Splinternet: Bundespräsident warnt vor digitalem Weltkonflikt USA vs. China

Frank-Walter Steinmeier hat ein internationales Forschungsprojekt zur "Ethik der Digitalisierung" gestartet, um ein "Recht des Dschungels" im Netz zu verhindern

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Splinternet: Bundespräsident warnt vor digitalem Weltkonflikt zwischen USA und China

(Bild: Tatiana Shepeleva/Shutterstock.com)

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat vor einem Auseinanderbrechen des Internets und dem weiteren Auseinanderdriften der Weltregionen in technologischen Fragen gewarnt. "Weder Abschottung und Kleinstaaterei noch Dominanzstreben und Allmachtsphantasien dürfen unseren gemeinsamen Weg in die digitale Zukunft bestimmen", betonte der Bundespräsident am Montag bei der Auftaktkonferenz des von ihm ins Leben gerufenen internationalen Forschungsprojekts zur "Ethik der Digitalisierung" in Berlin.

"Der sich in diesen Monaten aufschaukelnde Weltkonflikt zwischen den USA und China muss uns alle besorgen", erklärte Steinmeier und verwies auf den "Streit um digitale Technologien und ihre außenpolitische Bedeutung" sowie insbesondere auf die Auseinandersetzungen um Huawei und TikTok. Die Politik steuere aber "in eine Sackgasse", wenn sie ihre Antwort auf die Digitalisierung "aus einem Handbuch der Staatskunst des 19. Jahrhunderts" abschreibe: "Ein neues Jeder-gegen-jeden, damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben."

Bestrebungen, das Internet zum Zweck staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Vorteile zu renationalisieren und in ein Splinternet aufzuspalten, erteilte der Bundespräsident eine Absage. Er habe 2018 bei seinen Reisen in die USA und nach China aber festgestellt, wie weit die beiden Pole derzeit voneinander entfernt seien.

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Erfinder und Unternehmer im Silicon Valley fühlten sich als "Vorreiter der liberalen, globalisierten Datenökonomie, deren Produkte von Milliarden Menschen genutzt werden, deren Innovationskraft unser Leben verändert und die mit täglich wachsenden Datenbergen wirtschaftlichen Gewinn anstreben".

In Guangzhou und Peking herrsche dagegen "ein Staatskapitalismus mit enormen digitalen Ambitionen, mit einem eigenen Internet, einem nahezu abgeschotteten, staatlich kontrollierten System", ist Steinmeier nicht entgangen. Dieser müsse bei aller rasanten Innovation aber "immer dem zentralen Kontrolldrang und Überwachungsdruck des Parteiapparats dienen". In der EU habe parallel die Debatte über die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) getobt und zugleich deutlich gemacht, "dass selbst innerhalb der westlichen Gesellschaften die Vorstellungen von richtig und falsch in der Digitalpolitik oft weit auseinanderliegen".

Angesichts dieser unterschiedlichen Prägungen kommt für Steinmeier ein Laissez-faire bei der Netzregulierung nicht in Frage. Es sei naiv zu glauben, "aus nationalen Regeln und Grundsätzen für soziale Netzwerke, für Massendatenauswertung, für autonome Systeme bis hin zu Kriegswaffen oder für die technischen Grundlagen des Internets würde schon irgendwie ein sinnvolles Ganzes entstehen". Es gelte zu verhindern, "dass in der digitalen Zukunft bald das Recht des Dschungels gilt". Politik und Zivilgesellschaft müssten sich daher "um eine funktionierende internationale Ordnung kümmern".

"Die internationale Verständigung über ethische Standards zur Digitalisierung wird immer wichtiger, wenn wir auch in Zukunft ein durchgängiges, offenes, freies und kreatives Internet wollen", unterstrich Steinmeier. Sonst drohe die technologische Entwicklung zur Dystopie zu werden ohne Vertrauen und Schnittstellen. So wie die internationale Staatengemeinschaft nach dem 2. Weltkrieg etwa über die Menschenrechtscharta normative Mindeststandards über alle Grenzen hinweg gesetzt und das Recht des Stärkeren zurückgedrängt habe, gelte es nun die Initiative zu ergreifen für einen Dialog über vergleichbare gemeinsame ethische Vorgaben fürs Netz.

Europa werde in diesen Diskurs eigene Vorstellungen mit einbringen, stellte Steinmeier klar. Für ihn stünde "zuallererst eine Ethik der Freiheit". Technologie solle den Menschen dienen und zu mehr Selbstbestimmung führen. Die Virtual Reality dürfe nicht zur einzigen Realität werden, "unsere öffentlichen Räume und menschlichen Begegnungen nicht ersetzen". Digitale Technik solle Unterdrückung überwinden und Armut lindern sowie möglichst etwa auch die Umwelt schützen und Ressourcen schonen.

"Neue Freiheiten brauchen neue Regeln", verdeutlichte der Ex-Außenminister aber auch. Im Rahmen des Projekts sollten die beteiligten Technologen und Gesellschaftswissenschaftlern Impulse für die internationale, auf Balance ausgerichtete Debatte geben. Dies werde "keine akademische Fingerübung bleiben", da der Expertenrat gebraucht werde. Viele Bürger seien besorgt, welche Entscheidungen der Algorithmus treffe und mit ihrem Job passiere, wenn er digital werde. Voriges Jahr hatte der Bundespräsident sich auf der re:publica bereits für eine tiefere politische Debattenkultur im Internet stark gemacht.

Die neue, unter Steinmeiers Schirmherrschaft stehende akademische Initiative leitet das Global Network of Internet and Society Research Centers, ein Verbund von über 100 internationalen Forschungsinstituten, in Kooperation mit der Stiftung Mercator. Auf der Ebene "abstrakter Ethikfragen" sei die Wissenschaft schon relativ weit, konstatierte Wolfgang Schulz als Sprecher der europäischen Sektion des Netzwerks. Solche Ansätze müssten aber noch besser in die Informatik und Digitalunternehmen eingebracht werden.

Algorithmen verstärken laut dem Forschungsdirektor am "Alexander von Humboldt"-Institut für Internet und Gesellschaft oft Stereotypen, böten weniger gut bezahlte Jobs etwa teils nur Frauen an. "Hier sind wir weitgehend blank", räumte er ein. "Wir haben noch keine guten implementierbaren Lösungen dagegen."

Im Bereich Künstliche Intelligenz gebe es bereits viele Grundsatzdokumente, ergänzte Amar Ashar, vom Berkman Klein Center der Harvard-Universität. 2018 habe Google etwa Prinzipien wie Fairness festgelegt. Deren Umsetzung gestalte sich aber gerade bei kniffligen Dingen schwierig, sodass Tech-Konzerne wie Microsoft oder Facebook hier sogar selbst mehr staatliche Regulierung forderten.

Darf ein autonomes Auto mit Insassen an Bord über einen Baum fahren statt über andere Verkehrsteilnehmer? Darf ein Kühlschrank Milch bestellen, aber den Zugriff auf Eis verweigern? Mit solchen Fragen verdeutlichte Matthias Kettemann, Hans-Bredow-Institut für Medienforschung das Forschungsspektrum. Algorithmen, Plattformen, und Suchmaschinen übten Macht aus, dürften sich aber dabei nicht vom Grundrechtsschutz entfernen. Vor allem für "verborgene Strukturen" (Dark Patterns) sei ein "neues Instrumentarium des Freiheitsschutzes" nötig.

Mindeststandards wie Inklusivität im Urheberrecht könnten die internationale Gemeinschaft verbinden, meinte die Copyright-Forscherin Sunimal Mendis. Gesellschaften funktionierten aber auf verschiedene Weise. Ihnen etwas aufzuoktroyieren, könnte daher auch schädlich sein. Eine "universale Ethik" der Digitalisierung werde sich nur schwer entwickeln lassen.

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(jk)