Zombies im Orbit: Auf der Suche nach verlorenen Satelliten

Der Kanadier Scott Tilley ist Amateurfunker und Satellitenfan. Mit eigenem Equipment spürt er herrenlos gewordene Satelliten im Orbit auf.

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Mit DIY-Antenne auf der Suche nach verlorenen Satelliten

Scott Tilley fängt Radiosignalmuster aus dem All ein.

(Bild: Scott Tilley)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Der Kanadier Scott Tilley versteht sich als moderner Geisterjäger – er sucht nach extraterrestrischen Zombies: Satelliten in der Erdumlaufbahn, die "nicht mehr unter menschlicher Kontrolle stehen, entweder weil sie ihre Mission vollendet haben oder kaputtgegangen sind". Manche "taumeln stumpf und gehirnlos durch die Gegend und geben komische Geräusche von sich", sagt Tilley lachend. Andere senden teilweise noch kohärente Signale.

TR 7/2020

Tilley ist seit seiner Kindheit ein begeisterter Amateurfunker und ein Astronomie- und Satellitenfan. Tagsüber entwirft und installiert der Elektrotechniker Stromversorgungssysteme für Boote und Jachten. Doch nach der Arbeit richtet er seine Instrumente so oft es geht gen Himmel. "Neben Job und Familie komme ich nicht so oft dazu. Doch dann kam der COVID-19-Lockdown, und nach zwei Wochen Selbstisolation und etwas zu viel Gärtnern habe ich beschlossen, endlich ein aufgeschobenes Suchprojekt von meiner Liste anzugehen – LES-5", erzählt der Amateurfunker. Würde er wider Erwarten immer noch senden, wäre er einer der ältesten funktionierenden Satelliten.

LES-5 war ein vom Lincoln Laboratory am Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelter Kommunikationssatellit, den das US-Verteidigungsministerium 1967 in die Erdumlaufbahn schickte, um Satellitenkommunikation im militärischen Ultrahochfrequenz-Bereich (UHF) zu testen. Eigentlich wurde er 1971 abgeschaltet. Doch Tilley spürte sein Signal mit einer selbst gebauten Antenne und weiteren Eigenbau-Apparaturen tatsächlich auf. Er sendet nach wie vor mit 237 Megahertz (MHz), der Frequenz, die LES-5 auch während des Vietnamkriegs genutzt hatte. Sogar die Signalmodulation war die richtige.

Um sicherzugehen, dass es sich wirklich um LES-5 handelte, wartete Tilley ab, ob das Satellitensignal im Frühjahr verschwindet, wenn der Flugkörper vorübergehend in den Erdschatten gerät. Da LES-5 sich über Solarmodule statt Batterien mit Strom versorgt, pausiert er notgedrungen im Erdschatten. Tatsächlich brach das Signal ab und tauchte eine gute Stunde später wieder auf, als der Satellit den Erdschatten verließ. Amateurfunk-Kollegen in Italien bestätigten seinen Fund.

"Ich vermute, dass er sich irgendwie wieder angeschaltet hat und in eine Art Embryonalzustand zurückgekehrt ist, ähnlich dem nach seinem Aussetzen in die Umlaufbahn, als er auf Anweisungen von der Erde gewartet hat", erklärt Tilley. Zum Zombie macht ihn jedoch, dass nur sein Telemetriesender wiedererwacht ist – sein Transponder aber nicht.

Tilleys Liste umfasst 50 Zombie-Satelliten. Einige davon möchte er noch suchen, andere hat er schon gefunden. Sein wohl bedeutendster Fund gelang ihm im Januar 2018, als er – eigentlich auf der Suche nach dem als geheim eingestuften SpaceX-Satelliten Zuma – per Zufall den NASA-Satelliten Image wiederentdeckte. Image sollte als Erster die Einflüsse der Sonnenwinde auf das Erdmagnetfeld kartieren und wurde 2000 in den Orbit gebracht, verschwand jedoch vom Radar und galt seit 2005 als verschollen. Der NASA gelang es nach Tilleys Entdeckung, wieder Kontakt mit Image aufzunehmen. Die Behörde hoffte, seine Software aktualisieren zu können, verlor im Mai ihren Satelliten jedoch erneut.

Neben seiner persönlichen Begeisterung für die Zombie-Jagd sieht Tilley in der Suche nach verschollenen Satelliten auch einen praktischen Nutzen. Es sei wichtig zu wissen, welche Satelliten sich am Ende ihres Arbeitslebens nicht verlässlich abschalten ließen und eventuell andere in ihrer Funktion stören. Vor allem dann, wenn Firmen ihre Vision vom Internet aus dem All wahr machen und "es Hunderte, wenn nicht Tausende Satelliten vom selben Design gibt".

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