Bürgerrechtler: Datenschutz steht auch in der Corona-Krise nicht zur Disposition

Datenschützer wehren sich gegen die Floskel, Bürgerrechte müssten hinter der Infektionsbekämpfung zurückstehen.

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Bürgerrechtler: Datenschutz steht auch in der Corona-Krise nicht zur Disposition

(Bild: carballo/Shutterstock.com)

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Einen dringlichen Appell für eine angemessene Debattenkultur in Zeiten des Kampfs gegen die Coronavirus-Pandemie hat die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) ausgesandt. "Immer wieder hört man in diesen Tagen die Forderung, Datenschutz und Bürgerrechte müssten hinter der Infektionsbekämpfung zurückstehen", monieren die Experten der Berliner Institution. Das Recht des Einzelnen auf Schutz seiner personenbezogenen Daten stehe aber "auch und gerade in Krisenzeiten aus gutem Grund nicht zur Disposition der Gesetzgebers oder des Anwenders".

Angesichts des COVID-19-Anbruchs werde derzeit in aller Welt die Freizügigkeit massiv beschränkt, schreiben die Unterzeichner, zu denen etwa der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, seine ehemaligen Berliner Kollegen Alexander Dix und Hansjürgen Garstka sowie der Ex-Konzerndatenschutzbeauftragte bei Daimler, Alfred Büllesbach gehören. Dazu kämen "unterschiedliche Verfahren zur Datenerfassung und Überwachung bis hin zur totalen Kontrolle". Unterschiedlichste Bestände personenbezogener Informationen würden schier vollständig zusammengeführt.

"Gegenwärtig wird ohne Rücksicht auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere das Übermaßverbot, nahezu alles vorgeschlagen, was technisch möglich erscheint", wundern sich die EAID-Mitglieder. Es werde gar nicht mehr geprüft, "was wirklich geeignet und erforderlich ist". In dem Mahnruf heißt es dagegen: "Auch in der Coronakrise bleiben Persönlichkeitsrechte – mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts – 'elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlich demokratischen Gemeinwesens'".

Die Grundrechte "dürfen nicht vorschnell und ohne die gebotene sorgsam abwägende Prüfung über die bereits bestehenden gesetzlichen Eingriffsmöglichkeiten hinaus dauerhaft eingeschränkt und so der Ausnahmezustand zur Norm erhoben werden", unterstreichen die Praktiker. Alle neu erwogenen Maßnahmen müssten sich daran messen lassen, ob sie für eine wirkungsvolle Pandemiebekämpfung wirklich zielführend, erforderlich und insgesamt verhältnismäßig seien.

"Einseitiges Streben nach einer umfassenden Sicherheit" darf den Verfassern zufolge "nicht den bisherigen gesellschaftlichen Konsens über die wertsetzende Bedeutung bürgerlicher Freiheits- und Persönlichkeitsrechte so überlagern, dass es zu einer langwirkenden Verschiebung zugunsten staatlicher Überwachung und zu Lasten freier und unbeobachteter Aktion, Bewegung und Kommunikation" komme. Neue gesetzliche Kompetenzen wie das gerade vom Bundestag im Eiltempo beschlossene erweiterte Infektionsschutzgesetz müssten befristet und zeitnah unabhängig evaluiert werden.

In der aktuellen Diskussion wird vor allem der Ruf laut, Bewegungsinformationen und Standortdaten der Handy-Nutzer fürs "Corona-Tracking" zu verwenden. So plädieren etwa Christoph M. Schmidt und Boris Augurzky vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI dafür, auf "das Auswerten von Informationen über Kontakte und Aufenthaltsorte sowie die konsequente Isolierung von Infizierten" zu setzen. Anonymisierte Handy-Daten, wie sie Betreiber bereits vielfach an Behörden weiterleiten, seien hier "kaum effektiv". Jetzt sei "nicht die Zeit für Bedenkenträger". Jeder müsse im Interesse einer sich bald wieder freier entfalten könnenden Gesellschaft "die Solidarität aufbringen, in dieser Krisenphase mit der Übermittlung von Mobilitätsdaten einverstanden zu sein".

"Datenschutz verlangt nach Datensparsamkeit, nach Sicherstellung der Zweckbindung und nach einer klaren Befristung der Maßnahmen und eventueller neuer gesetzlicher Befugnisse", hält die EAID dem entgegen. Es gebe aber kein grundsätzliches Dilemma mit dem Infektionsschutz. Auch Firmen erlaube es die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dafür, persönliche Informationen als "berechtigtes Interesse" zu verarbeiten, soweit dies etwa zum Schutz der Gesundheit und des Lebens ihrer Mitarbeiter und Kunden erforderlich sei.

"In der aktuellen Krisensituation sind unsere Grundrechte systemrelevant", erklärt auch der Generalsekretär der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Malte Spitz. "Sollte der Staat diese jetzt unverhältnismäßig einschränken, werden wir rechtliche Schritte dagegen prüfen." Die Organisation beleuchtet die derzeitige Situation in einem Online-Dossier mit Punkten wie Ausgangssperren und Bewegungsdaten.

Der Verein Digitale Gesellschaft warnt ebenfalls, dass es in der Corona-Krise "nicht zu einer Verselbständigung von Überwachungs- und Eingriffsmaßnahmen kommen" dürfe, "die unsere Rechte und Freiheiten gefährden". Was den meisten Bürgern im Homeoffice derzeit am meisten fehle seien "einfach zu bedienende, dezentrale und vertrauenswürdige Kommunikationswerkzeuge, die mit den kommerziellen Pendants mithalten können". Konsequente Open-Source-Förderung könnte hier helfen. Vielerorts sei die digitale Infrastruktur auch noch zu schlecht. (mho)