Massenüberwachung: Wie Microsoft den Polizeistaat beflügelt

Microsoft unterstützt die Polizei in den USA mit speziellen Überwachungsplattformen und Cloud-Lösungen, auf die auch andere Hilfssheriffs bauen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 76 Kommentare lesen
Massenüberwachung: Wie Microsoft den Polizeistaat beflügelt

(Bild: pixinoo / Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Im digitalen Zeitalter geht auch bei der Polizei ohne die Zusammenarbeit mit Tech-Firmen nicht mehr viel. "Microsoft ist zusammen mit Amazon und anderen Cloud-Anbietern einer der Hauptakteure in diesem Bereich", schreibt das Online-Magazin The Intercept in einer Reportage über den von Microsoft mit Massenüberwachung, biometrischer Gesichtserkennung und Online-Datendiensten vorangetriebenen "Polizeistaat".

Microsoft stehe zwar im Gegensatz zu anderen Tech-Größen auch nach den Black-Live-Matters-Protesten nicht im Zentrum der öffentlichen Kritik, heißt es in dem Dossier von The Intercept. Der Konzern verschleiere aber gezielt seine einschlägigen Geschäftsbeziehungen, stecke "knietief in Dienstleistungen für die Strafverfolgung" und fördere ein System von Unternehmen, "die der Polizei Software über Microsofts Cloud und andere Plattformen zur Verfügung stellen".

Als Beispiel nennt das Magazin die von der Firma entwickelte "Massenüberwachungsplattform für Polizisten" in Form des "Domain Awareness System" (DAS). Microsoft habe das System für das New York Police Department (NYPD) gebaut und später auf Atlanta, Brasilien und Singapur ausgeweitet. Das Portal integriere unterschiedliche Informationsquellen, um die drei Kernfunktionen Echtzeit-Alarm, Hilfe bei alltäglichen Ermittlungen und kriminalpolizeiliche Analysen zu erfüllen.

Durch das System beobachte das NYPD die persönlichen Bewegungen der gesamten Metropole, führt der Autor aus. Anfangs habe es Daten aus Kameras zur Videoüberwachung, Umweltsensoren und automatischen Kfz-Kennzeichen-Scannern aufgenommen. Von 2010 an seien Aufzeichnungen von Beschwerden, Verhaftungen, Notrufen und Haftbefehlen hinzugekommen, um das bisherige Material in einen Kontext zu bringen. Mittlerweile habe die Behörde Videoanalysen, automatische Mustererkennung, Techniken für Predictive Policing und eine App für die Ordnungshüter hinzugefügt.

Schon bis 2016 soll das DAS unter anderem zwei Milliarden Nummernschildaufnahmen bei 3 Millionen Lesevorgängen pro Tag bei einer Speicherfrist von fünf Jahren, 15 Millionen Beschwerden, mehr als 33 Milliarden öffentliche Dateneinträge, über 9000 Kameraaufzeichnungen sowie Videos von mehr als 20.000 Bodycams enthalten haben. Das gesamte Archiv lasse sich mit speziellen Algorithmen durchsuchen, um relevanten Daten sowie neuen Erkenntnissen auf die Spur zu kommen.

Zudem hat sich Microsoft dem Bericht nach mit zahlreichen Anbietern von Überwachungssystemen zusammengeschlossen, die ihre Produkte auf der "Government Cloud" der Azure-Sparte des Unternehmens betrieben. Der Konzern vermarkte zudem Plattformen etwa für Drohnen und Roboter, um Polizeieinsätze auf lokaler, staatlicher und föderaler Ebene zu vernetzen. Kaum bekannt sei ferner, dass Microsoft eine Abteilung "Öffentliche Sicherheit und Justiz" mit Mitarbeitern unterhalte, die früher in der Strafverfolgung tätig gewesen seien. Dabei handle es sich um das "wahre Herzstück" der Hilfssheriffdienste des Unternehmens.

Neben der konzeptuellen Skizze eines rundum vernetzten Polizisten ("The Connected Officer") hat die Firma die "Microsoft Advanced Patrol Platform" (MAPP) als White-Label-Lösung für ein mit dem "Internet der Dinge" verbundenes Streifenfahrzeug auf den Markt gebracht. Diese integriert Überwachungssensoren und Inhalte von Datenbanken über die Azure-Cloud. Dazu gehören etwa Abfertigungsinformationen, Fahranweisungen, Aufzeichnungen über Verdächtige und standortbezogene Kriminalitätsdossiers, ein per Sprache steuerbares Kennzeichenlesegerät, eine Vermisstenliste und Schichtberichte.

Eine vom Microsoft-Partner Aeryon Labs bereitgestellte Drohne, der SkyRanger, patrouilliere parallel den Himmel, um Live-Streams zu liefern, ist dem Bericht zu entnehmen. Die unbemannten Fluggeräte könnten der Datenplattform Luftaufnahmen zur Verfügung stellen, die es den Beamten auch ermöglichten, forensische Beweise von einem Tatort zu sammeln. An die MAPP könnten zudem Polizeiroboter etwa von ReconRobotics angeschlossen und ferngesteuert werden. Ein so hochgerüsteter Wagen wird laut Microsoft zum "Nervenzentrum" der Strafverfolgung.

Dank Kooperation und kritischer Infrastruktur aus Redmond biete "eine Schattenindustrie kleinerer Firmen der Staatsmacht weitere breite Überwachungsfunktionen, arbeitet der Verfasser heraus. Genetec etwa biete so eine Cloud-basierte Videoüberwachung und Big-Data-Analysen an, Veritone Dienste zur automatisierten Gesichtserkennung. In Chicago deckten so 35.000 Kameras die Stadt ab. Detroit ermuntere seine Einwohner, ein "grünes Licht" neben installierte elektronische Augen zu stellen, die mit einem polizeilichen Analysezentrum verknüpft seien. Bei der dort ebenfalls erfolgenden biometrischen Erkennung passieren aber Fehler.

Vorigen Monat baten Hunderte von Microsoft-Mitarbeitern ihren Chef Satya Nadella, Verträge mit Strafverfolgungsbehörden zu kündigen und Black Lives Matter zu unterstützen. Der Konzern kündigte daraufhin an, keine eigenen Programme zur Gesichtserkennung an die US-Polizei verkaufen zu wollen. Dabei handelt es sich dem Bericht nach aber um einen PR-Trick, da die Technik fester Bestandteil vieler Videoüberwachungssysteme und Kriminalitätszentren sei, die Microsoft in mehreren US-Städten betreibe. Das volle Ausmaß des Einbezugs des Unternehmen in den Polizeikomplex sei kaum auszuloten, da es Cloud-Deals mit Drittparteien nicht immer öffentlich mache. In Redmond wollte die Zusammenschau keiner kommentieren.

(olb)