Linux-Distributionen: Vom Förderer zum Bremsklotz

Von Haus aus bringen Linux-Distributionen eine Menge Anwendungen mit, aber oft sind diese veraltet. Die Entwickler von Apps und Desktop-Umgebungen haben deshalb über Abhilfen beraten.

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Linux-Distributionen: Vom Förderer zum Bremsklotz

(Bild: Nuritzi Sanchez, LAS2019)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Keywan Tonekaboni
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Zum Linux App Summit in Barcelona trafen sich Gnome- und KDE-Entwickler, um über die Zukunft des Linux-Desktops zu debattieren. Während Linux auf Servern und Kleingeräten nicht mehr wegzudenken ist, fristet es auf Desktop-Systemen trotz jahrelanger Anstrengungen weiter ein Dasein in der Nische. Um daraus auszubrechen, haben Desktop-Entwickler in den letzten Jahren die Bedienung deutlich vereinfacht. Doch anscheinend scheuen weiter viele Nutzer den Wechsel auf Linux, auch weil sie fürchten, liebgewonnene Programme nicht mehr verwenden zu können. Einhellige Meinung der anwesenden Open-Source-Community: App-Entwickler müssten es leichter haben, ihre Programme für Linux anzubieten. Mit mehr Apps würden auch die Nutzer folgen, so die Hoffnung.

Selbst bei bewährten Programmen wie Firefox oder LibreOffice dauert es oft zu lange, bis neue Versionen bei den Anwendern ankommen. Für diverse Teilnehmer des Linux App Summit sind die Distributionen ein Flaschenhals, die Programmentwickler und Nutzer künstlich voneinander trennen. Diese These vertritt beispielsweise Matthias Clasen, der Manager in Red Hats Desktop-Team ist. Er schlägt vor, dass Distributionen nur aus einem stabilen Minimalsystem bestehen sollten. Die Apps könnten Nutzer dann über direkte Kanäle wie Flathub beziehen.

Die Gnome-Entwickler Tobias Bernard und Jordan Petridis würden am liebsten auch ganze Desktop-Umgebungen ohne den Umweg über eine Distribution ausliefern. Dann würden neue Versionen von Gnome oder KDE schneller und unverändert bei den Anwendern ankommen.

In App-Stores wie Flathub bekommen Linux-Anwender neben freier Software auch proprietäre Programme wie Spotify.

Bernard und Petridis sehen inkonsistente Bedienoberflächen als Problem an. Sie warnen davor, von „der Linux-Plattform“ zu sprechen: Im Prinzip sei jede Kombination aus Distribution und grafischer Oberfläche eine eigenständige Plattform. Um die Benutzerfreundlichkeit zu verbessern, plädieren sie dafür, eine Plattform als Gesamtsystem aufzufassen. Als positives Beispiel nennen sie Elementary OS, das eine Desktop-Oberfläche, selbst gepflegte Anwendungen und entsprechende Design-Vorgaben aus einem Guss anbietet. Bernard kritisiert im Gespräch mit c’t Distributionen, die eigensinnig punktuell Programme und Desktop-Oberflächen anpassen. Dies führe zu Irritationen und Fehlern bei Anwendern und deren Frust lande „upstream“ bei den Entwicklern der ursprünglichen Software.

Wenn schon Akteure innerhalb der Open-Source-Community ihre Schwierigkeiten haben, so ist es für außenstehende Entwickler noch undurchsichtiger. Mit harschen Worten beschreibt Owncloud- und Nextcloud-Gründer Frank Karlitschek die aktuelle Situation für externe Entwickler: „We all suck“; frei übersetzt: „Wir (die Open-Source-Community, Anm. d. Red.) habens nicht drauf.“ Bei der Entwicklung des Linux-Desktop-Clients für NextCloud habe er selbst erfahren, wie schwierig so ein Vorhaben bei der Vielzahl der Distributionen und Oberflächen sei.

Es gäbe obendrein kein zentrales Entwicklerportal, wo sich Dokumentation und Software-Developer-Kits finden, während dies bei Apple, Android oder Microsoft üblich sei. Die Programmierschnittstellen (API) seien weder stabil noch über die Desktops oder Distributionen hinweg konsistent. Software über klassische Pakete wie RPM oder DEB zu verteilen sei ein überholter Ansatz, der Distributionen aus den Neunzigerjahren geschuldet sei. „Wenn wir damit beschäftigt sind, miteinander zu konkurrieren, dann schaffen wir es nicht, mit der proprietären Welt zu konkurrieren.“, konstatiert Karlitschek.

Zwar gibt es Freedesktop.org, unter dessen Dach Entwickler diverser Projekte einheitliche Komponenten wie dbus, Flatpak oder Wayland diskutieren und entwickeln. Das hat in den letzten Jahren die Interoperabilität zwischen verschiedenen grafischen Bedienoberflächen wie Gnome und KDEs Plasma-Desktop deutlich verbessert. Karlitschek hält das aber für nicht ausreichend. Die Spezifikationen seien teilweise veraltet und die Informationen nicht sonderlich zugänglich. Deshalb plädierte Robert McQueen für einen Neustart von Freedesktop.org mit zusätzlichen Inhalten, um den Linux-Desktop für externe Entwickler attraktiver zu machen. McQueen ist Mitgründer der Open-Source-Firma Collabora und Vorstandsvorsitzender der Gnome Foundation sowie CEO von Endless OS.

Robert McQueen von der Gnome Foundation stellte in Barcelona Pläne vor, auf Flathub eine Bezahloption anzubieten.

Einen Ansatz, den Entwicklungsprozess zu vereinfachen, bieten die universellen Pakettypen wie Flatpak oder das von Ubuntu-Sponsor Canonical entwickelte Snap. Diese sind unabhängig von den Distributionen und deren Paketverwaltung. Doch auch hier beginnt durch den Zwist zwischen Canonical und den meisten anderen Distributoren eine Fragmentierung. Um dem entgegenzuwirken, haben die Codethink-Entwickler Valentin David und Adam Jones das Freedesktop SDK entwickelt. Damit baut man mithilfe von BuildStream oder Docker automatisch Pakete für Flatpak und Snap in einem Rutsch. Und man kann mit dem SDK Linux-Apps unabhängig von den Gnome- und KDE-Bibliotheken entwickeln. App-Entwickler müssen sich so weder um die Paketformate noch um die von den Nutzern verwendete grafische Oberfläche Gedanken machen.

Robert McQueen stellt in Aussicht, dass es auf Flathub ein Bezahlsystem unter dem Dach der Gnome-Foundation geben soll, mit dem man ausschließlich für freie Software-Apps bezahlen kann, wenn man diese unterstützen will. Der Betrag soll frei wählbar sein. Derzeit kläre man in der Stiftung die rechtlichen und finanziellen Fragen.

Im Gespräch mit der c’t sagte McQueen: „Wir versuchen den am wenigsten kontroversen Ansatz, damit wir einen Schritt vorwärts kommen.“ Angedacht sei eine Bezahlung über den Dienstleister Stripe. Da aber dessen Dienste in vielen Ländern nicht verfügbar sind, müsse man auch weitere Lösungen finden. Flathub-Entwickler Alexander Larsson arbeitet derzeit daran, den Bezahlvorgang serverseitig zu integrieren. Trotzdem sollen freie und kostenpflichtige Pakete weiter redundante Dateien miteinander teilen. Larsson hofft auf eine Umsetzung bis Ende kommenden Jahres.

Bei all diesen Überlegungen wird die Diversität von Linux weiter als Stärke gesehen. Nutzern und Entwicklern den Austausch von aktueller Software zu vereinfachen, steht dieser Vielfalt nicht entgegen. Dabei sollen App-Stores wie Flathub helfen.


Dieser Artikel stammt aus c't 1/2020 (ktn)