Missing Link: Vor 75 Jahren ging ein Krieg zu Ende

Im Radio erklang 1945 erstmals die Stimme des japanischen Kaisers: Er befahl seiner Regierung, die Potsdamer Erklärung anzuerkennen. Japan kapitulierte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 342 Kommentare lesen
Missing Link: Vor 75 Jahren ging ein Krieg zu Ende

Der "Kaiserliche Erlass zur Beendigung des Großostasiatischen Kriegs" des japanischen Kaisers Hirohito, dessen aufgezeichnete Verlesung am 15. August 1945 im Radio gesendet wurde (hier Seiten 3, 4 und 5 mit Unterschrift und Siegel von Hirohito – von rechts nach links zu lesen).

(Bild: Public Domain / wikimedia.org)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 15. August 1945 wurde die Radioansprache des japanischen Kaisers Hirohito ausgestrahlt, in der dieser seiner Regierung befahl, die Potsdamer Erklärung anzuerkennen und die bedingungslose Kapitulation zu unterschreiben. Mit dem "Kaiserlichen Erlass zur Beendigung des Großostasiatischen Kriegs" endete der Zweite Weltkrieg. Die Gyokuon-hōsō (Übertragung der kaiserlichen Stimme) oder "Jewel Case Broadcast" genannte Ansprache erfolgte im klassischen Japanisch, das nur wenige Japaner verstehen konnte. Deshalb musste ein Radiosprecher unmittelbar nach der kaiserlichen Rede erläutern, dass Japan kapituliert. Es war das erste Mal, dass Japaner ihren Tennō hören konnten.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Die Gyokuon-hōsō beendete den Zweiten Weltkrieg, doch den Frieden brachte sie nicht voran. Hirohito erwähnte die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki in seiner Ansprache, verschwieg aber seinen Landsleuten, dass die bis dahin neutrale Sowjetunion Japan den Krieg erklärt hatte, in die von Japan besetzte Mandschurei eingedrungen war und in Korea bis zum 38. Breitengrad eilte, an dem Korea geteilt werden sollte. Wie der Kyūjō-Zwischenfall zeigte, wollten Teile des Militärs weiterkämpfen. Und die japanische Regierung hatte zuvor auf die Potsdamer Erklärung mit einem Mokusatsu reagiert, eine Art Erklärung, dass man die Potsdamer Erklärung ignoriere.

Das war nach der Rede des Kaisers nicht mehr möglich. Am 2. September 1945 unterzeichnete Außenminister Mamoru Shigemitsu an Bord des Schlachtschiffes USS Missouri die Kapitulationsurkunde und erkannte die Potsdamer Erklärung an: Japan wurde auf seine vier großen und ein paar kleinere Inseln reduziert, die Kolonie Korea eine freie Republik unter gemeinsamer Verwaltung der Sowjetunion und der USA.

Die Potsdamer Erklärung war am 26. Juli 1945 vom US-Präsidenten Harry Truman und vom britischen Premierminister Winston Churchill im Rahmen der Potsdamer Konferenz unterzeichnet worden. Fernschriftlich unterzeichnete Chiang Kai-shek als Präsident der chinesischen Nationalregierung. Die Potsdamer Konferenz selbst begann am 17. Juli 1945 und endete am 2. August um 0:30 mit der Unterzeichnung des "Protokolls der Verhandlungen der Berliner Konferenz" durch Truman, Stalin und den inzwischen in die Regierung gewählten britischen Premier Clement Attlee. Sie war unter dem Decknamen "Terminal" seit Januar geplant worden und sollte nach der Konferenz von Jalta nichts Geringeres als die Neuordnung der Welt erreichen.

Während in Jalta die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und die Einrichtung der Vereinten Nationen beschlossen wurden, ging es in Potsdam um die bereits in Jalta angedachte Westverschiebung von Polen, die Behandlung Österreichs und des Irans sowie um die Frage eines "jüdischen Commonwealth" in Palästina. Ganz nebenbei waren noch die Friedensverträge mit Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der Tschechoslowakei zu unterzeichnen und ein Abkommen zur Ausweisung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zu formulieren.

Mit der Garnisonsstadt Potsdam und dem Schloss Cecilienhof wurde ein Ort gewählt, der den preußischen Militarismus symbolisierte, den man besiegt hatte. Außerdem war Potsdam relativ unzerstört und lag im sowjetischen Machtbereich, wie von Stalin gefordert. Dieser reiste mit dem Salonzug des Zaren und einer Schutztruppe von 17.000 Mann verspätet an. Die drei Siegermächte des Weltkriegs hielten insgesamt 13 Sitzungen nach einem strengen Schema: Morgens tagten die Außenminister und ihre Berater, ab 17 Uhr kamen die Staatschefs zusammen. Besonders optimistisch war man nicht, denn es gab jede Menge Differenzen.

Der Essayist Bernard A. DeVoto schrieb 1944 in seiner Kolumne "The easy Chair" im Vorfeld von Potsdam Ende 1944: "Während der Krieg uns die Hoffnung brachte oder zumindest den Mut [zum Widerstand], kann uns der kommende Frieden die Verzweiflung bringen." Er sorgte sich um den Umbau der US-Kriegswirtschaft, vor allem aber um die Integration der zurückkehrenden schwarzen US-Soldaten in einem rassistischen Amerika, das 8 Millionen Heimkehrer aufnehmen musste. Kurz vor der Konferenz war zudem Franklin Roosevelt gestorben und so nahm der außenpolitisch eher unerfahrene Harry Truman als US-Präsident an der Konferenz teil. Truman besichtigte das zertrümmerte Berlin und war schockiert über das Ausmaß der Zerstörungen. Der ehemalige Landwirt notierte sich die Frage, wie all die Menschen ernährt werden können.