Missing Link: Kreative Verschwendung in der Rebound-Gesellschaft
Effizienz aus Forschung und Entwicklung wird im Handumdrehen durch steigende Leistung zunichte gemacht. Doch wer trägt die eigentlich die Schuld daran?
Rückblick: Letze Woche ging es um die Frage, ob KI eine Bedrohung für den Klimawandel ist oder ob im Gegenteil neue Chips und Mikro-KI für die Hosentasche Hoffnungen nähren auf drastische Einsparungen in der Zukunft. Die Antwort lautete: Wir haben keine Ahnung!
Wenn selbst Expertinnen und Experten bei einer so einfachen, gleichwohl wichtigen Frage wie dem zukünftigen Energiebedarf von KI-Technologien, in ihren Prognosen meilenweit auseinanderliegen, dann dürfte eins klar sein: Die Frage ist keine rein technische, sondern eine gesellschaftliche. Im zweiten Teil geht es um die Frage, woher diese gesellschaftliche verallgemeinerte Verschwendungssucht kommt, die erzielte Effizienzsteigerungen regelmäßig zunichte zur machen vermag.
Als Rebound (Rückstoß) bezeichnet man in der Ökonomie von Energieflüssen, dass Einsparpotenziale von Effizienzsteigerungen teilweise oder ganz von Sekundäreffekten zunichte gemacht werden. Wenn zum Beispiel Autos weniger verbrauchen, dafür aber mehr oder schneller gefahren wird. Oder wenn Fortschritte in der Motoren- und Getriebetechnik, die zu einer Reduzierung des Verbrauchs führen könnten, durch höhere Motorisierung, schwerere Fahrzeuge kompensiert oder sogar überkompensiert werden, dann spricht man von backfire, auf gut Deutsch: der Schuss geht nach hinten los.
Rebound auf vier Rädern
Ein Beispiel: In den letzten Jahren wurden zwar Verbrennungsmotoren immer sparsamer, der Schadstoffausstoß sank ebenfalls beträchtlich, diese Verminderungen wurden aber durch einen gegenläufigen Trend mehr als ausgeglichen: Der Trend zu immer größeren, schwereren, stärker motorisierten und üppiger ausgestatteten Fahrzeugen hat die Erfolge in der Weiterentwicklung der Technik zunichte gemacht – Sports Utility Vehicles (SUV) wurden erfunden.
Anfangs ließ kaum jemand ein gutes Haar an den offensichtlich dysfunktionalen Geländewagen für die Stadt, selbst Autozeitschriften ließen die neuen Monster durchfallen, schnitten sie doch im Vergleich zu Kombis durchweg schlechter ab: mehr Verbrauch, weniger Platz, schlechtere Fahreigenschaften, höhere Verletzungsrisiken für Unfallgegner und dergleichen mehr.
Und doch machen sie mittlerweile mehr als 30 Prozent des Marktes aus, letztes Jahr wurden erstmals eine Million solcher Fahrzeuge in Deutschland zugelassen. Doch wer ist schuld daran, die Kunden, die nun einmal SUV nachfragen, wie oft zu hören ist? Oder die Hersteller, die mit intensiven Werbekampagnen diese Nachfrage erst befeuert haben? Oder vielleicht der Staat, der solche Fahrzeuge auch noch steuerlich fördert?
Wir fragen einen, der es wissen muss, den ehemaligen Daimler-Chef Dieter Zetsche: "Geländewagen haben höhere Margen als andere Pkw". Damit wäre das also geklärt, wir können das auch gerne Kapitallogik nennen. Mit dem Slogan "Sie jagen gern Abenteuer in der Großstadt?" wollte Daimler übrigens im vergangenen Jahr eigentlich den Mercedes-Benz GLE Coupé bewerben; nach einem Unfall mit vier Toten im Zentrum von Berlin zog Daimler die Kampagne zurück.
Kreative Verschwendung
Der Geländewagen für Papa ist nur ein relativ junger Höhepunkt einer alten Geschichte. Fast einhundert Jahre ist es her, dass der Automanager Alfred P. Sloan einen Einfall hatte: Wie wäre es, fragte er sich, wir würden Kunden Autos verkaufen, die schon eins haben, das obendrein auch noch vortrefflich funktioniert? Niemand geringeres als der damalige Chef von General Motors, hatte diese für damalige Verhältnisse unerhörte Idee. Um dieses Kunststück zu erreichen regte er, die "Änderungen am neuen Modell sollten so neu und attraktiv sein, dass eine Nachfrage entsteht [...] bis zu einer gewissen Unzufriedenheit mit früheren," schreibt Sloan in seinen Memoiren. So gelang der amerikanischen Automobilindustrie mitten in der Weltwirtschaftskrise eine bahnbrechende Erfindung.
Heute nennen wir das dynamische oder auch psychologische Obsoleszenz, und Chef Sloan gebührt die zweifelhafte Ehre, sie erfunden zu haben. Letztendlich sollte diese Strategie der Einführung von Produkten mit bewusst begrenzter Haltbarkeitsdauer – sei es weil diese schnell kaputt gehen, nicht mehr kompatibel sind, ästhetisch gealtert sind und dergleichen – zu einem Schlüsselelement der amerikanischen (und globalen) Konsumwirtschaft werden.
Sloan leistete Pionierarbeit in der Autobranche, doch schon bald erfreute sich seine Idee breiter Akzeptanz. Die Ökonomin und Autorin von Bestsellern für Haushaltsführung, Christine Frederick, die maßgeblich an der Entwicklung der Frankfurter Küche beteiligt gewesen war, schrieb im Jahr der Weltwirtschaftskrise 1929 in ihrem Bestseller Selling Mrs. Consumer (auf Deutsch etwa: Wie verkaufe ich an Frau Konsumentin?): "Der Weg aus der bösartigen Sackgasse eines niedrigen Lebensstandards führt über großzügiges Ausgeben und sogar über kreative Verschwendung."
Nahm sich Sloan seine überwiegende männliche Kundschaft zur Brust, versucht Frederick in der Domäne weiblich bestimmten Konsums Obsoleszenz salonfähig zu machen: "Das Maschinen- und Energiezeitalter macht es nicht nur möglich, sondern auch unerlässlich, in den Haushalten die Doktrin der kreativen Verschwendung anzuwenden."
Von einer "Doktrin der Verschwendung" mag heute niemand mehr sprechen, das Vokabular hat sich geändert, die Kernidee ist dieselbe geblieben, die Wirtschaft muss angekurbelt werden, Wachstum sein Gradmesse – bis heute volkswirtschaftlicher Mainstream. SUV-Papa und Mrs. Consumer werden, daran hat sich nicht viel geändert, dazu angehalten, aus freien Stücken zu verschwenden, "kreativen Müll" (creative waste) anzuschaffen.