Lästermäuler und Tratschtanten braucht jede Firma

In jedem Unternehmen wird getratscht und oft damit Mikropolitik betrieben. Gefährlich wird es, wenn sich jemand so Vorteile verschaffen will

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Lästermäuler und Tratschtanten braucht jede Firma

(Bild: Shutterstock)

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Von
  • Peter Ilg
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"Hast du schon gehört: die Maier hat was mit dem Huber und Müller soll Gruppenleiter in der Entwicklung werden. Wenn das mal gut geht, bei seinen bescheidenen Fachkenntnissen.“ Das ist typischer Gesprächsstoff in der Kaffeeküche von Unternehmen. Dort wird getratscht und gelästert, was das Zeug hält. In Konzernen und Start-ups, über alle Branchen und Themen hinweg. Und das ist gut so! "Miteinander und übereinander reden ist sozialer Kitt, den jede Firma braucht", sagt Tim Hagemann, Professor für Arbeits-, Organisations- und Gesundheitspsychologie an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld. "Es liegt in unserer Natur, dass wir uns austauschen über persönliche Dinge", sagt Hagemann. Deshalb lässt sich der Flurfunk auch nicht abstellen.

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Tratschen tun Menschen um Aufmerksamkeit zu erzielen: ich weiß etwas, was du nicht weißt! Das bringt und hält Kommunikation im Gang. Und häufig wird aus einer Mücke ein Elefant, weil jeder meint, er müsse etwas ausschmücken, um Neues beitragen zu können. Denn keiner will zweimal dasselbe hören. Typische Tratschthemen sind Äußerlichkeiten wie Auftreten und Kleidung oder Eigenheiten und Marotten einer Person. Persönliches Verhalten, das andere beobachten, etwa der Versuch von Huber sich in Meetings super intellektuell zu geben oder Maiers ständige Besserwisserei.

Über andere reden ist per se nicht negativ. Das wird es erst, wenn jemand strategisch vorgeht und der Person mit seinen Äußerungen über sie schadet. Vielleicht um zu verhindern, dass Müller Gruppenleiter wird und er den Aufstieg macht. Indem also Müller bei Kollegen schlecht geredet wird, rückt sich das Lästermaul ins bessere Licht. Andere schlecht machen hat viele Ursachen. Es kann die Vorteilssuche bei einer Beförderung sein, Neid oder Ärger, weil Kontrahenten einen Konflikt miteinander haben. Die Führungskraft sollte aufmerksame Augen und Ohren für Gerede haben.

"Solange es den Unternehmensfrieden nicht stört, muss und sollte sie nicht eingreifen, was ohnehin zwecklos wäre, weil sich Getratsche nicht abstellen lässt“, sagt Hagemann. Der Versuche wäre allein Stoff für ein neues Thema. Mitmachen sollten Vorgesetzte keinesfalls. Wenn sie es doch tun, kippt die Kultur mit der Konsequenz, dass die Unternehmensführung nicht mehr glaubwürdig ist. Aus einigen Projekten in Unternehmen weiß Hagemann, dass, wenn Klatsch und Tratsch in einer Firma zum großen Problem wurde, die Führungskraft mitgemacht oder nicht eingeschritten ist, als es nötig war.

Ebenso problematisch wird es, wenn aus harmlosem Gequatsche bedrohliches Mobbing wird. "Dann muss die leidtragende Person sich unbedingt wehren“, empfiehlt Hagemann. Wenn möglich sollte man auf die mobbende Person zugehen, denn vielleicht ist die sich gar nicht bewußt, was sie anrichtet und es lässt sich vis-à-vis klären. Sollten die beiden im Clinch liegen, geht das natürlich nicht. Dann müssen Dritte eingeschaltet werden: die Führungskraft und Betriebs- oder Personalrat.

"Seit Mobbing öffentlich zum Thema gemacht wurde, ist bekannt, dass es arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen haben kann", sagt Hagemann. Das mildere hartes Klatschen und Tratschen ab. Das verlagert sich teilweise in Social Media, ist ein anderer aktueller Trend der zwischenmenschlichen Kommunikation: "In dieser Form der digitalen Einbahnkommunikation schaukeln sich Themen schnell hoch und Grenzen werden eher überschritten, als wenn man sich gegenüber steht", sagt Hagemann. In dem Fall wählt man seine Worte sorgfältiger als in der verantwortungslosen Anonymität des Internet, die vieles mehr erst möglich macht.

Direkt und digital sind der freien Meinungsäußerung aus dem Grundrecht dann Grenzen gesetzt, wenn Kollegen oder Vorgesetzte beleidigt, der Ruf des Arbeitgebers beschädigt oder falsche Tatsachen verbreitet werden. Das kann zur Abmahnung und im Wiederholungsfall zur fristlosen Kündigung führen.

Warum aber schwätzen wir eigentlich über andere schlecht? "Indem wir andere kleinmachen, erhöhen wir unser Selbstwertgefühl“, sagt Professor Michael Kastner. Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin in Herdecke. Er berät Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen oder Vaillant hinsichtlich Personal- und Organisationsentwicklung und er coacht Führungskräfte in ihrem Verhalten. Daher kommt eine wichtige Erkenntnis die besagt: Je selbstsicherer jemand ist, umso weniger lästert er über andere.

"Gute Leute haben das nicht nötig“, sagt Kastner "und andere schlecht machen ist eine gängige Methode, um seine eigenen Ziele zu erreichen". Eine Gehaltserhöhung oder die Projektleitung. Gerüchte in die Welt zu setzen helfen dabei, dass der zumindest menschlich miesere von Zweien eine bessere Position erreicht. Klatsch und Tratsch fasst Kastner unter den Begriff Mikropolitik zusammen. Mikropolitische Taktiken und Spielchen dienen häufig ganz persönlichen Zielen.

Bleibt allein die naheliegende Frage: Wer tratscht mehr, Mann oder Frau? "Das ist ein ganz heißes Eisen, das sich wissenschaftlich nicht belegen lässt", sagt Kastner. Aufgrund seiner Erfahrung als Berater im Kommunikationsverhalten wagt er die Behauptung, dass Frauen eindeutig klatschsüchtiger sind und belegt das mit wissenschaftlichen Untersuchungen an Affen. Bei unseren nächsten Verwandten ist das Stressverhalten besser untersucht als beim Menschen, auch, wie sie sich nach Konflikten verhalten.

Männliche Affen streiten zwar häufiger und viel heftiger als Weibliche, sie sind aber deutlich versöhnlicher. Das zeigt sich daran, weil sich Männchen kurz nach einem Konflikt gegenseitig lausen. Sie versöhnen sich, um sich vor einem Herzinfarkt zu schützen. Kracht es zwischen zwei Weibchen, bleiben die sich spinnefeind und schimpfen über die Kontrahentin lautstark und tagelang in der Sippe, dass die Schwarte kracht. An Versöhnung ist lange nicht zu denken. Wer nun an dieser Erklärung zweifelt oder sie für richtig hält, hat zumindest ein neues Thema für den nächsten Tratsch in der Teeküche. (axk)