Die magische Pille schnellen Fahrens

Wir wären alle gern Fahrgötter wie Michael Schumacher, Walter Röhrl oder Valentino Rossi. Doch kaum jemandem gelingt es, sich überhaupt zu verbessern. Warum?

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Die magische Pille schnellen Fahrens

Coaching von Dario Giuseppetti. Auf diesem Zettel stehen Übungsbaustellen für locker 2 Jahre Training.

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Vor ein paar Jahren schrieb ich für das Motorradmagazin "Fastbike" einen Aufsatz zum Thema "Warum ist mein Kumpel schneller als ich?". Es ging dabei ums schnell Motorradfahren auf der Rennstrecke. Das Grundproblem existiert jedoch auf allen Entwicklungswegen, die ein Mensch gehen kann. Warum ist mein Kumpel dünner als ich? Wir laufen doch gemeinsam! Warum spielt Harald besser Go als ich und warum fährt Nina schneller Motorrad? Und warum kann ich nicht Autofahren wie Walter Röhrl? Das Leben scheint grob unfair. Sofort fallen uns alle möglichen Rennfahrerausreden ein, wieso gerade uns das Schicksal besonders übel mitspielt. Mein Körper legt sogar im Kaloriendefizit Fettlager an! Gemein! Wenn ich ein besseres ABS hätte, könnte ich später bremsen! Die Zahl der physikalisch zweifelhaften Selbstschmeicheleien geht gegen unendlich. Sie sind bestenfalls irrelevant, meistens unwahr, erstaunlich häufig physikalisch unmöglich. Es liegt an ganz anderen Dingen.

In meinem Aufsatz kamen alle Aspekte vor, die beim schnell Motorradfahren hineinspielen. Ich sprach mit Rennfahrern über ihre Geisteshaltung. Meine Abmachungen mit Martin Franz verbieten mir, die Äußerungen der Racer wörtlich wiederzugeben, denn sie wurden unter Bemühung nicht unerheblicher verbaler sexueller Gewalt formuliert. Nehmen wir andere Körperteile als Visualisierungshilfen: Es geht um Einstellungen mit Ellbogeneinsatz. Der, der vor mir fährt, soll das nicht mehr tun, und wenn es mich einen Arm, ein Bein und ein Motorrad kostet! Ich sprach über Motivation, Fitness, Fahrzeugwahl, Psychologie, Angst und Unfallverarbeitung. All diese Dinge haben sicherlich Einfluss auf den Erfolg. Doch sie sind unerheblich im Vergleich zu dem, was den wirklichen, großen, eigentlichen Unterschied macht:

Das angelsächsische Lehnwort "Training" hat sich bei uns deshalb so verbreitet, weil es eine Ebene über "Übung" hinaus reicht. Der Duden erklärt das Wort als "planmäßige Durchführung eines Programms von vielfältigen Übungen zur Ausbildung von Können ...". Training bedeutet also vor allem planvolle Arbeit. Diese Begriffsdefinition ist wichtig, denn sie hilft bei der Unterscheidung zwischen zwei Fällen: a) Eine Person versucht methodisch gezielt, sich in irgendetwas zu verbessern und b) eine Person hat viel Übung darin, etwas immer gleich gut zu erledigen. Es gibt unzählige Beispiele, in denen jemand seit Jahrzehnten eine Tätigkeit auf einem mittelmäßigen Niveau ausübt, ohne sich darin zu verbessern. Das ist normal. Die Evolution schenkt uns Neulingsboni nur bis zum Niveau "gerade gut genug". Alles darüber hinaus erfordert gezieltes Training.

An was ich mich nach vier Jahren noch erinnern konnte: Rennreifen wären ganz gut, hier: Michelin Power Cup Evo. Vergessen: Ohne Reifenwärmer verschenkst du jeden Turn zwei Runden Fahrzeit zum Aufwärmen.

(Bild: Clemens Gleich)

Die Gewichtung meiner damaligen Aspekte zum Thema "schneller Fahren" würde ich heute daher komplett anders anlegen. Zuerst käme Training, und dann wäre der Artikel fertig. Der Rest ist schlicht nicht relevant für Hobby-Fahrer oder gehört zum Training dazu.

Am Wochenende bin ich zurückgekehrt aus Oschersleben, wo ich mit der Duke ein paar Turns Rennstrecke fuhr. Ich traf dort einen Menschen, den ich vor vier Jahren dort schon einmal getroffen hatte. Er fuhr weiterhin ein Superbike, doch ansonsten hatte sein Fahrverhalten nichts mehr mit damals zu tun. Zwischen seinem damaligen und heutigen Können lagen vier Jahre gezieltes Training: Coaching, Sektionstraining, regelmäßige Renntrainings zur Umsetzung der diversen Übungs-Baustellen, gezieltes Beintraining, damit der Hangoff nicht die Oberschenkel übersäuert. Ich habe in den vier Jahren nichts davon getan. Er fährt mir heute nicht nur davon, sondern kann mir obendrein sagen, warum und wo ich zuerst mal anfangen könnte mit Rundenzeitenverbesserungen.