Kein Tracking ist auch keine Lösung
Eine Corona-App, die Kontakte protokolliert, muss transparent, sicher und kontrollierbar sein.
Darf man jetzt eigentlich noch sagen, dass eine Idee „ziemlich viral“ ist? Wie auch immer: Der Gedanke, mit Hilfe einer simplen App der heimischen Isolation entfliehen zu können, ist offenbar so reizvoll, dass die üblichen Datenschutzbedenken keine Rolle mehr zu spielen scheinen.
Die Idee klingt bestechend simpel: Man installiert eine App auf seinem Smartphone, die mit gleichartigen Apps auf fremden Smarthones Daten austauschen kann. Weil Bluetooth eine relativ geringe Reichweite hat, funktioniert der Datenaustausch sozusagen als eingebauter Abstandssensor. Die App speichert die Kontaktdaten von allen, mit denen man lange und nah genug zusammen war. Die Daten sind nicht zentral gespeichert und umlaufend nach vierzehn Tagen gelöscht. Ist man infiziert, informiert die App alle gespeicherten Kontakte.
Ganz aktuell haben Luca Ferretti vom Oxford Big Data Institute und Kollegen in der Simulation durchgerechnet, das solch eine App tatsächlich die Basisreproduktionszahl des Virus unter eins drücken könnte, wenn sie nur von genügend Menschen verwendet wird.
Wie gesagt, die Idee ist ansteckend. Während die britischen Forscher noch damit beschäftigt waren, die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme zu prüfen, waren andere schon aktiv. Hier nur zwei Beispiele: Die Medizinische Hochschule Hannover arbeitet gemeinsam mit dem Hamburger Unternehmen Ubilabs an solch einem Projekt. Und die Schweizer Software-Schmiede Ubique hat nach eigenen Angaben bereits eine Android App fertig, die man „zu Testzwecken“ installieren kann.
Allerdings kommt auch diese Medizin nicht ohne Nebenwirkungen. Zwar greift das nun vorgeschlagene Bluetooth-Modell Bedenken hinsichtlich Datenschutz und staatlichem Durchgriff auf.
Weltweit demonstrieren jedoch zur Zeit immer mehr Regierungen, dass sie sich um Bürgerrechtler mit Kopfschmerzen - Gerhard Schröder hätte gesagt „Gedöns“ - nicht scheren. Viel mehr nutzen sie alle verfügbaren technischen Möglichkeiten, um Quarantäne-Maßnahmen zu überwachen und durchzusetzen. Denn viele Staaten nutzen die Apps in diesem Zusammenhang nicht nur als Tracker sondern auch als eine Art mobile Fußfessel: In Südkorea beispielsweise löst die App automatisch eine Benachrichtigung an die Behörden aus, wenn man eine verhängte Quarantäne verletzt. Und die Strafen für solch ein Vergehen sind drastisch.
Wer glaubt, solche Dinge würden nur in autoritären Staaten geschehen, könnte sich möglicherweise bald wundern. In einem Gastkommentar für heise online hat der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gefordert, dass der Einsatz einer Corona-App zu Tracking-Zwecken nur freiwillig sein dürfe. Zudem sollten die Daten “möglichst anonym verarbeitet werden“, „nur für einen begrenzten Zeitraum gespeichert“, und anschließend gelöscht. Nicht zuletzt sollten die technischen Lösungen“ so gestaltet werden, dass sie einen Missbrauch durch Dritte ausschließen und die Sicherheit der IT-Systeme nicht gefährden.“
Ich fĂĽrchte, der Appell an die Hersteller solcher Software reicht nicht. Statt dessen ist es unbedingt notwendig, dass die Software als Open-Source vorliegt, damit der Code ĂĽberprĂĽft werden kann. Was dann aber auch jemand verbindlich ĂĽnernehmen mĂĽsste.
Wie sich allerdings die letzte Forderung von Schaar umsetzen lässt, ist mir schleierhaft. Eine App, die sich mit allen Smartphones in der Nähe vernetzt, um automatisch per Bluetooth Daten auszutauschen, sieht für mich wie ein ideales System aus, um Schadsoftware zu verbreiten. Aber vielleicht hat ja jemand da draußen eine kluge Idee? Menschen, die wissen, wie man diese Krise besser handeln könnte, als die Regierung und die verantwortlichen Virologen gibt es im Netz ja genug.
(wst)