BriefCam: US-Polizeibehörden nutzen Software zur verhaltensbasierten Überwachung

Die Polizei setzt in vielen US-Städten eine Lösung der Firma BriefCam zur "intelligenten Videoanalyse" ein, um Gesichter und auffälliges Verhalten zu erkennen.

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BriefCam: US-Polizeibehörden nutzen Software zur verhaltensbasierten Überwachung

(Bild: MONOPOLY919/Shutterstock.com)

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Während Demonstranten in den USA ein Ende von Polizeigewalt fordern und die Corona-Pandemie weiter grassiert, verwenden Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land heimlich, still und leise Software, mit der sie Personen in Menschenmengen verfolgen und identifizieren sowie ungewöhnliches Verhalten ausfindig machen können. Dabei bauen sie insbesondere auf ein Programm der israelischen Firma BriefCam zur "intelligenten Videoanalyse", um Aufzeichnungen aus Überwachungskameras nach verdächtigen Inhalten zu durchforsten.

Zu den Kunden des Unternehmens, das Forscher der Hebräischen Universität von Jerusalem 2007 gründeten und das sich der japanische Kameraproduzent Canon 2018 für 90 Millionen US-Dollar einverleibte, gehören laut einem Bericht des US-Magazins BuzzFeed Polizeiämter in New Orleans und St. Paul, wo es nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den vergangenen Tagen und Wochen zu massiven gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und Ordnungshütern gekommen war.

Behörden in der Hauptstadt Washington, Chicago, Boston, Detroit, Denver, Doral, Florida, Hartford, Connecticut, Kalifornien, Kansas, Florida, Arizona, Massachusetts, New Mexico und im Landkreis Santa Fe sollen das Programm ebenfalls verwendet haben oder noch aktiv nutzen und für Lizenzen zehn- bis hunderttausende US-Dollar ausgegeben haben.

Zum Einsatz kommt das von BriefCam entwickelte System "Protect & Insights", mit dem die Polizei und andere Nutzer potenziell relevante Momente aus stundenlangem Material aus der Videoüberwachung ausfiltern können sollen. Es verfügt über eine integrierte biometrische Gesichtserkennung und eine Funktion zum Auswerten von Aufnahmen von Kfz-Kennzeichen-Scannern. Die Lösung erlaubt es Ermittlern, Beobachtungslisten Verdächtiger zu erstellen. Nach Firmenangaben kann das Instrument "Männer, Frauen, Kinder, Kleidung, Taschen, Fahrzeuge, Tiere, Größe, Farbe, Geschwindigkeit, Weg, Richtung, Verweildauer" und andere verhaltenstypische Züge ausfindig machen.

Gegenwärtig gibt es in den USA keine bundesweiten Vorgaben für die Datenverarbeitung mithilfe automatisierter Gesichtserkennung, anderen Techniken zur Videoanalyse oder Lesegeräten für Nummernschilder. Die Juristin Neema Singh Guliani von der US-Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) monierte gegenüber BuzzFeed, dass Kommunen solche riskanten Technologien oft ohne öffentliche Kontrolle oder Debatte erwürben.

BriefCam hat jüngst eine Funktion zum Messen des Abstands zwischen Personen eingeführt. Sie soll helfen, Regeln zum "Social Distancing" durchzusetzen und die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Das Unternehmen behauptet, dass sich dank der Software auch feststellen lässt, wer eine Schutzmaske trägt. Diese Merkmale könnten mit der biometrischen Gesichtserkennung kombiniert werden, um die Identität von Personen festzustellen, die möglicherweise gegen einschlägige Auflagen verstoßen. Inwieweit US-Gemeinden von solchen Möglichkeiten Gebrauch machen, ist unklar. Aus St. Paul war zu hören, dass dies dort nicht der Fall sei.

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"Dieses Produkt scheint genau die Form von wahlloser Überwachung zu erlauben, die so viele Amerikaner über den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie durch die Regierung besorgt macht", gab der US-Senator Ron Wyden zu bedenken. Der Kongress müsse einschreiten und das Werkzeug stoppen, bis es hieb- und stichfeste Regeln zum Schutz gegen ungenaue, diskriminierende Algorithmen und Missbrauch gebe.

Der Demokrat plädiert auch dafür, dass BriefCam für Schaden verantwortlich gemacht werden sollte, der aus fehlerhaften Identifizierungen entsteht. In den vergangenen Tagen erklärten US-Konzerne wie Amazon, IBM und Microsoft nach und nach, US-Strafverfolgern vorerst oder langfristig keine Dienste zur Gesichtserkennung mehr anbieten zu wollen.

International arbeiteten Polizeieinheiten etwa in Abu Dhabi, Brasilien, Paris, Indonesien, Singapur und Thailand bereits mit Lösungen von BriefCam. Hierzulande starteten die Deutsche Bahn und die Bundespolizei vor einem Jahr in Berlin einen Test mit intelligenter Videoanalyse-Technik, die ein Konsortium aus IBM, Hitachi und kleineren Firmen zur Verfügung stellt. In Mannheim begann ebenfalls 2019 ein Probelauf der Polizei mit einem vergleichbaren System, das vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) stammt. Datenschützer warnen "vor einem Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht mit erheblicher Streubreite".

(bme)