Missing Link: Agilität in Zeiten von Corona

In Zeiten von Corona helfen agile Methoden, den Digitalen Kapitalismus flexibel und widerstandsfähig zu machen. Das Manifest ist fast 20 Jahre alt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 136 Kommentare lesen
Missing Link: Agilität in Zeiten von Corona

(Bild: nattaphol phromdecha/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Timo Daum
Inhaltsverzeichnis

Bald feiern die Agilen Methoden zwanzigsten Geburtstag. Im Februar des Jahres 2001 entstand auf einer Skihütte in einem Wintersportgebiet im US-Bundesstaat Utah das Manifest für Agile Softwareentwicklung, das Gründungsdokument der agilen Bewegung. Zu den Unterzeichnern des Manifests gehörte z. B. Jeff Sutherland, der zusammen mit Ken Schwaber die ersten Versionen von Scrum entwickelte, eine der erfolgreichsten Methoden, die als Folge der agilen Revolution weltweit populär wurden. Mit von der Partie waren auch Kent Beck und Howard Cunningham, Erfinder des Extreme Programming, einer Programmiermethode, die auf direkter Zusammenarbeit zu zweit oder zu mehreren basiert.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Das Agile Manifest proklamiert enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Disziplinen, besonders Techniker und Businessleute sollen miteinander reden. Dem Team kommt zentrale Bedeutung zu, sein Alltag soll durch persönliche Kommunikation und tägliches physisches Zusammentreffen geprägt sein. Es erhält große Freiheiten, seine Arbeit selbst zu organisieren, aufzuteilen und abzuarbeiten, das Management muss seinerseits dafür Sorge tragen, dass die Arbeitsbedingungen für die optimale Performance des Teams gewährleistet sind. Feedback zur Teamoptimierung ist wichtig, die langfristige Produktivität des Teams muss gewährleistet werden. Dazu gehören neue Rollendefinitionen bis hin zu passender Architektur: eher Werkstattcharakter, offene Räume und flexible Arbeitsplätze als geschlossene Einzelbüros. So etwas gab bis dato nicht.

Physische Nähe, enge Zusammenarbeit von und direkte Begegnungen in agilen Teams gehören zum Kanon der agilen Methoden, so zum Beispiel die geforderte tatsächliche Anwesenheit aller Teammitglieder bei den Daily Scrum Meetings oder das gemeinsame Programmieren Schulter an Schulter beim Extreme Programming.

All das ist in Zeiten der Coronakrise nicht mehr möglich, die Vereinzelung im Home Office das genaue Gegenteil der erwünschten idealen Arbeitssituation. Im Zug der Covid19-Pandemie mussten sich viele Millionen Menschen innerhalb von Tagen oder Wochen auf Arbeit von zu Hause einstellen, sich mit neuer Software vertraut machen, neue Kommunikationskanäle und Verhaltensweisen erlernen. Sie mussten ihr Zuhause zum Büroraum umgestalten, dabei darauf achten, dass der Zoom-Hintergrund ansprechend gestaltet ist: eine stabile Internetverbindung wird eh vorausgesetzt. Trotz der Kappung von Sozialkontakten zu Freunden und Familien, trotz Existenzängsten, Doppelbelastung durch Kinderbetreuung hatten sie sich gut gelaunt und perfekt ausgeleuchtet vor dem Monitor einzufinden.

Eine reibungslose Adaption an die neuen Software-Tools wird ebenso vorausgesetzt wie das Erlernen der damit verbundenen sozialen Fähigkeiten ("gehen Sie nicht auf die Toilette, während Sie an einer Microsoft Teams- oder Zoom-Telefonkonferenz teilnehmen") – ein Paradebeispiel für das, was die Arbeitswissenschaftlerin Phoebe Moore von der Universität Leicester als "affektive Arbeit" bezeichnet, die stillschweigend vorausgesetzt wird, unsichtbar bleibt und nicht vergütet wird. Wie in einem Laborversuch wurden die Flexibilität und Resilienz der Menschen auf die Probe gestellt – ein brachialer Anpassungsprozess an quasi über Nacht veränderte Bedingungen nahm seinen Lauf.