Kommentar: Fünf Jahre Windows 10 - und es gibt reichlich zu tun ...

Windows 10 wird 5 – "na herzlichen Glückwunsch", sagt c't-Redakteur Jan Schüßler. Warum es seiner Gratulation an Enthusiasmus fehlt, erklärt er im Kommentar.

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Kommentar: Fünf Jahre Windows 10

(Bild: Dikushin Dmitry / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jan Schüßler
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Windows 10 wird 5 – wenn das kein Grund zum Feiern ist. Doch wie kam es eigentlich soweit? Naheliegenderweise wollte Microsoft mit seinem neuen Betriebssystem nicht wieder so tief ins Klo greifen wie bei Windows 8, bei dem man sich bis heute streiten kann, ob es das meistgehasste Windows ist oder ob dieser Titel doch an das extrem ressourcenfressende Windows Vista geht.

Ein Kommentar von Jan Schüßler

Jan Schüßler schreibt seit 2013 bei c't und heise online über Windows 10 und Windows-Praxis-Themen. Außerdem befasst er sich hin und wieder mit Virenscannern, Astronomie-Apps und Audio-Basteleien.

Klar war vor allem, dass ein Windows nach 8.1 wieder ein irgendwie geartetes Startmenü haben muss. Die auf Desktops und Notebooks kaum sinnvolle "Startseite" steckt zwar nach wie vor in Windows 10. Sie wird allerdings nur im Rahmen des Tabletmodus aktiv, in den Windows 10 auf Wunsch automatisch wechselt, wenn es sich auf einem Tablet oder umgeklappten Convertible wähnt.

Microsofts ehrgeiziges Ziel war ein so beliebtes System, dass man innerhalb von zwei bis drei Jahren auf eine Milliarde Installationen käme. Tatsächlich war es erst im März dieses Jahres soweit. Einen kleinen Anteil an der Verzögerung dürfte etwa der Rohrkrepierer Windows 10 Mobile haben. Das als drittes System neben Android und iOS geplante Smartphone-Betriebssystem hatte noch mehr Probleme als Windows Phone 8, sich durchzusetzen.

Um die Milliarde schnell vollzukriegen, bot Microsoft ein Jahr lang allen Besitzern eines lizenzierten Windows 7 oder 8.1 ein Gratis-Upgrade auf Windows 10 an. Der Konzern griff mit dem Gratis-Upgrade-Werbetool GWX dann aber zu derart aggressiven Drückermethoden, dass so mancher potenzieller Kunde schon aus Protest einen großen Bogen um Windows 10 machte. Seit August 2016 ist das Gratis-Upgrade-Programm ausgelaufen, oder besser gesagt: Microsoft redet nicht mehr darüber.

Tatsächlich lässt sich ein aktuelles Windows 10 nach wie vor mit Lizenzschlüsseln für Windows 7 bis 8.1 aktivieren:

Windows 10 mag nun offiziell seinen fünften Geburtstag feiern, doch eigentlich wurde schon vor fast sechs Jahren klar, wohin die Reise geht. Anfang Oktober 2014 veröffentlichte Microsoft die erste Betaversion im Testprogramm "Windows Insider". Wer Testversionen installieren will – das ist bis heute so –, soll sich dafür mit einem Microsoft-Konto anmelden und die speziellen Datenschutzbestimmungen abnicken.

Die haben es in sich: Microsoft räumt sich darin recht weitreichende Rechte ein, so ziemlich alles zu protokollieren und auszuwerten, was der Nutzer mit dem Testsystem macht. Das erledigen ins System integrierte Telemetriefunktionen; zusätzliche Infos und Kritik können Anwender über eine Feedback-App loswerden. Die Empfehlung lautete damals wie heute: Wer die Betaversionen ausprobieren will, sollte dafür nicht nur ein separates Microsoft-Konto erstellen, sondern das Ganze auch auf einem Rechner oder in einer VM tun, der mit keinerlei schützenswerten Daten in Kontakt kommt.

Als es in Richtung Fertigstellung der ersten Windows-10-Ausgabe ("Build 10240", später "Version 1507") ging, wurde klar: Die Telemetriefunktionen sind gekommen um zu bleiben – nicht nur im Insider-Programm, sondern auch im regulären Windows 10. Normale Anwender bekamen lediglich die Wahl, ob sie Microsoft mäßig viele, viele oder sehr viele Daten geben wollten (später strich Microsoft die Diagnosedaten auf die Level "Standard" und "Vollständig" zusammen). Die Option, gar keine Telemetriedaten zu verschicken, bekommen nur Firmen, die die Enterprise-Ausgabe verwenden. Für Version 1909 bescheinigte die Datenschutzkonferenz (SDK) dann sogar, dass das System unter ganz bestimmten Voraussetzungen tatsächlich keine Telemetriedaten mehr verschickt.

Von den Drückermethoden will Microsoft sich allerdings nicht so recht verabschieden; jüngst spielte man damit herum, Home-Anwender bei der Ersteinrichtung mit einem Microsoft-Konto zwangszubeglücken und empfiehlt allerorten, sein Windows 10 doch möglichst intensiv mit der Cloud zu vernetzen.

Aus Sicht vieler Anwender und Admins ist Windows 10 auch abseits der Datenschutzfrage kein Segen. Unter "Windows as a Service" (WaaS) versteht Microsoft die Strategie, rund jedes halbe Jahr eine neue Ausgabe des Betriebssystems als Funktions-Upgrade anzubieten – gratis für alle, die Windows 10 einmal lizenziert haben. Im Kern ist die Idee gar nicht schlecht; erinnert sie doch an Apple, wo es seit Langem selbstverständlich ist, dass Anwender ein paar Jahre lang auf die neueste Systemversion aktualisieren können.

Doch wie schon beim GWX-Tool galt leider auch hier: "Gut gemeint" ist das Gegenteil von "gut gemacht". Anwendern der Home-Edition sowie generell unerfahrenen Nutzern wurden die neuen Versionen ohne Rücksicht auf Verluste per Windows Update zwangsinstalliert. Die Erkennungsmechanismen für problematische Hard- und Software sind bis heute nicht richtig ausgereift. Nutzer der Pro-Edition konnten Funktions-Upgrades immerhin für ein paar Monate zurückstellen, mussten dazu aber auch ersteinmal wissen, dass es diese Option überhaupt gibt.

Immerhin sieht Microsoft seit Version 1903 davon ab, neue Ausgaben sofort automatisch zu installieren:

Lästig ist "Windows as a Service" deshalb, weil die meisten Funktions-Upgrades nicht wie Sicherheits-Updates daherkommen, sondern als Upgrade-Installation. Ein neues Windows wird dabei zunächst in einen temporären Ordner auf der Festplatte installiert. Dann startet der Rechner neu und lädt die Setup-Umgebung Windows PE, die das alte System gegen das neue austauscht und sämtliche Einstellungen, Dateien und Programme in die neue Installation übernimmt. Der Vorgang konnte vor allem Rechner ohne SSD durchaus mehrere Stunden lahmlegen. Inzwischen hat Microsoft das etwas optimiert: Ein Funktions-Upgrade für eine unkomplizierte Windows-10-Installation lässt einen modernen Rechner nur noch für rund zehn, vielleicht fünfzehn Minuten ausfallen.

Hinzu kommt, dass das Ganze meistens gutgeht, manchmal aber scheitert – entweder weil der Upgrade-Vorgang abstürzt oder Fehler wirft, oder weil Programme oder Treiber mit der neuen Windows-10-Version nicht mehr rund laufen. Zweimal war der Upgrade-Prozess so vermurkst, dass Microsoft eine neue Ausgabe wenige Tage nach Veröffentlichung zurückziehen musste. Erstens im Fall von Version 1511, bei der das Setup Datenschutzeinstellungen auf Microsofts recht aggressive Werkseinstellungen zurückgesetzt hatte. Und zweitens bei Version 1809, das bei der Installation unter bestimmten Umständen Dokumente, Bilder & Co. unwiederbringlich löschte.

Das an sich war für Microsoft bereits ein PR-Destaster; noch peinlicher wurde es aber, weil "Insider"-Betatester exakt diesen Fehler bereits vor Monaten über die Feedback-App an Microsoft gemeldet hatten. Dort hat man die Meldungen ignoriert: Der Fehler war zwar schwerwiegend, kam aber so selten vor, dass er die ganze Zeit unter dem Radar flog.

Natürlich ist nicht alles schlecht an Windows 10, tatsächlich steckt sogar eine ganze Reihe an praktischen Funktionen drin. Vor allem im Vergleich mit Windows 7 sind nicht nur die Nervereien, sondern auch die Fortschritte enorm. Einige Funktionen kamen schon mit Windows 8 und wurden weiterentwickelt.

So bringt Windows 10 vor allem eine Reihe sinnvoller Sicherheits- und Produktivitätsfunktionen mit: Es gibt einen inzwischen sehr ordentlichen Virenwächter und in Windows 10 Pro und höheren Edition zusätzliches wie den "Windows Defender Application Guard" und eine universelle Wegwerf-Sandbox-Funktion (beides ist derzeit allerdings kaputt), den Virtualisierer Hyper-V und die Festplattenverschlüsselung BitLocker, für die man bei Windows 7 schon die Ultimate- oder Enterprise-Ausgabe haben musste. Mit Windows Hello steckt eine FIDO2-konforme Unterstützung für biometrische Authentifizierung im System. Der Ransomware-Schutz verweigert Programmen, die nicht ausdrücklich auf einer Whitelist stehen, den Schreibzugriff auf Dokumentenordner.

Dazu kamen – teils früher, teils später – diverse auch in anderen Betriebssystemen übliche Funktionen wie virtuelle Desktops, dunkle Bildschirmdarstellung ("Dark Mode"), ein augenschonender Nachtmodus und die Unterstützung für kumulative Update-Pakete. Zwar sind auch die regulären monatlichen Patches immer wieder massiv in der Kritik, doch das liegt schlicht an miserabler Qualitätskontrolle bei Microsoft. Entwickler haben mit dem Windows Subsystem für Linux (WSL) Unterstützung für beliebte Linux-Bash-Befehle. Mit Version 2004 kam WSL 2, das nicht wie bislang die Bash-Kommandos auf Windows-API-Aufrufe abbildet, sondern gleich einen eigenen Linux-Kernel virtualisiert.

Für die Zukunft gilt in erster Linie, dass Microsoft die miserable Patch-Qualität in den Griff kriegen muss – Windows 10 wird 5, und es gibt reichlich zu tun. (Mit einem Zahlendreher stimmt es übrigens nicht mehr: Windows 10 wird zwar 5, aber Windows 5 wird nicht 10, sondern 20. Am 17.02.2000 veröffentliche Microsoft Windows 2000, auch bekannt als Windows NT 5.0 – im vergangenen Februar wurde es 20 Jahre alt.)

(jss)