Mini-Lungen könnten zeigen, warum Covid-19 tötet

Versuche mit im Labor gezüchteten Organoiden sollen verraten, wie Sars-CoV-2 die Lunge schädigt und verraten, welche Medikamente das verhindern könnten.

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Mini-Lungen könnten zeigen, warum Covid-19 tötet

(Bild: CDC)

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Von
  • Antonio Regalado
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Im Labor der Biosicherheitsstufe 4 tragen die Forscher der "National Emerging Infectious Diseases Laboratories" (NEIDL) an der Boston University drei Paar Handschuhe übereinander und atmen Luft ein, die durch Schläuche in ihre Astronauten-ähnliche Schutzanzüge gelangt. Vor ihnen befinden sich unter einem Plastikschild menschliche Lungensäckchen, die in sogenannten Organoiden gezüchtet wurden – ein Konglomerat von Zellen also, die sich ähnlich wie Organe verhalten.

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Jetzt ist es Zeit, sie mit dem Coronavirus zu infizieren. Die Lungensäckchen sorgen im Körper dafür, dass der eingeatmete Sauerstoff ins Blut übergeht. Lungen-Organoide sollen helfen, herauszufinden, wo und wie die Coronaviren am meisten Schaden anrichten. Dann könnten die gezüchteten Zellen auch beim Testen von Covid-19-Medikamenten helfen.

Erste Hinweise darauf, wie das Virus in den Körper gelangt, wo es am meisten Schaden anrichtet, haben Forscher bereits aus tierischen und menschlichen Zellmodell-Versuchen sowie Computersimulationen. Doch diese Vorversuche können letztlich die genaue Wirkung von Sars-CoV-2 nicht verraten. "Wenn Sie an der Antwort des Wirtes interessiert sind, sind Ersatzprodukte nicht nützlich", sagt NEIDL-Mikrobiologin Elke Mühlberger. Dasselbe gilt für die Zellen und Gewebe, an denen die Viruswirkung getestet wird. Standard-Laborzellen haben nach Jahren der Anpassung an ein Leben in der Petrischale "ihre Fähigkeit verloren, als Lunge oder Leber zu agieren, sie reagieren auch nicht auf Interferon [ein zu den Zytokinen gehörendes immunstimulierendes Gewebshormon, Anm. d. Red.]", sagt NEIDL-Mikrobiologin Elke Mühlberger.

Zellen von Organoiden dagegen, die aus Stammzellen gezüchtet werden und sich zu Konglomeraten organisieren können, haben die grundlegende zelluläre Zusammensetzung und Funktion eines echten Organs. Die Bostoner NEIDL-Forscher verwenden auf diese Weise hergestelltes Lungengewebe, das den auch Alveolarsäckchen genannten Luftsäcken in der Lunge ähnelt. Der Lungenarzt Finn Hawkins leitet eines der Organoid-Labore und behandelt auch Covid-19-Patienten. "Ich habe so etwas noch nie gesehen", erzählt er von seinem Dienst auf der Intensivstation. "Der Grad der schweren Lungenschäden ist bei einigen Patienten außergewöhnlich hoch. Es ist nicht wie bei Ebola, wo alle krank werden."

Einige der am schwersten erkrankten und oft künstlich beatmeten Patienten erleiden etwa einen "Zytokinsturm", also eine außer Kontrolle geratenen Entzündungsreaktion, die mit einem Fieber einhergeht, das einfach nicht sinkt. Was aber die meisten Covid-19-Patienten tötet, ist, dass sie nicht mehr atmen können. "Ihre Markerwerte steigen und sie brauchen Sauerstoff. So eine plötzliche Verschlechterung habe ich zuvor noch nie gesehen und jetzt sehe ich es ständig", sagt Hawkins.

Die gezüchteten Atemwegs- und Lungenzellen könnten Hawkins zufolge vor allem zwei Fragen beantworten helfen: Welche Zellen das Virus in den Körper gelangen lassen und welche der Schlüssel für die verheerenden Auswirkungen sind. Kombiniert man aus Stammzellen hergestellte Lungenzellen mit der Fähigkeit, Moleküle in einzelnen Zellen zu sequenzieren und zu verfolgen, ist das Ergebnis eine "unglaublich gute Auflösung", sagt er.

Dabei baut Hawkins mit seinen Forschungspartnern auf Ergebnisse auf, die etwa Forscher der University of North Carolina mit Zellkultur-Versuchen erzielt haben. Um herauszufinden, welche Atemwegszellen am anfälligsten sind und ob das Virus direkt die Lunge befällt oder erst die Nasen- oder Halsschleimhaut infiziert, fügten die Wissenschaftler dem Genom von Sars-CoV-2-Viren im Labor Gene für leuchtende Proteine hinzu. Infizierten sie dann Kulturen von verschiedene Atemwegszellen von der Nasenschleimhaut bis in die Lunge hinein, leuchteten diese anschließend auf. Mithilfe der Farbstoffe ergab sich ein von den oberen zu den unteren Atemwegen abnehmender Infektionsgrad.

Ein Grund dafür ist wohl die ebenfalls von der Nase zur Lunge abnehmende Häufigkeit von Rezeptoren wie ACE-2 und anderen auf den Zellen, die das Virus zum Andocken und Eindringen nutzt. So wiesen die Flimmerzellen in der Nase besonders ACE-2-Rezeptoren auf, was die Nase zum wahrscheinlichsten Eindring-Ort und den Forschern zufolge den Maskeneinsatz sinnvoll macht. "Wenn Sie verstehen, welche Zelltypen wie infiziert werden, können Sie Strategien finden, um das zu verhindern oder [die Wirkung] abzuschwächen", sagt Hawkins.

Nun sollen Zellen aus Lungen-Organoiden zeigen, wie bestimmte Zelltypen auf eine Infektion reagieren. Das eigentliche Problem könnte bei sogenannten Typ-2-Lungenzellen liegen, die das sogenannte Surfactant herstellen. Diese Substanz verringert die Oberflächenspannung, damit die Luftsäcke offenbleiben. "Wenn Sie sich die Autopsien ansehen, sind die Typ-2-Zellen sehr stark beschädigt", sagt Hawkins. "Sie bekommen vollständig geschlossene Alveolen, und das verursacht Probleme mit der Sauerstoffversorgung. Wenn ein Patient ans Beatmungsgerät kommt, ist es sehr schwierig, den Beatmungsdruck richtig einzustellen und diese kranken, undichten Lungen zu retten." Jessie Huang von der Boston University hat bereits Typ-2-Zellen aus Organoiden hergestellt und sie an Forscher in den USA und der ganzen Welt geschickt.

Und was passiert, wenn man Lungenorganoid-Zellen Covid-19 verabreicht? NEIDL-Forscherin Mühlberger zufolge sehen ihre Zellkerne innerhalb weniger Tage fragmentiert aus, einige lösen sich und schweben davon. "Sie sehen, dass die Zellen nicht so gut funktionieren", sagt sie. "Wir glauben, dass das Virus die Zellen direkt abtötet, aber wir wissen es nicht genau." Es könnte die Überproduktion von Zytokinen und Chemokinen sein, zwei Entzündungsmolekülsorten. Sie hofft auch, dass Organoide besser ermitteln helfen, welche Medikamente das Virus daran hindern, sich selbst zu kopieren. Das soll vermeiden helfen, dass in Affenzellen zunächst erfolgreiche Mittel sich später bei menschlichen Lungenzellen als unwirksam erweisen.

(vsz)