Skalpell am Schlaghammer: Test KTM 890 Duke R

Obwohl KTMs Mittelklasse-Roadster 790 Duke sehr gut ankam, wünschte sich die Hardcore-Kundschaft mehr Markenware, mehr Racing-Bling. Sie erhielten deutlich mehr

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Skalpell am Schlaghammer: Test KTM 890 Duke R
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
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Mit der 790 Duke richtete sich KTM 2017 wieder an die breite Mittelschicht, die schnelle, schicke Naked Bikes möchte, allerdings nicht zu jedem Preis. Traditionell bietet Mattighofen zu solchen Modellen irgendwann eine R-Version an – mit breitbandigerem Fahrwerk, rennstreckentauglicherer Ergonomie und vielen Teilen, die dich vielleicht nicht schneller machen, aber schöner. Bei der 790 Duke wartete die R-Kundschaft besonders gespannt, denn obwohl die Maxxis-Reifen und die J-Juan-Bremsen über Erwartung gut funktionierten, schien ihnen schon der ganze Ansatz zu buchhalterisch. Diese Kundschaft atmet nun auf: KTM hat ihnen mit einigem Aufwand praktisch eine neue Modellvariante gebaut.

Diese neue Variante spart sich tunlichst jeden Spareindruck, indem überall Markenware hängt: Brembo-Bremsanlage, WP-Apex-Feder-Dämpfer-Elemente, Michelin-Semislicks (Power Cup 2) und ein auf 890 ccm vergrößerter, 121 PS starker Motor. Wenn ein "Skalpell" (so KTMs Spitzname der 790) es nicht reißt, muss man es eben leicht(tm) verstärkt an einen Schlaghammer anschließen. Vom Datenblatt her hat KTM also alles richtig gemacht. Die R-Wartenden bestellen bereits blind. Doch wie viel mehr bringt die 890 gegenüber der 790 wirklich? Und wo steht sie im Vergleich zur britischen Konkurrenz, der Triumph Street Triple RS?

Keine Frage: Auf der Rennstrecke sieht die 790 Duke gegen die 890 keinen Stich. Das fängt bei den Reifen an, geht weiter über die Einstell-Bandbreite und die Dämpfungsgüte des Fahrwerks und dass 121 PS statt 105 auf den Geraden eine Welt sind, brauchen wir nicht lange zu diskutieren. Aber auf der Landstraße?

Details KTM 890 Duke R (11 Bilder)

Konischer Edelstahl-Endschalldämpfer auch an der 890. Funktion, Verarbeitung und Optik gefallen mir ganz gut, viele Käufer werden sich jedoch den Akrapovic-Topf dazubestellen, der besser zum "R"-Thema passt.

(Bild: Clemens Gleich)

Ironischerweise kam die Testmaschine mit Beifahrersitz, Seitenkoffern und Tankrucksack. Ich würde jederzeit eine Tour auf der 890 R fahren. Traditionelle Tourenfahrer werden jedoch wahrscheinlich einiges umstellen an der Dämpfung, bevor sie ihnen gefällt. Obwohl das Fahrwerk nie Traktionsprobleme zeigte, war es doch glasklar auf Feedback und Rundenzeiten eingestellt, nicht auf Fahrkomfort. Auf Buckelpisten hebt es dich gelegentlich vom Sitz, und rein geometrisch vom Winkel her vermutet wird es auf dem Sozia-Platz ärger sein.

Der 14-Liter-Tank speist einen Testverbrauch von 5,6 l/100 km. Auch das eher knapp im Tourenkontext. Nein, das Paket der 790 dürfte für alle Touren und die meisten Landstraßeneinsätze das sinnvollere sein. Man stelle sich nur einmal einen Regentag über den Pass bei 2° C auf den Rennstreckenreifen Power Cup 2 vor. Die Sinnfrage stellt sich jedoch ehrlicherweise niemand. Wer die R will, will die R, so einfach ist das. Also stelle ich lieber die Frage: Wird sie den Wunschvorstellungen gerecht?

Die Wunschvorstellung schaut doch schlicht so aus: wie die 790, nur mehr, ärger, schneller und schärfer. Das liefert die 890 wie die Wunschfee. Der Reihenzweizylinder, in der 790 bereits ein toller Landstraßenmotor, legt drei Schippen nach, um bei Renntrainings mehr schnellere Strecken abzudecken. Trotz schlechterer Aerodynamik wird die 890 Duke den meisten 600er-Supersportlern aus dem Eck heraus davonfahren, denn a) macht sie es einfacher, Leistung auf den Boden zu kriegen als ein spitzer, kleiner Reihenvierer und b) hat sie (zumindest theoretisch) etwas mehr Traktion aus Gründen der Zusammenarbeit zwischen Drehmomentpulsen und Gummihysterese.