreiben an US-Abgeordnete vor, die Behörde unter Druck setzen zu wollen.

Für Boeing könnte eine weitere Verzögerung der Wiederzulassung schwere Konsequenzen haben. Der Hersteller hatte zuvor gewarnt, dass er die noch laufende Produktion des Flugzeugs weiter drosseln oder sogar einstellen müsse, sollte die Wiederzulassung noch länger dauern. Auch müssen Boeing-Kunden damit rechnen, dass ihre Flugzeuge noch länger auf dem Boden bleiben – und damit wird es für die Airlines langsam kritisch. Sie müssen ihre Flugpläne bis weit ins Jahr 2020 anpassen.

Die betroffenen US-Airlines rechnen bereits aus, was sie das Flugverbot kostet – und stellen Schadensersatzforderungen an den Hersteller. Southwest und American Airlines schätzen ihre Verluste auf zusammen rund eine Milliarde US-Dollar. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass die von American Airlines erlittenen Verluste nicht von unseren Aktionären getragen werden, sondern von Boeings Anteilseignern", sagte American-CEO Doug Parker.

Nachdem zwei neue 737 Max 8 in kurzem Abstand und unter vergleichbaren Umständen verunglückt waren, hatten internationale Aufsichtsbehörden den Flugzeugtyp im März 2019 mit einem weltweiten Startverbot belegt. Bei den Untersuchungen der Abstürze von Lion Air Flug 610 und Ethiopian Airlines 302 hatte sich herausgestellt, dass der fehlerhafte Eingriff eines neuen Systems zur Stabilisierung des Flugverhaltens des Jets ein wesentlicher Faktor war.

Insgesamt sind weltweit rund 400 Boeing 737 Max im Liniendienst von dem Flugverbot betroffen und stillgelegt. Die US-Gesellschaften Southwest und American gehören mit 34 und 24 Maschinen zu den größten Kunden. In Europa sind Norwegian mit 18 Flugzeugen des Typs und TUI mit 15 Maschinen besonders betroffen. Auch Ryanair und Sunexpress, ein Joint Venture von Lufthansa und Turkish Airlines, gehören zu den betroffenen Max-Kunden. (vbr)