Warum ein neues GroKo-Gesetz die Meinungsfreiheit einschränken wird

Die Bundesregierung will „Hasskriminalität“ im Internet bekämpfen und schränkt deshalb Grundrechte ein. Dass der Zweck alle Mittel heiligt, stellen nicht nur freiheitsliebende Bürgerrechtler in Frage.

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Warum ein neues GroKo-Gesetz die Meinungsfreiheit einschränken wird
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Bedenken Sie ironisch-kritische Postings auf Facebook öfter mal mit einem Like? Oder zanken Sie sich im Forum des Kleingartenvereins gerne deftig mit dem Nachbarn um den Heckenschnitt? Bald sollten Sie vorsichtiger werden: Wenn das „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ in Kraft tritt, drohen Strafverfolgung und harte Sanktionen auch bei leichteren Entgleisungen, die bislang noch unter die Meinungsfreiheit fallen.

Am 18. Juni hat der Bundestag dieses Gesetzespaket mit den Stimmen der Großen Koalition durchgewunken und damit neuerlichen Einschränkungen von Artikel 10 des Grundgesetzes („Fernmeldegeheimnis“) den Weg bereitet. „Die Flut menschenverachtender Volksverhetzungen und Bedrohungen im Netz lässt Hemmschwellen sinken. Die Spirale von Hass und Gewalt müssen wir stoppen.“ So rechtfertigt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) die in ihrem Haus entwickelten legislativen Maßnahmen. Das ist ein ehrenwertes Anliegen, doch viele Vertreter aus Zivilgesellschaft, Unternehmensverbänden und sogar der EU-Kommission bezweifeln, dass das Gesetz dazu beiträgt, und sie befürchten enorme Kollateralschäden für die Bürgerrechte.

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Bundestag: „Die Spirale von Hass und Gewalt ­müssen wir stoppen.“

(Bild: Kai Nietfeld/dpa)

Formal besteht das neue Paket aus diversen Änderungen an mehreren Gesetzen, insbesondere dem Telemediengesetz (TMG), dem Strafgesetzbuch (StGB), der Strafprozessordung (StPO) und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Letzteres ist seit 2017 in Kraft, die längst überfällige Evaluierung zur Wirksamkeit steht nach wie vor aus.

Dennoch verschärft es die Bundesregierung nun deutlich: Bislang müssen Plattformen mit mehr als zwei Millionen Nutzern – de facto also insbesondere Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und TikTok – von Nutzern gemeldete, als rechtswidrig erkannte Inhalte binnen 24 Stunden entfernen. Nun müssen sie von sich aus die gesperrten Beiträge auch behördlich melden, samt zugehöriger IP-Adresse und Portnummer, und zwar über eine definierte Schnittstelle direkt ans Bundeskriminalamt (BKA), das dann die Eingaben prüfen und gegebenenfalls strafrechtliche Ermittlungen aufnehmen soll. Nur unter bestimmten Umständen und frühestens vier Wochen nach Meldung soll der gemeldete Nutzer von der Übertragung seiner Daten ans BKA informiert werden.

Wenn das Gesetz in Kraft tritt, dürfte eine Flut derartiger Meldungen auf die oberste Polizeibehörde einprasseln. Die großen Netzwerkbetreiber müssen dann in jedem Einzelfall schnell entscheiden, ob sie in diesem Posting oder jenem Like eines volksverhetzenden Beitrags eine sperrwürdige Aktion sehen. Weil das NetzDG sanktioniert, wenn zu wenig strafbarer Inhalt gesperrt wird, werden sie voraussichtlich eher zu viel sperren und ans BKA melden.

Wie das BKA und die Gerichte dem begegnen, ist bislang völlig offen. Schon heute stößt die Strafverfolgung von Äußerungsvergehen deutlich an Kapazitätsgrenzen. Bundesjustizministerin Lambrecht rechnet mit mindestens 150.000 zusätzlichen Verfahren pro Jahr. Sie betonte, Polizei und Justiz müssten eben entsprechend ausgestattet werden: „Das BKA wird 252 neue Mitarbeiter bekommen. Und für die Justiz der Bundesländer haben wir einen Mehrbedarf von 265 Stellen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten geschätzt.“

Verschärfend kommt hinzu, dass die GroKo neue Delikte in den Katalog aufgenommen und den Strafrahmen erhöht hat. Einige Beispiele: Bislang war nur die konkrete Bedrohung mit einem Verbrechen strafbar. Dies gilt bald auch für Drohungen mit Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen Sachen von bedeutendem Wert, die sich gegen die Betroffenen oder ihnen nahestehende Personen richten. Der Strafrahmen soll bei Drohungen im Netz statt bei bislang einem Jahr Freiheitsstrafe bei bis zu zwei Jahren liegen – und bei der Drohung mit einem Verbrechen, die öffentlich erfolgt, bei bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Auch der Strafrahmen für einfache Beleidigungen, üble Nachrede oder Verleumdungen wird im StGB spürbar erhöht.

Nach dem geänderten Paragraf 140 StGB wird künftig auch die Billigung künftiger schwerer Taten erfasst sein. Lambrecht zufolge richtet sich diese Maßnahme „gegen Versuche, ein Klima der Angst zu schaffen. Das öffentliche Befürworten der Äußerung, jemand gehöre ‚an die Wand gestellt‘ ist ein Beispiel für die künftige Strafbarkeit.“ Auch antisemitische Tatmotive nimmt das Paket als strafschärfende Beweggründe in das Strafgesetzbuch auf.

Während die NetzDG-Verschärfung lautstark kritisiert wurde, liefen andere, wohl gravierendere Änderungen weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit mit. Eine Änderung des TMG in Verbindung mit einer Anpassung der StPO bewirkt, dass Strafverfolgungsbehörden beim Verdacht auf bestimmte, schwerwiegende Äußerungsdelikte die Herausgabe von Bestandsdaten, auch von Nutzer-Passworten, von jedem Teledienst verlangen können. Dies betrifft wohlgemerkt nicht nur die großen vom NetzDG umfassten Plattformen, sondern jedes Webforum und jede Website.

"Das ist ein Skandal!"

Zwar steht diese Regelung unter einem Richtervorbehalt. Doch der Richter entscheidet nicht, ob es sich um eine der Katalogstraftaten handelt, diese Prüfung obliegt dem Teledienst. Dieser entscheidet also faktisch, ob er sämtliche Daten seines Nutzers preisgibt. Der Bundesrat hatte diese Regelung kritisiert, doch seine Kritik wurde vom Bundestags-Rechtsausschuss und der GroKo abgeschmettert. Der Strafrichter und Vorsitzende der Gesellschaft für Freiheitsrechte Ulf Buermeyer legte sich fest: „Das ist ein Skandal! Es ist das bewusste Spekulieren darauf, dass die Grenzen des TMG ausgereizt werden.“

Zwar speichern die meisten Dienste Passwörter nicht im Klartext, sondern als Hash, sodass sie sie selbst nicht einsehen können. Und es gibt keine Verpflichtung im Gesetz, die Daten entschlüsselt zu übertragen. Doch Buermeyer sieht große Gefahren, weil die Behörden mit Brute-Force-Attacken auf Hashes von kurzen Passwörtern sicherlich viele Treffer landen könnten. Wer sich davor schützen möchte, sollte künftig folglich sehr lange Zufallsphrasen als Passwörter wählen.

Kritiker am „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ bemängeln, dass die GroKo zwei NetzDG-Änderungen parallel angegangen ist, die sich teilweise sogar in die Quere kommen: Die zweite anstehende Änderung soll dafür sorgen, dass unberechtigt gesperrte Beiträge von den Plattformen auf Beschwerde hin wieder online gebracht werden. Doch dann ist die Meldung ans BKA bereits passiert und die Daten sind weitergegeben. Die GroKo ficht das nicht an. Das Gesetz ist vom Bundestag beschlossen und nicht zustimmungspflichtig. Das heißt, es tritt im Herbst in Kraft, wenn der Bundesrat keinen Einspruch erhebt, wovon angesichts der Mehrheitsverhältnisse nicht ausgegangen werden kann.

Unterdessen verfolgt die EU-Kommission sehr genau das wilde gesetzgeberische Treiben in Deutschland. Schon das erste NetzDG war ihr suspekt, setzt die EU doch eher auf das Konzept der „regulierten Selbstregulierung“, um die Meinungsfreiheit auf den Plattformen möglichst wenig anzutasten. Bereits 2016 vereinbarte die EU-Kommission mit Facebook, Microsoft, Twitter und YouTube einen Verhaltenskodex, dem sich seither noch weitere Unternehmen wie TikTok anschlossen.

In der fünften Evaluierung dieses Kodex bescheinigte die Kommission Ende Juni den Plattformen, vernünftig mitzumachen: Die Plattformen überprüften dem Bericht nach europaweit zuletzt im Durchschnitt 90 Prozent der gemeldeten Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden – 2016 waren es nur 40 Prozent gewesen. „Der Verhaltenskodex ist eine Erfolgsgeschichte“ kommentierte die zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova.

Die Kritik am deutschen Sonderweg wächst. Aus hochrangigen Kommissionskreisen erfuhr c’t, dass man der „unkoordinierten Regulierungswut einiger Staaten“ entgegenwirken wolle. Gemeint sind Deutschland und Frankreich mit ihrer drakonischen Gesetzgebung gegen Hate Speech. Konkret setzt die EU-Kommission ihr Mammutprojekt „Digital Services Act“ dagegen. Dieses Vorhaben soll die Haftung von Telediensten und sozialen Plattformen neu regeln und damit die überalterte E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2001 ablösen.

Momentan ruft die zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager jedermann zu Stellungnahmen auf. Diese Konsultation läuft bis zum 8. September. Im Herbst geht es dann ans Eingemachte, und noch in diesem Jahr soll ein Gesetzentwurf zum Digital Services Act vor-liegen. Ob es sich um eine Richtlinie oder eine Verordnung handeln wird, ist bislang offen.

Eines steht nach Informationen von c’t fest: Das Haftungsregime für Teledienste will die EU-Kommission beibehalten. Plattformen sollen weiterhin erst nach Kenntnis rechtswidriger Inhalte aktiv werden; eine proaktive Suche, wie sie etwa die Urheberrechtsrichtlinie vorsieht, ist nicht vorgesehen. Als Vorbild zur Regulierung gilt intern die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Es gelte, vernünftigere Notice-and-Takedown-Verfahren zu etablieren, als es das NetzDG tut.

Dieser Artikel stammt aus c't 15/2020. (hob)