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Was war. Was wird. Von Säulen und ihren Heiligen

Digitalisierung kann nicht jeder, zumindest aber die Möglichkeiten eben jener überwachen, überlegt Hal Faber – heute mal eine Stunde länger.

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Auf vier und noch mehr Säulen ruht die Sicherheit Digital-Deutschlands.

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Für Bundesinnenminister Horst Seehofer gibt es vier Säulen, auf denen die digitale Sicherheit von Deutschland beruht. Auf der Pressekonferenz zum Lagebericht des BSI zur Cyber-Gefährdungslage von Deutschland, die nunmehr angespannt ist, lobte Seehofer die vier Säulen: die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundesamt für Verfassungsschutz sind für den Digitalschutz in Deutschland zuständig. Man mag sich vielleicht über die Bundespolizei wundern, doch sie ist bekanntlich für die Grenzen zuständig und zwischen Digital-Deutschland und anderen Ländern liegt ja auch eine Digitalgrenze, Ätherraum genannt. An dieser Digitalgrenze werden Waren und Daten kontrolliert, wenn sie aus- und einreisen, etwa Trojaner auf dem Weg nach Ägypten oder in die Türkei.

22 Meter hohe BND-Palme aus Stahl mit dem Namen "0° Breite" und ohne Abhörtechnik, die braucht man ja anderswo.

*** In dieser Woche vermehrten sich die Säulen. Neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen jetzt die Landesämter der Verfassungsschützer, der militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst erweiterte Befugnisse, den extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, nämlich die Quellen-TKÜ. So wird das "Verfasschungsschutzrecht" novelliert, wie es im BMI-Link genannt wird. Die Dienste dürfen Gespräche oder Textnachrichten mitschneiden oder mithören, die über Messenger abgewickelt werden. Das findet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz bedenklich, das lehnen TK-Provider ab, die sich um den Verlust der Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme sorgen, doch das ist egal. Schließlich hat die SPD dieser Ausweitung der Geheimdienstarbeit zugestimmt. Die Schattenkanzlerin, die mächtige Netzexpertin Saskia Esken gab ihre Zustimmung zur Gesetzesnovelle, weil so der Kampf gegen rechtsextreme Netzwerke besser geführt werden könne. Wo ein Geschwür, da muss ein Messer her, wo ein Messenger, da muss es eben Klartext sein.

*** Mehr noch: die TK-Provider sollen bei der Einrichtung der Quellen-TKÜ helfen. Der Verdacht, dass in einem harmlosen Update eine Software für die "Ausleitung" der Kommunikation vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung versteckt sein kann, gehört bald zu unserem Alltag. Wenn das so weitergeht, dürfte alsbald die noch verpönte Online-Durchsuchung von Rechnern und Telefonen folgen. Großspurig heißt es dazu: "Die Regelung zur Quellen-TKÜ erweitert die rechtlichen Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung nicht, sondern sorgt dafür, dass die Täter sich der Aufklärung technisch nicht mehr durch Wahl des Kommunikationsmittels entziehen können." Das ist natürlich Unsinn, denn sicher wird es Systeme wie Encrochat geben, die darauf optimiert sind, dass sich Personen durch die Wahl des Kommunikationsmittels der Aufklärung entziehen.

*** Bleiben wir bei der Säule Seehofer. Auch in dieser Woche weigerte er sich, einer Rassismus-Studie in der Polizei zuzustimmen. Stattdessen soll es eine Studie zu Alltagsrassismus geben, die "die Entwicklung und Verbreitung diskriminierender Handlungen in der Zivilgesellschaft, in Wirtschaft und Unternehmen sowie öffentlichen Institutionen" erforschen soll. Das ist noch nicht mal lustig. Seehofer ist damit ein trauriger Einzelfall, der nicht verstehen will, was der Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer so formuliert: "Jede Gesellschaft hat ein Recht darauf zu wissen, was in den Institutionen vor sich geht, die sie selbst mit dem Gewaltmonopol, mit Macht und Waffen ausgestattet hat. Eine solche Abschottung sollte sich keine Gesellschaft bieten lassen." Das überaus lesenswerte Interview enthält auch eine Passage zum Rechtsextremismus, die Saskia Esken recht zu geben scheint: "Ich fürchte, dass Teile der Politik immer noch nicht begriffen haben, wie gefährlich die Situation inzwischen ist. Es gibt eine Ausdifferenzierung und Dynamisierung von Gruppen bis zur erhöhten Terrorfähigkeit."

*** Seit 20 Jahren schreitet die Digitalisierung der Verwaltung mit Riesenschritten irgendwie voran. Bald sollen dank dem Online-Zugangs-Gesetz (OZG) knapp 600 Verwaltungsakte mit dem Computer erledigt werden: Das Warten wird ein Ende haben. Die Arbeit vom Homeoffice aus ist mittlerweile Standard, bedingt durch die Maßnahmen zum Infektionsschutz. Dennoch hat es die Kultusministerkonferenz in dieser Woche geschafft, das nicht alle Vertreter aller Bundesländer per Videoschaltung zusammen über einheitliche Schutzmaßnahmen in Schulen abstimmen konnten, weil sie keinen Online-Zugang hatten. Deswegen gibt es keine einheitlichen Maßnahmen. Ins Bild passt da, dass die Empfehlungen des Robert Koch-Institutes für Schulen schlicht ignoriert werden. Fast hat es den Eindruck, als ob wir in der Zeit des ersten deutschen Großrechners leben, der Ebbe und Flut zur Zeit der Spanischen Grippe berechnete.

Gezeitenrechner? Es gibt schwierigere Dinge. Nehmen wir nur die Sache mit der Zeit. Die Uhren stellen sich um, der Backofen zeigt endlich wieder die richtige Zeit an. Die Zeitung der klugen Köpfe wirbt damit, nun eine Stunde länger in der Sonntagsausgabe lesen zu können. So schafft man Planungssicherheit. Diese hat auch Edward Snowden bekommen, der ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Russland erhalten hat. Das ist einerseits erfreulich, andererseits zeichnet sich ein Dauerzustand ab, der die Lage für Snowden als Redner auf diversen Technik-Konferenzen nicht eben einfacher macht. Noch desolater ist die Lage für Julian Assange, der mit Wikileaks vor 10 Jahren die US-amerikanischen Protokolle veröffentlichte, die Kriegsverbrechen im Irak-Krieg dokumentierten. Nach den Dokumenten aus Afghanistan, die im Juni 2010 veröffentlicht wurden, brachte die erneute Veröffentlichung von US-Dokumenten das Fass zum Überlaufen. Erinnert sei daran, dass Fox News, der heutige Haussender von US-Präsident Trump, seinerzeit forderte, die Wikileaks-Mitarbeiter als feindliche Kämpfer einzustufen, damit man außergerichtliche Schritte unternehmen kann. Nun steht Assange bekanntlich vor einem britischen Gericht, das über seine Auslieferung in die USA entscheiden soll. Doch die Frage ist, ob dieses Verfahren noch juristisch legitim ist. Die Frage ist ernst, doch auch ein Stoff für Satiriker geworden.

Sankyo digital: ganggenau wie unser Sonnensystem. Das wird dieses Wochenende glücklicherweise nicht umgestellt, sondern nur die Uhren.

Nach der letzten direkten Debatte zwischen Präsident Donald Trump und seinem Herausforderer Joe Biden hat es genug Kommentatoren gegeben, die Trump ganz manierlich fanden, obwohl er wie üblich eine Serie von Lügen und Verdrehungen präsentierte. Doch das ist nicht genug. Verliert er die Wahl, so dürfte er mit seinem "Familienunternehmen" auf einen Schuldenberg von mindestens 400 Millionen Dollar sitzen, bei weiterhin sinkenden Einnahmen. Bleibt die Frage, was Trump in den nächsten 10 Tagen noch unternehmen wird, um die für ihn missliche Lage zu ändern. Die "Oktober-Überraschung" mit der Festplatte von Hunter Biden hatte jedenfalls nicht den gewünschten Erfolg. Eine mögliche Folge: Drei Sätze Klassenhass mit düsteren Perspektiven. Wir leben in interessanten Zeiten, wie immer. (bme)