Corona-Kontaktverfolgung und PEPP-PT: "Es zählt mehr als kryptographische Eleganz"

Chris Boos verteidigt im Interview das Tracing-App-Projekt PEPP-PT gegen massive Vorwürfe. Die Pandemie lasse sich per Server-Lösung besser steuern.

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Corona-Kontaktverfolgung: "Es zählt mehr als kryptographische Eleganz"
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Seit einer Woche ist das bisherige Vorzeigeprojekt PEPP-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing), das ein Rahmenwerk für eine mobile Anwendung zum Nachverfolgen von Coronavirus-Infektionsketten entwickeln soll, in unruhiges Fahrwasser gekommen. Mehrere internationale Partner haben der Initiative den Rücken gekehrt, nachdem die Referenz auf das dezentrale Protokoll DP3T von der Website verschwand. Dieses System wollen Schweizer Techniker nun in Eigenregie weiterentwickeln und bis Mitte Mai praxisreif machen.

Über 300 Wissenschaftler aus den Bereichen IT-Sicherheit und Datenschutz warnten zudem am Montag, dass im Zuge der Krise nicht ein Werkzeug eingesetzt werden dürfe, mit dem sich im großen Stil sensible Daten der Bevölkerung erheben lassen. Es spreche viel für einen dezentralen Ansatz zur Datenverwaltung, während bei den verbliebenen PEPP-PT-Mitgliedern eine zentrale Serverlösung mit größerem Überwachungspotenzial bevorzugt werde.

Hans-Christian "Chris" Boos ist einer der maßgeblichen Köpfe hinter PEPP-PT und muss daher momentan einiges an Kritik einstecken. Der Mitgründer des Frankfurter Unternehmens Arago, das ein auf Künstlicher Intelligenz basiertes Assistenzsytem vertreibt, sitzt auch im Digitalrat der Bundesregierung und wird daher gern zu Debatten in Berlin rund um die Technik der Zukunft geladen. Im Interview mit heise online lichtet der IT-Unternehmer den Nebel rund um das von Bund und Ländern unterstützte PEPP-PT und die geplante deutsche Corona-Tracing-App – soweit derzeit möglich. Die Fragen stellte Stefan Krempl.

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heise online: PEPP-PT ist mit großer Unterstützung gestartet, hat aber zuletzt unter anderem durch Intransparenz und schlechte Kommunikation Vertrauen verspielt. Vom "paneuropäisch" im Projektnamen scheint nicht mehr viel übrig. Was lief falsch, was lässt sich zurückgewinnen?

Hans-Christian Boos: Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir doch noch eine europäische Lösung hinbekommen. Früher oder später. Das Virus ist kein nationales Phänomen, deshalb sollten die nationalen App-Lösungen miteinander kommunizieren können. Bedauerlicherweise haben wir als Wissenschafts-Community in den vergangenen Tagen stärker verwirrt, anstatt aufzuklären. Eine öffentliche Debatte zwischen Epidemiologien, Politikern, Datenschützern und Ethikern zu Privatsphäre und Datenschutz müssen wir führen. Öffentliche Streitereien über wissenschaftliche Details, über die sich Wissenschaftler seit 30 Jahren den Kopf einschlagen, helfen niemandem.

Hans-Christian "Chris" Boos

Wie reagieren Sie auf die vehemente Kritik von Forschern an PEPP-PT und die massiven Absetzbewegungen in Reihen auch von Gründungsmitgliedern? Ein Orkan oder ein Sturm im Wasserglas?

Der Rückzug ist bedauerlich, die Debatte kontraproduktiv. Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Wissenschaftler müssen um den besten Ansatz ringen, nur so werden Algorithmen besser. Aber diesen Vorwurf in diesem Kontext zu erheben, ist absurd. Egal, welche App hier in Deutschland auf PEPP-PT-Technologie auf den Markt kommt: Sie wird datenschutzkonform sein und unsere Privatsphäre schützen. Darüber hinaus haben beide Ansätze ihre Vor- und Nachteile. Bei der Abwägung dieser Vor- und Nachteile dürfen wir einen Aspekt nicht vergessen: Es geht hier um ein Werkzeug zur besseren Pandemie-Bekämpfung, damit wir alle schnellstmöglich wieder ein halbwegs normales Leben führen können. Dafür gilt es mehr Faktoren abzuwägen als kryptographische Eleganz. Diese Abwägung sollten nicht wir als Techies tun. Dafür haben wir keine Legitimation. Das müssen demokratisch gewählte Regierungen tun. Deshalb wollen wir beide Ansätze anbieten.

Ist ein europäischer Corona-App-Flickenteppich, dem die EU-Kommission eigentlich vorbauen wollte, noch zu verhindern?

Das würde ich mir zumindest wünschen. Das war ja von Anfang an unsere Idee: Eine Grund-Architektur zur Verfügung stellen, auf deren Basis länderspezifische Apps gebaut werden können, die interoperabel sind. Dann könnten wir alle auch wieder bedenkenlos reisen.

Es gab von einzelnen Forschern auch heftige persönliche Vorwürfe gegen Sie, die von Scharlatanerie bis zur Betrugsbezichtigung reichten. Was setzen Sie dem entgegen?

Dafür fehlen mir tatsächlich die Worte.