Passiv-aggressive Politik
Der Photovoltaik-Deckel – eine Chronik des Versagens.
Was ist gefährlicher – das Corona-Virus oder der Klimawandel? Ich kann diese Frage nicht mehr hören. Beides hat wenig miteinander zu tun. Man kann durchaus gegen beides mit der angemessenen Ernsthaftigkeit vorgehen. Nichts hindert den Gesetzgeber daran, auch während einer Pandemie vernünftige Politik zu machen. Doch offenbar kommt die Lähmung des öffentlichen Lebens der passiv-aggressiven Trägheit des Bundeswirtschaftsministeriums entgegen. Während der Rest der Regierung mit flinker Hand den halben Rechtsstaat umstülpt, hat es Altmaiers Haus bis heute nicht geschafft, den unsäglichen 52-Gigawatt-Deckel für die Photovoltaik abzuschaffen.
Zur Erinnerung: 2012 beschloss der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die Förderung der Photovoltaik bei 52 Gigawatt installierter Leistung einzustellen. Aktuell sind es knapp 50 GW. Bei einem jährlichen Zubau von zuletzt knapp 4 GW ist also absehbar, dass der PV-Markt ungebremst auf eine Mauer zurast.
Dabei ist die Lage heute eine ganz andere als 2012. Alle Argumente, die damals fĂĽr den Deckel angefĂĽhrt wurden, sind schlecht gealtert. Drei Dinge haben wir seitdem gelernt:
- Zumindest Freiflächenanlagen können Strom zu durchaus konkurrenzfähigen Preisen um die fünf Cent pro Kilowattstunde erzeugen. Eine Kostenexplosion droht also nicht.
- Erneuerbare können massiv einspeisen, ohne das Stromnetz abzuschießen. In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben sie immerhin 52 Prozent des gesamten deutschen Verbrauchs erzeugt. Die Mär vom überforderten Stromnetz ist demnach nicht haltbar.
- Eine Finanzierung über den Strommarkt ist illusorisch, weil sich die Erneuerbaren gegenseitig den Preis kaputtmachen, wenn es viel Wind oder Sonne gibt. Feste Einspeisevergütungen – oder irgendeine andere Alternative zu Preisen, die allein auf Angebot und Nachfrage basieren – werden folglich weiterhin gebraucht.
Deshalb gibt es mittlerweile auch praktisch niemanden mehr, der den 52-GW-Deckel verteidigt. Schon am 20. September 2019 haben sich die Koalitionsparteien in ihrem „Klimaschutzprogramm 2030“ darauf geeinigt, ihn abzuschaffen. Am 9. Oktober verabschiedete das Kabinett einen entsprechenden Beschluss und hob das Ausbauziel für Photovoltaik bis 2030 auf 98 GW an. Zwei Tage später brachte auch der Bundesrat einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf ein. Das ist jetzt fast ein halbes Jahr her. Getan hat sich seitdem: nichts.
Am 13. März forderte der Bundesrat erneut, den Deckel schleunigst abzuschaffen. Doch Peter Altmaier tut wie James Dean in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“: Wer sich zuletzt bewegt, hat gewonnen.
Was die ganze Sache so kompliziert macht: Der PV-Deckel ist Teil eines Gesetzesbündels, in dem unter anderem auch Kohleausstieg und Windkraft-Abstände enthalten sind. Kritiker unterstellen der Union, die Photovoltaik als Geisel zu nehmen, um die Abstandsregelung durchzusetzen. Man könnte auch Erpressung dazu sagen. Das ist schlechtes Handwerk und schlechter Stil. Schlechtes Handwerk, weil niemand die Regierung gezwungen hat, die Entscheidungen zu Kohle, Wind und Sonne miteinander zu verkoppeln. Man kann sie auch problemlos unabhängig voneinander behandeln. Schlechter Stil, weil man in Verhandlungen nicht aus taktischen Gründen Positionen vertreten kann, die man aus sachlichen Gründen längst selbst aufgegeben hat.
(grh)