Post aus Norwegen: Im Norden wie immer

Das Ölreich gilt als internationales Vorbild bei der Abwehr des Coronavirus. Ein bisschen mit Glück hatte es wohl aber auch zu tun.

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Post aus Norwegen: Das Wunder von der Westküste

Den Norwegern reicht ein Abstand von einem Meter.

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Inhaltsverzeichnis

Dass alles anders ist, merke ich schon bei meiner Einreise. Wenn ich sonst in Norwegen ankomme, marschiere ich einfach brav zur Gepäckausgabe und bin dann auch gleich aus dem Flughafen. Doch diesmal werden ich und meine Leidensgenossen aus der Frankfurt-Maschine in den Non-Schengen-Bereich des Osloer Airports Gardermoen geleitet, denn jeder – bis auf norwegische Staatsbürger natürlich – muss zu den Grenzern. Dass mich das, was dann folgt, eine gute Stunde meiner Lebenszeit kosten wird, weiß ich da noch nicht.

Der Mann hinter der Glasscheibe schaut sich gewissenhaft – nachdem er seine Handschuhe gewechselt und sich mit Desinfektionsmittel die Hände benetzt hat – meinen Personal- und Presseausweis an. Dann greift er zum Telefon und bittet mich, etwas zu warten. Schließlich treffe ich auf einen netten, aber verbindlichen jungen Mann von der Gardermoen politistasjon, die hier die Grenzkontrollen durchzuführen hat. Dem muss ich dann erklären, warum ich ausgerechnet jetzt, mitten in dieser Corona-Zeit, zu journalistischen Zwecken einreisen möchte – inklusive Demonstration einiger meiner Artikel auf meinem Laptop. Er kann zwar nicht ganz verstehen, dass ich trotz der standardmäßig angeordneten 10 Tage Quarantäne vorbeischauen möchte, lässt mich dann aber dennoch ins Land: Die Macht der freien Presse.

Eine Frau aus Österreich, die ebenfalls zusammen mit mir im Befragungsbereich sitzt, hat weniger Glück: Sie möchte nur gegen Kost und Logis zusammen mit ihren kleine Sohn für einige Monate auf einer Farm an der Küste arbeiten, doch ihre zugeordnete Grenzerin erklärt ihr, dass das nur ginge, wenn sie einen echten bezahlten Arbeitsvertrag hat. Ob sich die Beamtin vielleicht doch noch erbarmt hat – etwa gegen Vorabkauf eines Rückflugtickets –, bekomme ich nicht mehr mit, denn ich darf die Kontrolle endlich verlassen.

Die Norweger schaffen es also – zumindest hier am größten Flughafen des Landes – ihre Grenzen vor hier nicht arbeitenden Corona-Touristen zu schützen. Doch wie gelang es dem Land ansonsten, das Virus weitgehend fernzuhalten? Schließlich lag die Anzahl bestätigter Fälle Ende Juni bei nur 8832, es gab 249 Tote bei einer Einwohnerschaft von 5,3 Millionen Menschen. Das direkt daneben liegende Schweden wurde – aufgrund seiner offeneren Strategie – signifikant härter getroffen, auch das besser vergleichbare Dänemark mit seinen nur 500.000 mehr Einwohnern erwischte es mit 12675 Fällen und 604 Toten schwerer.

Nicht, dass die Norweger nur vernünftig gewesen wären. So tummelten sich auch in der dortigen Hauptstadt Anfang Juni mehrere Tausend Menschen, um nahezu völlig vom Social Distancing befreit in einer "Black Lives Matter"-Veranstaltung zu demonstrieren. Der inländische Tourismus brummt, die Norweger entdecken ihre Heimat wieder, da sie offiziell in ihre eingeübten Urlaubsparadiese wie Spanien, die Türkei oder Griechenland wegen Reisewarnungen nicht fliegen dürfen. Fjordhotels füllen sich, bekannte Ausflugsziele und Naturschönheiten, von denen es hier ja so viele gibt, werden von Norwegern aus den größeren Städten bestürmt. Auch fliegt man hier inländisch wieder mehr. Das Land hat sowieso den größten inländischen Flugverkehr Europas, da man einfach nicht anders schnell genug in andere Städte gelangt. SAS, Norwegian & Co. haben ihr Angebot zwar weiter eingeschränkt, doch die Maschinen, die fliegen, sind voll.

Post aus Norwegen

Norwegen ist ein Paradoxon: Die größte Öl- und Gasnation Europas ist gleichzeitig Klimaschoner Nummer Eins bei Stromerzeugung und Autoverkehr. An dieser Stelle berichtet Ben Schwan über Innovationen aus dem Land der Fjorde – und seine Eigenarten.

In Gardermoen erlebe ich Anfang Juni zudem eine Lockerheit, die ich aus Deutschland nicht kenne. Mein Grenzer trägt weder Maske noch Handschuhe, meine Mitflieger am Gate legen ihren Mund-Nase-Schutz erst an, wenn sie die Maschine besteigen. Mit meinem FFP2-Gerät samt Ventil, mit dem ich am Flughafen Frankfurt überhaupt nicht aufgefallen wäre, sehe ich verdammt overdressed aus. Dass nicht alles okay ist in Gardermoen erkennt man nur daran, dass viele der Läden und Restaurants geschlossen sind, so gibt es im internationalen Abflugbereich quasi nichts zu futtern bis auf Duty Free.

Das norwegische Gesundheitssystem hat allgemein einen guten Ruf. Es ist komplett – bis auf erschwingliche Zuzahlungen – steuerfinanziert. Außer man möchte gerne besonders schnell operiert werden – dann zahlt man für eine der Privatkliniken, wofür man allerdings von seinen Mitmenschen schief angeguckt wird, hat man sich doch irgendwie vorgedrängelt. Dennoch habe ich das Gefühl, dass man, zumindest in den kleineren Regionen, ziemlich viel Glück gehabt hat in Sachen Corona. Die Anzahl der Betten wird auch hier aufgrund von Sparmaßnahmen reduziert, es gibt einen scharfen Trend zur Zentralisierung. An Wochenenden sind manche Kliniken dicht und wenn man irgendwo im Fjord wohnt, muss man darauf hoffen, dass der Rettungshubschrauber auch bei Sturm landen und starten kann. Ich glaube also, dass Norwegen auch nur das hatte, was wir in Deutschland hatten: einfach etwas Glück.

(bsc)