Kommentar: Die eigentliche Hinrissigkeit hinter Datteln IV

Ein neues Kohlkraftwerk als Einstieg in den Kohleausstieg klingt seltsam. Doch das zentrale Problem liegt woanders, meint TR-Redakteur Gregor Honsel.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 15 Kommentare lesen
CO2, Kraftwerk, Kohlekraftwerk

(Bild: yotily / shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Auf den ersten Blick erscheint es als größte Hirnrissigkeit der jüngeren deutschen Geschichte, einerseits aus der Kohleverstromung aussteigen zu wollen und andererseits mit Datteln IV ein neues Kohlekraftwerk ans Netz zu lassen. Auf den zweiten Blick ist das allerdings nicht ganz so hirnrissig. Genauer gesagt: Die eigentliche Hirnrissigkeit liegt ganz woanders.

Es beginnt schon mit der Idee, man müsse nur genug Beteiligte in eine Kommission berufen, um nachher einen Kompromiss zu haben, mit dem alle leben können und an den sich alle gebunden fühlen. Das ist sehr bundesrepublikanisch gedacht und nicht unsympathisch. Die Politik kann dabei aber gar nicht gewinnen: Hält sie sich eins zu eins an die Vorgaben der Kommission, fängt sie sich den Vorwurf ein, wichtige Entscheidungen wegdelegiert zu haben. Hält sie sich nicht daran – wozu genau hat sie die Kommission dann überhaupt berufen?

Letzteres scheint der Koalition gerade um die Ohren zu fliegen: Acht ehemalige Kommissionsmitglieder werfen ihr laut Spiegel Wortbruch vor. Doch das eigentliche Politikversagen beginnt schon viel früher, nämlich bei der Definition der Ziele. Was genau sollte die Kommission denn eigentlich erreichen? Eine sozialverträgliche Reduktion der CO2-Emissionen. Worüber hätte man also diskutieren müssen? Über CO2-Emissionen. Worüber wurden aber Beschlüsse gefasst? Über Kraftwerksleistung. Das ist etwas anderes.

Diese Unterscheidung ist keine technische Spitzfindigkeit, sondern hat gravierende Folgen. Sie lassen sich gerade bei der Debatte um Datteln IV beobachten. Natürlich könnte man argumentieren, dass der Block nie hätte gebaut werden sollen, und dass seine Inbetriebnahme eine Provokation sei. Er hat aber nach Angaben des Betreibers Uniper einen Wirkungsgrad von 45 Prozent. Laut Wikipedia sind das immerhin sieben Prozentpunkte über dem Durchschnitt der deutschen Steinkohlekraftwerke. Aus Klimasicht spräche also nichts dagegen, das neue Kraftwerk, wo es nun schon einmal da ist, in Betrieb zu nehmen und dafür ältere, weniger effiziente abzuschalten.

Doch genau hier stellt uns die Fixierung der Kohlekommission auf die Kraftwerksleistung ein Bein. Denn wenn für die gut 1.000 Megawatt in Datteln nun 1.000 Megawatt anderswo vom Netz gehen, sagt das über den CO2-Ausstoß nur wenig aus. Das neue Kraftwerk ist wirtschaftlicher, wäre voraussichtlich besser ausgelastet und würde – in absoluten Zahlen – entsprechend mehr CO2 ausstoßen.

Das Gleiche gilt im Prinzip auch für alle anderen Kohlekraftwerke. Wenn die ersten abgeschaltet werden, laufen die anderen eben mehr. Laut Statista waren Steinkohlekraftwerke 2018 nur zu rund 37 Prozent ausgelastet. Da ist noch viel Luft nach oben.

Das Bundesumweltministerium verspricht zwar gegenüber der taz: "Wir werden im Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes sicherstellen, dass diese Mehremissionen in vollem Umfang ausgeglichen werden." Doch dazu muss es relativ freihändig mit einem weiteren Faktor herumspielen, nämlich mit der Zahl der Volllaststunden verschiedener Kraftwerke, die wiederum vom Börsenstrompreis, Wartungsarbeiten und was weiß ich noch alles abhängen.

Dieses ganze Herumgehampel hätte man sich sparen können, hätte man von vornherein nur über CO2-Budgets oder hilfsweise über feste Reststrommengen geredet statt über Leistung – also über Megawattstunden statt über Megawatt. Die Betreiber könnten dann frei entscheiden, mit welchen Kraftwerken sie ihr restliches Budget aufbrauchen wollen, und kein Mensch hätte Grund, sich darüber aufzuregen, wenn Datteln IV darunter wäre. Beim Kernkraftausstieg hat das ja auch funktioniert. Warum man sich beim Kohleausstieg nicht an der bewährten Logik des Atomausstiegs orientiert hat, ist mir schleierhaft.

Es bleibt die – empirisch wenig begründete – Hoffnung, dass die Regierung, wenn sie die Ergebnisse ihrer eigenen Kommission schon nur als unverbindliche Vorschläge zu betrachten bereit ist, endlich Nägel mit Köpfen macht, den Geburtsfehler der Kohlekommission beseitigt und künftig nur noch über Reststrommengen verhandelt.

(grh)