Vinyl, ein Ökoalbtraum

Langspielplatten sind längst wieder zur Massenware geworden. Doch der hippe Trend hat negative Auswirkungen auf die Umwelt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Vinyl, ein Ökoalbtraum

Klingt hübsch analog, ist aber schlecht für Mutter Natur.

(Bild: Photo by Patrick Perkins on Unsplash)

Lesezeit: 3 Min.
Inhaltsverzeichnis

Plattenspieler waren über Jahre aus den meisten Heimen verbannt. Erst überholte die CD seit ihrer Einführung 1982 mit ihrer futuristischen Laserabtastung die LP aus Vinyl, dann gab die Verbreitung von Musik in Form digitaler Dateien über das Internet den flotten Scheiben scheinbar den Rest.

Doch der Markt hat sich in den letzten Jahren signifikant verändert. Der als natürlicher empfundene Klang, das Erlebnis, die Nadel in die Rille zu setzen und auch ein gehöriges Maß an Nostalgie vieler Millennials und älterer Generationen haben dazu geführt, dass die Langspielplatte eine erstaunliche Renaissance erlebt. In manchen Weltregionen wird mittlerweile mehr Geld für Schallplatten ausgegeben als für CDs. In Großbritannien wachsen die Verkäufe seit über zehn Jahren konstant, in Amerika soll die LP die – natürlich weiter sinkenden – CD-Verkäufe eingeholt haben.

Das Vinyl-Hobby mag modernen Nicht-Hipstern verschroben vorkommen, doch es scheint harmlos zu sein – man schadet damit ja niemandem, heißt es, sondern hilft sogar einer Industrie, die es angesichts der immer geringer werdenden Bereitschaft, für Musik zu bezahlen, sowieso nicht leicht hat. Doch unproblematisch ist die Wiedergeburt der Longplayer aus Kunststoff aus Umweltgesichtspunkten nicht, wie Kyle Devine, Forschungsleiter am Institut für Musikwissenschaften an der Universität Oslo, in einem neuen Buch schreibt.

"Decomposed", erschienen im Verlag MIT Press, versucht, die politische Ökologie der Musik zu beschreiben. Er erwähnt unter anderem die mittlerweile weitläufig bekannte (und von ihm miterforschte) Tatsache, dass Musikstreaming nicht zu einem geringeren CO2-Fußabdruck der Plattenbranche geführt hat – im Gegenteil, sie hat sich verdoppelt.

Ebenfalls breiten Raum eingeräumt wird dem Thema Vinyl. Um Schallplatten zu pressen, werden Kunststoffpellets als Ausgangsmaterial verwendet – hergestellt unter anderem in Thailand, wie Devine bei einem Besuch einer Fabrik in den Vereinigten Staaten feststellte. Einen lokalen Markt für das Rohmaterial gebe es in dem Land kaum mehr, seitdem das LP-Geschäft in den Neunzigerjahren einbrach. Mehr als die Hälfte der für die Schallplatten verwendeten PVC muss auf langen Transportwegen aus Bangkok angeschifft werden, wo der wichtigste Produzent seinen Sitz hat. PVC enthält (auch) krebserregende Bestandteile und Greenpeace hat den Herstellern in Thailand mehrfach vorgeworfen, Abwässer in umliegende Flüsse einzuleiten.

Als in den USA noch eine nennenswerte Vinylproduktion im Land war, gab es ebenfalls regelmäßig Kritik. Die US-Umweltschutzbehörde EPA ging zusammen mit der Bundespolizei FBI gegen einen der größten Hersteller in Kalifornien vor – bereits seit Ende der Siebziger Jahre. Er soll Giftstoffe in die Luft entlassen haben – die auch Mitarbeiter erreichten – und auch bei der Abwasserbehandlung soll es Defizite gegeben haben. Hinzu kommt das Müllproblem bei PVC – der Stoff zerlegt sich in Mikroplastik, das persistente organische Schadstoffe (POPs) wie ein Schwamm aufsaugt und sich dann in Organismen anreichern kann.

Musik sei damit – früher wie heute – Teil des "Petrokapitalismus", wie Devine schreibt. PVC besteht aus Erdölbestandteilen, wie viele andere Kunststoffe. Eine Lösung könnte sein, LPs aus Recyclingmaterial herzustellen. Entsprechende Prozesse existieren längst, zudem muss nicht darauf geachtet werden, dass das Material lebensmittelecht ist. Mehrere Firmen in den Niederlanden arbeiten laut eigenen Angaben an einem Projekt, LPs endlich "grün" zu machen. Solange das nicht geschafft ist, sollten sich Sammler bewusst machen, dass ihr Hobby durchaus einen Umwelteinfluss hat.

(bsc)