Corona-Warn-App: "Rote Lampe bedeutet nicht automatisch hohe Gefahr"

Nutzer der Anwendung zum Kontakt-Nachverfolgen dürfen mit einer Warnung nicht allein gelassen werden, fordern Experten. Das Risiko müsse abgewogen werden.

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Corona-Warn-App: "Rote Lampe bedeutet nicht automatisch hohe Gefahr"

(Bild: Elizaveta Galitckaia / Shutterstock.com)

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Noch sind nicht alle Details zum Kernverfahren der nationalen Corona-Warn-App bekannt, die die Politik und beteiligte Unternehmen am Dienstag offiziell vorstellen wollen. Sicher sei aber, dass es ein "rotes Signal" geben werde, wenn ein Nutzer einen riskanten Kontakt mit einem Coronavirus-Infizierten hatte, erklärte Ute Teichert, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, am Montag bei einer Webkonferenz des Science Media Center (SMC). Diese" rote Lampe" bedeute aber "nicht automatisch eine hohe Gefahr".

Teichert bezeichnete eine Warnung durch die App als "einen Hinweis von mehreren in einer Kette von Ereignissen, die man sich angucken muss". Dem betroffenen Nutzer werde nur der Tag einer erhöhten Infektionsgefahr genannt, nicht die Uhrzeit. Zudem erfahre er, wenn es mehrfachen Kontakt mit Infizierten gegeben habe. Es empfehle sich in einem solchen Fall, das örtliche Gesundheitsamt, den Bereitschaftsdienst 116 117 oder den Hausarzt anzurufen.

Auf die Behörden komme dann die normale Aufgabe der Risikoabwägung zu, bei der diese nach einem individuellen Kontaktpersonenschema arbeiteten, erläuterte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Sie müssten etwa herausfinden, wie eng Zusammentreffen an einem besagten Tag gewesen seien, ob Menschen mit oder ohne Mundschutz auf Tuchfühlung gegangen seien und sich etwa geküsst hätten. Jeder Hinweis sollte weiter verifiziert werden.

Mit der App sieht Teichert einen Appell an die Öffentlichkeit verbunden: "Wir wollen die Pandemie bekämpfen" und Infektionsketten möglichst früh stoppen. Damit sieht sie aber auch die Politik und die Verwaltung gefordert. "Wir müssen aber auch Personal aufstocken." Auch wenn sie nicht davon ausgehen, dass die Zahl der potenziell Infizierten mit der Mobilanwendung rasant ansteige, werde das technische Hilfsmittel doch zu Mehrarbeit bei den Ämtern führen in einer Zeit, wo diese schon zu wenig Mitarbeiter hätten und ihnen seit März zugewiesene Hilfskräfte gerade wieder abgerufen würden.

"Man kann die Leute mit einer Warnung nicht alleine lassen", ist der Praktikerin klar. Falls weitere Schritte als nötig erachtet würden, bestünden derzeit zumindest ausreichend Testkapazitäten in Höhe von bundesweit rund einer Million pro Woche, von denen aktuell nur 400.000 genutzt würden. Es gebe aber noch "Probleme mit den Laborschnittstellen" räumte sie ein. Einige der Einrichtungen seien noch nicht hinreichend digitalisiert. Sie seien so nicht befähigt, QR-Codes auszugeben, mit denen ein Nutzer bei einem positiven Ergebnis Kontakte warnen könne.

Bis dahin werde der Verifizierungsprozess über eine Hotline laufen, bestätigte Teichert frühere Berichte. Die zusätzliche Schleife solle aber bald wieder entbehrlich werden, da alle Testinstitute sukzessive an das System angeschlossen würden. Prinzipiell seien "alle Laborergebnisse verschlüsselt", nur mit dem passenden Gegenschlüssel könne "das Tor geöffnet" werden, was in der Entscheidung jedes Einzelnen liege. Dieser Aspekt der Freiwilligkeit sei im Interesse der Akzeptanz der App in der Bevölkerung ganz wichtig. Für die Gesundheitsämter "ist es aber ein bisschen schade", dass es "keinen Austausch der Daten gibt".

Derzeit seien rund 53 Prozent der Bundesbürger bereit, die Anwendung zu installieren, berichtete Cornelia Betsch als Initiatorin des Marktforschungsprojekts Covid-19 Snapshot Monitoring (Cosmo). Bei diesem Anteil sei auch die Bereitschaft sehr hoch, Ergebnisdaten mit Dritten zu teilen. Die Zahlen seien hier mit der Zeit gestiegen, was für den hierzulande gewählten dezentralen Speicheransatz und ein höheres Vertrauen in die Behörden spreche. Auch sie unterstrich: "Die Freiwilligkeit ist ein ganz wichtiges Feature." Eine "Quasi-Verpflichtung" werde zwar "als effektiver wahrgenommen", aber "trotzdem abgelehnt".

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Eine Person, die eine Warnung erhält, braucht laut der Erfurter Professorin für Gesundheitskommunikation "sehr klare Anweisungen, was sie machen soll". Allein der Hinweis: "Ruf den Arzt an", sei nicht ausreichend. Die Gesundheitsämter müssten "nachhaltige Informationen" herausgeben, wie es für Betroffene konkret weitergehe und ob sie etwa einen laufenden Einkauf noch beenden könnten. Prinzipiell sei eine "Selbst-Quarantäne" bis vor Kurzem noch "relativ gut akzeptiert" gewesen.

Betsch empfahl, den sozialen Nutzern der App zu betonen und von einem "Citizen-Science-Projekt" zu sprechen: "Wir tragen alle dazu bei, etwas darüber zu lernen, wie man eine Pandemie bekämpfen kann." Zudem könne das gesellschaftliche Leben mit der Anwendung eher weiterlaufen. "Jeder, der die App nutzt, ist ein Gewinn" und bringe neue Erkenntnisse, versicherte Teichert. Je mehr, desto besser, aber man könne sich hier nicht an einem Fixpunkt orientieren.

Die etwa in Deutschland und der Schweiz eingesetzte Technik mit Abstandmessung per Bluetooth auf Basis der einschlägigen Schnittstelle von Apple und Google wertete Marcel Salathé, Professor für digitale Epidemiologie an der ETH Lausanne, als vergleichsweise zuverlässig. Damit lasse sich mit einer "guten Wahrscheinlichkeit sagen", dass eine infizierte Person in der Nähe gewesen sei. Die Entwickler könnten dabei einstellen, was die Signalstärke sei, die als nah gewertet werde. Praktikabel sei etwa ein Radius von zwei Metern.

Erste Erfahrungen aus Italien zeigen laut dem Schweizer, dass man "nicht tausende von Alarmen kriegt". Wenn die App anschlage, sei dies eine "gute Grundlage für Tests". Anwendungen, die mit dem dezentralen Protokoll arbeiteten, ließen sich auch recht einfach kompatibel gestalten und Codes mit dem System eines anderen Landes teilen. "Gewisse alte Geräte" könnten die Schnittstelle nicht nutzen, deren Zahl bewege sich aber "im tiefen einstelligen Bereich" oder allenfalls bei zehn Prozent".

Pläne von Apple und Google, die Funktion in ihre Betriebssysteme direkt zu integrieren, begrüßte Salathé: Die Nutzer müssten den beiden Tech-Konzernen schon heute vielfach vertrauen beim Schutz "unserer intimsten Geheimnisse" und nun auch in diesem Fall davon ausgehen, "dass die Daten nicht heimlich noch an sie" gehen.

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(mho)