Corona-Apps und Big Data: Amnesty warnt vorm Schlafwandeln in die Überwachung

Die Menschenrechtsorganisation sieht den Boom technischer Lösungen im Kampf gegen Covid-19 als riskant für die Privatheit und Diskriminierungsfreiheit an.

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Corona-Apps und Big Data: Ammesty warnt vorm Schlafwandeln in die Überwachung

Amnesty sieht im Kampf gegen das Coronavirus auch Risiken für die Privatheit und Diskriminierungsfreiheit.

(Bild: amnesty.de)

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Amnesty International sieht die derzeit von vielen Regierungen angestrebten IT-Produkte im Kampf gegen Covid-19 skeptisch. Corona-Apps oder Datenanalysen könnten prinzipiell auch vorteilhaft sein, erklärte Rasha Abdul Rahim, stellvertretende Leiterin des Programms Amnesty Tech am Montag. Sie dürften aber nicht ohne ausreichenden Menschenrechtsschutz eingesetzt werden oder die digitale Überwachung verstärken.

Datengestützte Anwendungen müssten Schutzvorkehrungen enthalten, um das Schlafwandeln in eine ausgedehnte Überwachungsgesellschaft zu verhindern, betonte Rahim. Sie müssten rechtmäßig, verhältnismäßig und für die vorgegebenen Zwecke erforderlich, transparent, öffentlich überprüfbar, nicht für gewerbliche Zwecke verwendbar und zeitlich beschränkt sein. Zudem müsse die Privatsphäre der Nutzer beachtet werden.

Die Palette diskutierter Lösungen reicht laut Rahim von Tracking- und Tracing-Apps zum Lokalisieren von Erkrankten beziehungsweise Nachverfolgen von Infektionsfällen über gängige Gesundheits-Apps mit Symptomchecks sowie klassische Big-Data-Anwendungen bis hin zu Triage-Programmen, mit denen in Kapazitätsengpässen über die künstliche Beatmung von Patienten entschieden wird. Dazu kämen etwa digitale Immunitätsausweise.

41 Länder nutzten Tracing-Apps, 17 planten aktuell deren Einsatz. Die EU-Kommission habe dazu einen Instrumentenkoffer herausgegeben, der aber offen sei für eine zentrale, vergleichsweise riskante Speicherung von Kontaktdaten sowie deren europäischen Austausch. Neben Frankreich und Großbritannien verfolgten Island und Norwegen ein zentrales Modell.

Auch das Prinzip der Diskriminierungsfreiheit sei mit Tracing-Anwendungen in Gefahr, gab Rahim zu bedenken. So werde immer wieder auch bei angeblich freiwilligen Einwilligungsszenarien appelliert, Nutzern einfacher den Weg zurück an den Arbeitsplatz oder in Restaurants zu ebnen oder sie rascher auf Covid-19 zu testen. Viele Bürger besäßen aber gar kein geeignetes Smartphone. Nötig sei daher eine klare gesetzliche Basis, wie sie hierzulande etwa Rechtswissenschaftler, Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker fordern.

Amnesty stört sich auch daran, dass neben großen Unternehmen wie Amazon, Apple, Google oder Microsoft auch "traditionelle Überwachungsfirmen" wie die israelische NSO Group sowie Palantir und Clearview AI aus den USA Regierungen ihre Dienste in der Corona-Krise anbieten. Schon vor der Pandemie seien gerade die klassischen Internetkonzerne bestrebt gewesen, den Gesundheitsmarkt zu erobern, berichtete Rahim. Nun könnten sie über undurchsichtige öffentlich-private Partnerschaften in vorher nie für möglich gehaltenem Ausmaß "tiefere Einsichten über uns gewinnen".

Als weiteres Problem machte Amnesty-Politikexpertin Lena Rohrbach aus, dass bei staatlichen Exportlizenzen für "Dual-Use-Technologien" inklusive Überwachungssystemen "Menschenrechtsaspekte nicht hinreichend einbezogen werden". Von den europäischen Vorgaben für die Ausfuhr von Programmen für zivile und militärische Zwecke würden etwa biometrische Techniken wie automatisierte Gesichtserkennung nicht erfasst, sodass diese frei exportierbar seien. (anw)