Luftnummer Lilium?

Ein deutsches Vorzeige-Startup mit einem innovativen Elektro-Flugkonzept ist ins Gerede gekommen. Unlösbare technische Herausforderungen scheint es sich jedoch nicht vorgenommen zu haben.

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Luftnummer Lilium?

(Bild: Lilium)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Beide möglichen Darstellungen haben ihren Reiz. Entweder macht ein Team von innovativen Gründern in Bayern gute Fortschritte bei dem Versuch, nach dem Vorbild des Automobil-Disruptors Tesla einen wichtigen Beitrag zur Elektrifizierung des Verkehrssektors zu leisten, und ist auf dem besten Weg, den Markt bald mit einem revolutionären Angebot zu bereichern. Oder die Gründer haben sich zwar viele Millionen Euro Risikokapital gesichert, bauen damit aber nicht viel mehr als Luftschlösser und werden früher oder später zugeben müssen, dass sie sich zumindest verkalkuliert haben.

Die Rede ist von Lilium, einem 2015 in Weßling bei München gegründeten Start-up, das sich nicht weniger vorgenommen hat als einen senkrecht startenden und landenden (VTOL-) Elektro-Multikopter zur Serienreife zu entwickeln und damit Flüge über bis zu 300 Kilometer anzubieten. Dafür wurde es anfangs mit Politiker-Lob und Auszeichnungen überhäuft. In diesem Januar aber veröffentlichte die Fachzeitschrift Aerokurier einen Beitrag mit dem Titel "Liliums Scheinwelt", in dem Experten erhebliche Zweifel an der Machbarkeit der ehrgeizigen Pläne äußerten.

Der Beitrag sorgte für Aufsehen in der Fachwelt, und auch in Publikumsmedien wurde die teils vernichtende Kritik aufgegriffen. Lilium erzeuge mit geschickter PR um sein VTOL-Taxi nichts als eine "Scheinwelt", zitierte zum Beispiel Der Spiegel einen Luftfahrt-Professor. Doch Recherchen von Technology Review zeigen: Die Kritik ist überzogen. Lilium hat sich durchaus viel vorgenommen und bislang wenig Technisches dazu verraten. Physikalisch unmöglich, wie einige Artikel schrieben, ist das Vorhaben der Münchener Jungunternehmer jedoch nicht. Ob es gelingt, dürfte wesentlich von der Weiterentwicklung von Akku-Technologie bis zum geplanten Marktstart 2025 abhängen.

Der kritische Beitrag im Aerokurier basierte auf einer Studie eines anonym gehaltenen Ingenieurs, der berechnet hat, ob und wie die bislang von Lilium veröffentlichten Eckdaten miteinander vereinbar sind. Allerdings sind diese Informationen sehr spärlich: Mehr als die Daten 300 Kilometer Reichweite, 300 Stundenkilometer Flugtempo, 1.500 Kilogramm Gesamtgewicht und 11 Meter Spannweite wurden zunächst nicht veröffentlicht. Diese fügte der Ingenieur in ein Modell ein und kam zu dem Schluss: Das Versprechen von Lilium könne zumindest nach dem bisherigen Konzept zu urteilen "völlig zweifelsfrei als nicht realisierbar entlarvt" gelten.

Das sind harte Worte, denen sich andere Experten im Aerokurier und anderen Medien mehr oder weniger anzuschließen schienen. Das Unternehmen selbst reagierte nicht sehr souverän auf einen Fragenkatalog der Fachzeitschrift zu den neuen Erkenntnissen, ebenso wie das Büro des Promi-Investors Frank Thelen, der mit seiner Gesellschaft Freigeist Capital bei Lilium engagiert ist.

Freigeist gab kaum konkrete Antworten, kritisierte die Fragen aber als teils "unverschämt". Lilium selbst lieferte unter Berufung auf "kommerziell sensible" Details ebenfalls wenig Konkretes, warf aber dafür mit großen Worten wie "hochinnovativ", "250 der weltweit besten Luftfahrtingenieure für unsere Mission" oder "Erfolgsgeschichte für Deutschland" um sich. Als "Fragmente aus dem Baukasten der Lufttaxi-PR" fasste der Aerokurier die Antworten zusammen.

Die offensive, aber inhaltsarme Öffentlichkeitsarbeit kam unter Luftfahrt-Experten, die ernsthaftes Interesse an der Frage der Realisierbarkeit der Lilium-Pläne haben, nicht gut an, wie vielfach zu hören war. Klar ist aber auch: Der Lilium Jet (so wird das Elektro-Flugtaxi genannt, auch wenn es tatsächlich von 36 kleinen Propellern angetrieben wird) kann wirklich senkrecht starten und landen sowie fliegen – das hat Lilium in mehreren Videos schon gezeigt.

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Die Frage ist deshalb letztlich nur noch, ob der Jet bis 2025 wirklich so gut sein wird, wie Lilium angekündigt hat. Und dafür kommt es auf eine Reihe von Annahmen an, erklärt Professor Andreas Bardenhagen, Fachgebietsleiter für Luftfahrzeugbau und Leichtbau an der TU Berlin, der im EU-Verbundprojekt TRADE selbst an hybrid-elektrischen Flugzeugen forscht.

Die Methodik der anonymen Studie im Aerokurier sei auf jeden Fall "sauber" gewesen, sagt Bardenhagen. Mit seinen Studenten habe er das Modell des unbekannten Kollegen schon nachgebaut und einige Parameter darin verändert. Das Ergebnis: Je nachdem, wie optimistisch man diese wählt, seien die Angaben von Lilium zwar "sehr ambitioniert, aber nicht unmöglich". Die Investoren sollten dem Unternehmen aber die richtigen Fragen dazu stellen, wenn es schon die Öffentlichkeit nicht genauer informieren wolle.

Die komplizierten technischen Betrachtungen zu Lilium lassen sich laut Bardenhagen im Kern auf wenige Fragen reduzieren: Wie hoch ist der Wirkungsgrad des Antriebs, wie hoch die aerodynamische Effizienz im Gleitflug und wie hoch die spezifische Kapazität der Akkus, die ihn mit Strom versorgen? Wenn eines davon zu gering ist, könnten entweder die angegebene Geschwindigkeit oder die Reichweite oder die fünf Personen an Bord nicht realisiert werden.

Beim Wirkungsgrad hat Lilium das Problem, dass sein Antrieb zwei grundlegend verschiedene Aufgaben übernimmt: Er muss sowohl das senkrechte Starten und Landen ermöglichen als auch den Reiseflug, und für diese Phasen wären eigentlich unterschiedliche Auslegungen der Rotoren optimal. Doch zumindest dem Anschein nach arbeitet das Unternehmen mit 36 identischen Elektro-Propellern an Flügeln und Nase seines Jets, die zwecks Steuerung des Luftstroms ummantelt sind.

Senkrechtstarter Lilium Jet (45 Bilder)

2025 soll die zweite Fabrik in Betrieb genommen werden.
(Bild: Lilium)

Das bedeutet aber nicht das Ende des Lilium-Konzepts, sondern nur, dass dafür mehr Energie – also ein größerer Akku – benötigt wird als im Idealfall. Hier wiederum sind durch das Gesamtgewicht des Elektro-Fliegers Grenzen gesetzt. Bardenhagen geht davon aus, dass der Akku maximal 420 Kilogramm auf die Waage bringen darf, damit eine Abflugmasse von insgesamt 1.500 Kilogramm nicht überschritten wird.

Mit heutiger Technik, die auch in dem kritischen Aufsatz im Aerokurier angenommen wird, ließe sich damit ein Akkupaket mit maximal 110 Kilowattstunden Kapazität realisieren – etwas mehr als in einem modernen Tesla Model S also. Dabei nimmt der Autor eine Energiedichte von 240 Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg) an, die einschließlich Kühl- und Regelsystemen auf 220 Wh/kg abnehme. In der Antwort auf die Fragen der Zeitschrift bestätigt Lilium diesen Wert, erwähnt aber auch, dass bereits bessere Akkus mit 300 Wh/kg ohne Extras zur Verfügung stehen und getestet würden.

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Schon das ist eine Verbesserung um 25 Prozent gegenüber der Annahme, die zugleich 25 Prozent mehr Energie an Bord mit entsprechenden Auswirkungen auf die Leistungsdaten bedeutet. Und so könnte es weitergehen: Angetrieben durch die hohe Nachfrage für Elektroautos wird an besseren Akkus derzeit so intensiv geforscht wie wohl noch nie. Seit 2010, so erklärte in diesem Monat ein Experte der Energie-Marktforschungsfirma BNEF, habe sich die Energiedichte von Lithium-Ionen-Akkus nahezu verdreifacht.

Schon wenn es in diesem Tempo weitergeht, würde die wichtige Energiedichte also bis 2025 (dem Jahr, in dem Lilium kommerziell starten will) ausgehend von 220 Wh/kg im fertigen Paket um 150 Prozent auf mehr als 500 Wh/kg zunehmen. 420 Kilogramm Akku würden dann für mindestens 210 Kilowattstunden Strom an Bord des Lilium-Jets reichen.

Und was würde das für die fundamentale Kritik an dem Start-up bedeuten? Sie wäre überholt. "Na klar, dann geht’s, dann fliegt's", sagt dazu Luftfahrt-Professor Bardenhagen – zumindest wenn man ansonsten bei allen Parametern für Lilium denkbar günstige Werte annimmt, die aber nicht auszuschließen seien.

Eine ganz andere Frage sei dann allerdings, ob das Start-up auch sein Preisversprechen einlösen kann: Fliegen mit dem Elektro-Copter, kündigte es im Mai 2019 an, solle nicht teurer werden als eine normale Taxifahrt.

(sma)