Europäischer Gerichtshof: Vorratsdatenspeicherung nein, gezielte Ausnahmen ja

Eine pauschale Vorratsdatenspeicherung? Der EuGH sagt erneut nein. Ausnahmen: Gezielt gegen schwere Kriminalität und Bedrohung der nationalen Sicherheit.

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(Bild: Ilkin Zeferli / shutterstock.com)

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jürgen Kuri
Inhaltsverzeichnis

Eine flächendeckende und pauschale Speicherung von Internet- und Telefon-Verbindungsdaten ist nicht zulässig, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am heutigen Dienstag. Ausnahmen bei der Übermittlung und Speicherung von Verbindungsdaten seien aber möglich zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder im Fall einer Bedrohung der nationalen Sicherheit, teilte der EuGH in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil mit.

Der Gerichtshof hält in seinem Urteil explizit fest, dass das europäische Recht, insbesondere die in diesem Fall gültige Richtlinie zur Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, nationale Gesetze ausschließe, die anlasslose pauschale Vorratsdatenspeicherung, pauschale Datenübertragung an Strafverfolger oder die Einschränkung der Privatsphären-Richtlinie zum Inhalt hätten.

Ausnahmen für diese strikten Verbote von Speicherung und Übertragung von Verbindungsdaten an Strafverfolger seien nach dem Urteil des EuGH möglich, wenn EU-Mitgliedsstaaten sich etwa einer ernsten Bedrohung der nationalen Sicherheit gegenübersähen, die allgemein, aktuell und vorhersehbar sei. Entsprechende Speicherungs- und Übermittlungsmaßnahmen müssten aber strikt auf den Anlass und seine Dauer begrenzt werden; sie müssten zudem durch ein Gericht oder eine unabhängige Institution jederzeit verbindlich überprüft werden können. Dies gelte auch für Maßnahmen gegen schwere Straftaten und bei Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit. Generell hält der Gerichtshof fest, dass die Speicherung und Übermittlung von Verbindungsdaten immer auf den Anlass begrenzt sein müsse und nur so lange zulässig sei, solange dieser Anlass auch gegeben ist.

Nationale Gerichte aus Frankreich, Belgien und Großbritannien hatten das höchste europäische Gericht in Luxemburg um eine Einschätzung zu der Frage gebeten, ob einzelne EU-Staaten den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste hierzu allgemeine Pflichten auferlegen dürfen.

In Deutschland liegt die Vorratsdatenspeicherung nach einem früheren EuGH-Urteil auf Eis. Zu den konkreten deutschen Regelungen fällt noch keine Entscheidung. Hierzu läuft ein gesondertes Verfahren vor dem EuGH. Allerdings könnten sich aus den nun erwarteten Urteilen erste Hinweise ergeben. Im aktuellen Fall wollten der belgische Verfassungsgerichtshof, der französische Staatsrat und das britische Gericht für Ermittlungsbefugnisse wissen, ob die europäische Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation zum Beispiel auf Maßnahmen zur Terrorabwehr angewandt werden kann. Der Generalanwalt des EuGH, Manuel Campos Sánchez-Bordona, hatte im Januar bereits betont, dass aus seiner Sicht auch dabei rechtsstaatliche Prinzipien gelten müssten.

Der EuGH hatte 2016 entschieden, dass eine unterschiedslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten mit EU-Recht nicht vereinbar sei. Auch andere frühere Urteile, in denen eine generelle Verpflichtung kritisch gesehen wurde, stießen bei einigen EU-Ländern aber auf Skepsis. Sie befürchten, dass Sicherheitsbehörden damit ein wichtiges Mittel zum Schutz der nationalen Sicherheit aus der Hand geben.

Die Vorratsdatenspeicherung ist insgesamt aber hoch umstritten: Während Sicherheitspolitiker in ihr ein zentrales Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Kinderpornografie und Terrorismus sehen, halten Bürgerrechtler und Verbraucherschützer sie für riskant und überzogen. Die Unternehmen sind dabei gesetzlich verpflichtet, Telefon- und Internetverbindungsdaten der Nutzer zu sichern, so dass Ermittler später bei Bedarf darauf zugreifen können.

Gegner der Vorratsdatenspeicherung nehmen hingegen an, dass manche Schwerkriminelle und Terroristen ohnehin für sie passende Dienste oder Verschlüsselungstechniken einsetzen, die nicht mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung erfasst werden – am Ende würden dann vor allem die Daten unbescholtener Bürger erfasst.

In Deutschland jedenfalls werden immer wieder Anläufe gemacht, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen – und werden dann ganz oder in Teilen vom Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof verworfen. Zuletzt forderten etwa die Justizminister von CDU und CSU, die Vorratsdatenspeicherung müsse so schnell wie möglich "wiederbelebt" werden. "Der Kampf gegen Kinderpornografie im Internet zeigt: Fehlende Verkehrsdatenspeicherung verhindert, dass wir Straftaten aufklären und noch laufenden Kindesmissbrauch stoppen können."

Gegen dieses Argument, das in der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung immer wieder zu hören ist, wendeten etwa Baden-Württemberg, Bremen und Rheinland-Pfalz gegen eine Initiative Mecklenburg-Vorpommens im Bundesrat ein, die Aufklärungsquote bei der Verbreitung von Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs habe laut der Polizeilichen Kriminalstatistik bis 2019 auf 93,4 Prozent gesteigert werden können. Dies zeige, dass auch ohne das umkämpfte Instrument "Erfolge bei der Verfolgung von Kinderpornografie erzielt" würden. Der Fokus darauf lenke gar von "zielführenderen Möglichkeiten ab, Kinder besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen". Auch die letzten Erfolge der Strafverfolger in Nordrhein-Westfalen gegen Kinderporno-Ringe wurden ohne das Mittel der Vorratsdatenspeicherung erzielt.

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[Update 06.10.2020, 10:26]:

Details zum Urteil und zu den laut EuGH zulässigen Ausnahmen hinzugefügt.

(jk)