Drehmoment wie ein Dickschiff

Eine Gesetzeslücke für E-Motorräder bringt leistungsstarke Geschosse in Anfängerhände.

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106 Newtonmeter vom Stand weg – davon können Fahrer der meisten ausgewachsenen Motorräder nur träumen. Und doch dürfen solche Geschosse in die Hände 16-Jähriger Fahranfänger und nachgeschulter Autofahrer gelangen.

Der Grund ist eine Gesetzeslücke für Elektromotorräder, auf die der Spiegel aufmerksam gemacht hat. Einige Zero-Modelle gibt es beispielsweise in Versionen mit 11 kW (15 PS). Damit wird sie als Leichtkraftrad (L3-e) eingestuft und darf mit dem Führerschein der Klasse A1 gefahren werden. Diesen Führerschein können bereits 16-Jährige erwerben. Alternativ dazu können Autofahrer, die mindestens 25 Jahre alt sind, mit vier Doppelstunden Theorie und fünf Doppelstunden Praxis ihre Fahrerlaubnis für Leichtkrafträder nachholen – ohne formelle Fahrprüfung.

Schon klassische Leichtkrafträder mit 125 ccm sind nicht zu unterschätzen. Sie sind in der Regel weit über 100 km/h schnell. E-Motorräder sind jedoch noch eine Nummer giftiger. Bei ihnen zählt nicht die Spitzenleistung, sondern eine Dauerleistung von maximal 11 kW für eine Einstufung als Leichtkraftrad. Die Spitzenleistung ist im Fall der Zero S und ihren Schwestermodellen allerdings drei Mal so hoch. Und mit einem Drehmoment von 106 Newtonmetern, das für die Beschleunigung entscheidend ist, reichen sie in den Bereich richtig schwerer Motorräder hinein – bei deutlich weniger Gewicht.

Zum Vergleich: Das in Deutschland seit Jahren bestverkaufte Motorrad, die BMW R 1200 GS, darf man mit Fug und Recht als Dickschiff bezeichnen – 1170 ccm, 92 kW (125 PS), 238 Kilo Leergewicht. Und doch bringt sie mit 120 Newtonmetern nur geringfügig mehr Drehmoment ans Hinterrad – und das auch erst bei 6.500 U/min.

Auch bei anderen Zero-Modellen hat die Diskrepanz zwischen Dauer- und Spitzenleistung Folgen für die Führerscheineinstufung: Die Zero SR etwa darf dank einer Dauerleistung von 22 kW (30 PS) mit dem Führerschein A2 gefahren werden, der für Neueinsteiger ab 18 gilt und auf Maschinen bis 35 kW (48 PS) beschränkt ist. Mit einer Spitzenleistung von 52 kW (69 PS) liegt die Zero aber klar darüber. Dafür sollte man eine gewisse Lebens- und Fahrerfahrung mitbringen.

Ich frage mich, warum dem Gesetzgeber solche Sachverhalte nicht schon vorher aufgefallen sind. Dass sich Elektromotoren in mancherlei Hinsicht anders verhalten als Verbrenner, dürfte keine ganz neue Erkenntnis sein. Gegenüber dem Spiegel schlägt der Unfallforscher Siegfried Brockmann eine Gesetzesänderung vor, wonach die Spitzenleistung nur maximal 15 Prozent über der Dauerleistung liegen dürfe. Mir scheint das umständlich und technisch schwer umzusetzen. Warum nicht gleich die Spitzenleistung als Kriterium für die rechtliche Einstufung nehmen? Damit wäre man auf jeden Fall auf der sicheren Seite.

(grh)