Forensische Textanalysen: Ex-Geheimagent jagt jetzt Firmen-Erpresser

Wenn der Text zum Tatort wird: Ein ehemaliger Verfassungsschützer hat ein Institut für Textforensik gegründet, das Erpressern auf die Schliche kommen will.

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Forensische Textanalysen: Ex-Geheimagent jagt jetzt Firmen-Erpresser

(Bild: JARIRIYAWAT/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Leo Martin, 43, war ein 007 beim deutschen Geheimdienst. Doch ganz im Gegensatz zu seinem schauspielerischen Pendant vom britischen MI6 war Martins Wirken weder von Gewalt noch von Zerstörung geprägt. "Bei mir ging es darum, Vertrauen zu Menschen aufzubauen."

Martins Aufgabe als Geheimagent ist es gewesen, V-Leute im Milieu der organisierten Kriminalität aus dem ehemaligen Gebiet des Ostblocks anzuwerben und zu führen. V-Leute sind Vertrauensleute des Verfassungsschutzes, die gegen Geld oder andere Vorteile Geheimnisse verraten. Zehn Jahren hat Martin diesen für beide Seiten mitunter lebensgefährlichen Job gemacht.

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Sprachprofiler Leo Martin

(Bild: Sprachprofiler.de)

In den folgenden zehn Jahren hat er Bestseller geschrieben, hatte eine eigene Sendung im Privatfernsehen und er hat Vorträge gehalten auf Kongressen zu immer demselben Thema: Wie man Vertrauen zu anderen Menschen aufbaut und sie für eine Sache gewinnt. "Das habe ich von der Pike auf beim Verfassungsschutz gründlich gelernt und ausgiebig praktiziert." Vor zwei Jahren hat Martin das Institut für forensische Textanalyse gegründet. "Wir helfen Unternehmen, die anonym angegriffen, bedroht oder erpresst werden, und zwar immer dann, wenn der oder die Täter schriftlich vorgehen."

Die sprachwissenschaftliche Analyse machen meist Kollegen, Martin ist als studierter Kriminalist Führer der Fälle. Ähnlich einem leitenden Kommissar im Krimi. Martin hat das Gymnasium nach der 10. Klasse mit der mittleren Reife verlassen und dann eine Ausbildung als Polizist abgeschlossen, "als bester von fast 400 in meinem Jahrgang". Solche Sätze kommen immer wieder in dem Gespräch vor. Martin hat es gelernt, sich bei passender Gelegenheit stets in Szene zu setzen.

Gleich nach der Ausbildung bei der Polizei hat er zum Verfassungsschutz gewechselt, ist gleichzeitig vom mittleren in den gehobenen Dienst aufgestiegen und hat Kriminalistik studiert. Für den Verfassungsschutz gibt es viele Synonyme: Inlandsnachrichtendienst und Geheimdienst sind die gängigsten und Geheimagenten möglichst unauffällig. Martin ist etwa 1,80 m groß, sportlich trainiert mit dunklen kurzen Haaren. Er hat keine optischen Auffälligkeiten wie kleine Nase und große Ohren. "Ich bin keiner, der auffällt, und schwimme im Schwarm unauffällig mit." Martin ist einer, wie man sich einen Geheimagenten vorstellt. Einen, den man unterschätzt, wie er selbst über sich sagt. Das half enorm in seinem alten und hilft im neuen Job.

Am Institut für forensische Textanalyse melden sich überwiegend Unternehmen, aber auch Sicherheitsbehörden und Privatpersonen. Namen von aktuellen Auftraggebern will Martin nicht nennen aus demselben Grund, weshalb sie mit ihren anonymen Droh- oder Erpressungsbriefen nicht zur Polizei gehen, sondern zu ihm kommen: "Unsere Auftraggeber wollen stille Ermittlungen, die nicht an die Öffentlichkeit dringen. Außerdem stellt die Staatsanwaltschaft viele Fälle mit niedriger Priorität und schwierigem Tatnachweis ein."

Anonyme Drohbriefe gehören zu dieser Kategorie. Die bedrohten Klienten von Martin wollen vor allem wissen, woran sie bei dem Schreiber sind: Meint er es ernst, stimmen die Behauptungen im Schreiben und was will der Erpresser erreichen? Durch die technischen Möglichkeiten und die Anonymität des Internets war es nie einfacher als heute, einen anonymen Angriff zu starten. Sei es, dass der Brief am Computer geschrieben und ausgedruckt wird und damit kein Hinweis auf eine Handschrift vorhanden ist. Oder, dass der Angriff von einem Fake-Account aus per E-Mail läuft.

Die Hemmschwelle, einen Drohbrief zu schreiben, ist deutlich niedriger, als etwa zum Telefon zu greifen und sich auf eine persönliche Konfrontation einzulassen. Deshalb wird überwiegend schriftlich erpresst. Das Spektrum der falschen Behauptungen ist breit gefächert: X hat über fingierte Beraterverträge Millionen ins Ausland verschoben, im Bereich Y wird regelmäßig gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, Z hat die Gegenseite während der laufenden Verhandlungen mit Insiderinformationen versorgt.

"Für ihr Stillschweigen wollen sich die Schreiber der Briefe oft honorieren lassen." Meist haben die Auftraggeber einen konkreten Verdacht, wer hinter dem Angriff stecken könnte. Sind beispielsweise in einem Erpresserschreiben Informationen enthalten, die nur ein ganz bestimmter Personenkreis kennen kann, dann stammt der Schreiber zwangsläufig aus dieser Runde. Damit ist die Ausgangslage in vielen Fällen klar: Es besteht ein Verdacht!

Und der Tatort ist immer der Text. Martin ist als Fallführer der erste Ansprechpartner für die Auftragsgeber und Schnittstelle zu den Sprachprofilern. Das ist im Vergleich zum Kommissar im Krimi, wenn der die Kriminaltechnik einschaltet, um Spuren zu finden, die zum Täter führen können. "Von den verdächtigen Personen vergleichen die Sprachprofiler Briefe mit dem Erpressungsschreiben anhand von Wortwahl, Grammatik und Sprachpsychologie." Dann wird ein Gutachten erstellt und dem Auftraggeber übergeben.

"Weltweit gibt es keine Software, die halbwegs auf dem Niveau eines Linguistikers Texte forensisch analysieren kann." Experten würden davon ansatzweise in etwa zehn Jahren ausgehen, sagt Martin. Mindestens so lange bleibt forensische Textanalyse intelligente Arbeit von gut ausgebildeten Menschen.

"Wenn ich etwas gut kann, dann Krisenmanagement", sagt Martin über sich selbst. Er verfolgt seine Ziele klar, lässt sich nicht auf andere Fährten abbringen. Seine Entscheidungen sind pragmatisch und er arbeitet immer mit einem Team. Ihn bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Im Studium der Kriminalistik hat er kriminalistisches Denken gelernt. "Das bedeutet: nichts persönlich nehmen und emotionale Distanz wahren." Dieses Verhalten mag ihn mitunter kalt wirken lassen, ist aber nie persönlich gemeint. Dem Mann geht es im Berufsleben immer um die Sache.

Den Markt, für den er seine Dienste anbietet, beschreibt er als "klein mit hoher Eintrittshürde", nämlich der speziellen Kombination aus kriminalistischer Arbeit und forensischer Linguistik. Das Einkommen solcher Arbeit schätzt er auf das Niveau eines Rechtsanwalts.

Er nimmt nicht jeden Fall an, sondern nur die lösbaren und nicht immer ist es das Ziel, den Schreiber der Briefe zu überführen. "Wenn das Bedrohungspotenzial in solchen Schreiben gering ist, muss man sich auch nicht die Mühe machen und den Verfasser der Schrift zu finden." Aus einem Kreis Verdächtiger von etwa 10 Personen ist er sich sicher, den anonymen Schreiber eines Briefes mit ziemlicher Sicherheit herauszufinden. So verräterisch ist unsere Art zu schreiben.

(axk)