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Was war. Was wird. Vom lockeren Bleiben und widerständigem Nutzen.

Locker bleiben, rät Hal Faber. Nicht alles, was als Weltuntergang ausgemalt wird, illustriert das Ende aller Zeiten. Auch Freitage gehen vorbei.

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Was war. Was wird. Vom lockeren Bleiben und widerständigem Nutzen.

Corona? Randalierende Aluhüte? Ach, es wird Sommer, es lebe der hoffentlich bald wieder existierende Schengenraum, das schöne Wetter und überhaupt ...

(Bild: Itsmedj / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Locker, locker sind die Zeiten und wir in ihnen. Gut möglich, dass sie eines Tages mit dem Kriegsausbruch von 1914 verglichen werden oder mit der Münchener Konferenz 1938, zwei Ereignisse, die die Welt erschütterten und veränderten, doch schon wird eine "neue Normalität" praktiziert, die für manche unheimlich ist. Locker wird die Bedrohung durch Corona weggesteckt, die Maske gegen die Tröpfchen aufgesetzt. Ausnahmen gibt es bei brüllenden Verschwörungstheoretikern und Menschen, die nur Nutwave im Hirn haben. Natürlich kann es reizvoll sein, den Fall der Mauer durch ein Lied zu erklären, dass die CIA den Scorpions untergeschoben hat.

Landauf, landab wird so über die Verschwörungstheoretiker berichtet, obwohl Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen mit dem Management by Merkel zufrieden sind. Oder ist es gar der feminine Faktor? Aber was soll diese Erkenntnislage, viel lieber schreibt der kundige Journalist darüber, dass die Verschwörungstheoretiker von "den in Deutschland quer durch Gesellschaft, Politik und Medien ins Irrationale und neurotische übersteigerten Datenschutzbedenken" profitieren würden. Neurosen haben immer die anderen.

*** Nach der elenden Vorratsdatenspeicherung ist eine echte Neuheit auf dem Markt: Das Denken auf Vorrat, durchgeführt von Philosophen, die "Echtzeit-Beiträge" zur aktuellen geistigen Situation dieser Zeit verfassen. Das geht flott und schnodderig wie bei Žižek oder schnell und sorglos wie bei Nikil Mukerji und Adriano Mannino. Schicke Begriffe wie "Cocooning Plus" machen da die Runde. Gemeint ist die fortlaufende Isolierung und Testung der Alten und Kranken, während die Jungen und Agilen draußen herumtollen. Ob dies der Weisheit letzter Schluss ist, steht auf irgendeinem Blatt in irgendeinem Buch. Wie drückte es der große Habermas aus? "So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie."

*** Inmitten all der Lockerungen und Lockerungsübungen ist es eher untergegangen, dass die vorab viel diskutierte Corona-App in Teilen auf Github aufgetaucht ist und erste Rückschlüsse auf ihre Arbeitsweise zulässt. So wird sie offenbar eine Benachrichtigungsfunktion dafür haben, wenn Testergebnisse beim behandelnden Arzt bzw. Hausarzt vorliegen. Sie funktioniert also anders als die Benachrichtigungsfunktion der App, die von Testlaboren ins Feld geschickt wurde. Was bleibt, ist die Frage, die einen sonst so besonnenen Menschen wie Ranga Yogeshwar "rotzig" werden lässt. "Da offenbart sich, dass wir in Sachen Digitalisierung ziemlich rückständig sind, und wir vernebeln unsere technische Unfähigkeit mit einer Diskussion über Datenschutz. Es muss langsam ein Bewusstsein wachsen, dass wir in Deutschland, was diese Techniken angeht, nicht gut aufgestellt sind. Wir sind ein digitales Entwicklungsland! Während der Kontaktsperre nutzen wir eine Vielzahl digitaler Tools, doch keines dieser Programme stammt aus Deutschland. Wir nutzen amerikanische oder chinesische Software." Seine Forderung, einfach die App aus Südkorea zu nehmen, dürfte zu den Schnellschüssen in der Debatte um das Kontakt-Tracing kommen, aus der andere wie Merkels China-Experte Sandro Gayken längst das Tracking von Infizierten gemacht haben. Und während sich Yogeshwar über den Datenschutz ärgert, geht er längst auf andere Weise flöten. Schließlich hat Jens Spahn sein zweites Pandemieschutzgesetz durch den Bundestag und gleich hinterher durch den Bundesrat gebracht. Jetzt werden auch die Daten von Getesteten weitergegeben und gespeichert, die sich nicht infizierten. Nennen wir es eine Daten-Bagatelle. Andere mit eher minderem Verstand nennen es NWO.

*** Auch die Raserei mit dem Auto ist wieder eine Bagatelle geworden, obwohl die Zahl der Unfälle in den Städten deutlich zurückgegangen ist, nicht nur in Deutschland: Eine idiotische Petition namens "Führerschein-Falle rückgängig machen" wurde vom diensteifrigen Autoverkehr-Minister Andreas Scheuer aufgenommen. Wie war das noch mit dem Lob des Föderalismus, weil jedes Bundesland die Coronakrise nach eigenen Zahlen und eigenem Ermessen aussteuerte? Genau diese Länder haben im Bundesrat die Straßenverkehrsordnung verschärft, die der Minister als Schutzpatron der deutschen Raser nun zurücknimmt.

*** Wie bereits hier erwähnt, wird in der kommenden Woche ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht zur Arbeit des Bundesnachrichtendiensts erwartet, das ein Signal für die Pressefreiheit sein soll. Im Vorfeld wurde Journalisten ein 72 Seiten starkes Papier zur Signal Intelligence zugespielt, demzufolge der BND 1,2 Billionen Verbindungen am Tag auswertet. Das ist schon eine Größenordnung, die das Logo von "Zahlen, bitte!" sprengen würde. Wie handlich ist dagegen die Zahl von 30 "Fehl-Erfassungen" privater oder intimer Kommunikation, die dem BND unterläuft, nicht täglich, sondern pro Monat gerechnet. Dieser "geschützte Verkehr", der verbotenerweise mitgeschnitten wurde, sei doch ein Klacks gegen die enorme Aufklärungsarbeit, die man so leistet. Sie lohnt sich auf ihre Weise, wie der Disput zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Sergej Lawrow zeigt, seines Zeichens Außenminister von Russland. So sorgt der aufgedeckte Angriff von Fancy Bear für Misstrauen und Ärger, doch welche Sanktionen folgen könnten, ist unklar.

*** In Hamburg ist die Fotografin Astrid Kirchherr gestorben. Ihre Fotos der frühen Beatles hatten Stil, Charme und Pilz-Köpfe. Sie gehört insofern in diese IT-gesättigte Rückschau, weil es schließlich der ehemalige IBM-Europachef Hans-Olaf Henkel war, der liebend gern die Geschichte ausschmückte, wie er dank seiner angebeteten Astrid die Beatles in Hamburg kannte, lange bevor sie zu Weltruhm kamen. Etwas ausgeschmückt kann man seine Geschichte auch online nachlesen, ganz ohne Bravo-Starschnitt.

Er ist eigentlich gerade erst vom US-Präsident Trump angekündigt und hat doch schon begonnen. Der Handelskrieg zwischen den USA und China, in dem China zur mächtigsten Volkswirtschaft dieses Jahrhunderts aufsteigen wird, dürfte eines Tages (siehe Anfang) die Geschichtsbücher füllen, die von den Siegern geschrieben werden. Es wird spannend sein, wie sich das gerade mal wieder zusammenfindende Europa in diesem Handelskrieg – oder ist es ein Technologie-Krieg – verhalten wird. Mögest du in interessanten Zeiten leben, so lautet ja ein hier schon mehrfach zitierter chinesischer Fluch der höflichen Art. Wir tun es jetzt und schauen zu, wie Trump, innerlich vom Neid auf seinen Vorgänger zerfressen, zur Vorbereitung des großen Krieges Facebook, Instagram, Twitter und Google unter seine Kontrolle bringen möchte. Die besagten Dienste sollen von der "radikalen Linken" gesäubert werden, ein gewisser Herr McCarthy lässt grüßen.

Ob Donald Trump dieser Kampf gegen seine persönlichen Windmühlen gelingen wird, mag man bezweifeln. In jedem Fall ist es an der Zeit, sich bei den dezentralen Alternativen umzuschauen, wenn der grassierende Wahnsinn diese Angebote erfasst. Die Entzauberung des Silicon Valleys ist so gesehen eine unverhoffte Chance. Sie kann man nutzen oder auch nicht. Es ist wie mit der Verschlüsselung der Kommunikation, die derzeit wieder unter Beschuss genommen wird. Immer gilt es, gegenzusteuern, mitunter andere Wege zu beschreiten als etwa Enigmail, dessen Zeit abgelaufen ist. Wie sagte das ein kluger Mensch? "Wir schaffen das schon." (jk)