Wirecard-Skandal: Scholz will Finanzaufsicht stärken

Der Skandal um fehlende Milliarden beim Finanzdienstleister Wirecard bringt die Finanzaufsicht in Erklärungsnot und die Bundesregierung unter Handlungsdruck.

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Wirecard-Skandal: Scholz will Finanzaufsicht stärken

(Bild: Wirecard)

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  • dpa
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Bundesfinanzminister Olaf Scholz will die deutsche Finanzaufsicht stärken. Angesichts des Wirecard-Skandals sei es nun Aufgabe des Gesetzgebers, "die Schutzmechanismen zu überprüfen und zu verbessern", sagte der SPD-Politiker der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) müsse mehr Durchgriffsrechte bei der Kontrolle von Bilanzen bekommen, "unabhängig davon, ob der Konzern eine Banksparte hat oder nicht".

Die Bafin brauche "die Möglichkeit, jederzeit Sonderprüfungen in großem Umfang durchführen zu können", sagte Scholz. Große Zahlungsdienstleister sollten generell der Finanzaufsicht unterliegen. Die Anstalt könnte zudem personell verstärkt werden. "Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Bafin mehr Geld, mehr Stellen und mehr Kompetenzen benötigt, werde ich mich dafür einsetzen, dass das passiert", sagte Scholz.

Zuvor hatten alle Bundestagsfraktionen eine Reform der Behörde, die der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums untersteht, gefordert. Auch das Justizministerium hatte bereits angekündigt, zusammen mit dem Finanzministerium das Ausmaß des Reformbedarfs analysieren zu wollen. Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Florian Toncar, sagte am Sonntag zu Scholz Vorschlägen, diese seien "ein Schritt in die richtige Richtung, gehen aber nicht weit genug".

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Fabio De Masi, begrüßte den Vorschlag einer umfassenden Prüf-Zuständigkeit der Bafin. "Dies muss im Zeitalter von Fin-Tech und digitalen Geschäftsmodellen unabhängig davon erfolgen, ob ein Unternehmen einen hohen technologischen Anteil hat – solange es finanznahe Dienste erbringt", sagte De Masi dem Handelsblatt. "Zudem muss stärker in die digitale Forensik bei Bilanzprüfungen investiert werden, damit Prüfer nicht mit dem Bleistift bewaffnet vor Weltkonzernen stehen." Der Finanzexperte der Grünen, Danyal Bayaz, kritisierte, der Finanzminister habe "die Neuaufstellung der Aufsicht verschlafen".

Der seit knapp zwei Jahren im Dax gelistete Zahlungsdienstleister Wirecard hatte kürzlich eingeräumt, dass 1,9 Milliarden Euro, die das Unternehmen auf Treuhänderkonten verbucht hatte, sehr wahrscheinlich nicht existieren. Inzwischen hat die Firma mit Sitz in Aschheim bei München Insolvenz angemeldet. Die mutmaßlichen Bilanzmanipulationen blieben über Jahre unentdeckt.

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab – an Ladenkassen wie online. Bafin-Präsident Felix Hufeld hatte in der vorigen Woche angesichts der Kritik an seiner Behörde auf begrenzte Handlungsmöglichkeiten der Finanzaufsicht hingewiesen. "Das Problem ist: Wen beaufsichtigen wir?"

Technologiedienstleister und Technologieunternehmen, die keine Finanzinstitute seien und nicht von Finanzaufsichtsbehörden beaufsichtigt würden, verschmölzen immer mehr mit Bankdienstleistungen und Bankinstituten. "Und das ist natürlich jenseits des speziellen Falles Wirecard eine viel größere Herausforderung, die wir überall sehen", sagte Hufeld und sprach von Fragen, "die ich in den letzten zwei Jahren oft gestellt habe, und die wir auf einer regulatorischen, also politischen Ebene adressieren müssen". Formal war die Bafin nur für einen Teil des Wirecard-Konzerns zuständig: die Wirecard Bank. Der Gesamtkonzern Wirecard sei im Einvernehmen diverser Aufsichtsbehörden als Technologieunternehmen eingestuft worden.

Eine Schlüsselfigur im Bilanzskandal ist neben Ex-Vorstandschef Markus Braun der früher im Wirecard-Vorstand für das Tagesgeschäft zuständige Manager Jan Marsalek. Seine Spur verlor sich, wie bislang angenommen wurde, vor gut zehn Tagen auf den Philippinen. Öffentlich gemacht hat die Staatsanwaltschaft, dass gegen Braun, Marsalek und andere wegen Verdachts unrichtiger Angaben und Marktmanipulation ermittelt wird.

Unterdessen wurde bekannt, dass Marsalek womöglich doch nicht über die Philippinen nach China gereist ist. Die Daten, die die Einreise und Ausreise des früheren Vorstands Ende Juni dokumentieren sollen, seien gefälscht, sagte der philippinische Justizminister Menardo Guevarra am Samstag. Dies habe eine Untersuchung der Aufnahmen von Überwachungskameras, Passagierlisten und anderem Material ergeben. "Die Beamten der Einwanderungsbehörde, die diese fiktiven Einträge vorgenommen haben, wurden von ihren Aufgaben entbunden und müssen nun mit verwaltungsrechtlichen Strafen rechnen", sagte Guevarra weiter, ohne die genaue Zahl der Mitarbeiter zu nennen. Er habe weitere Ermittlungen in dem Fall angeordnet.

(axk)