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Was war. Was wird. 15 Jahre später.

Es passiert ja wirklich nicht oft, dass Hal Faber wirklich historische Tage würdigen kann. Und dabei geht es keineswegs um große Monster. Eher um ihre Zähmung.

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Ist es ein Krake? Ist es ein Seemonster? Oder ist es gar - Schrecken über Schrecken - Cthulhu? Ach, es ist nur ein kitschiges Phantasiegemälde. Fantasien, wie sie auch Verschwörungs-Esoteriker, Diktatur-Rauner, Nazi-/Reichsbürger-/AltRight-Verrückte und QAnon-Fabulanten ausmalen, auf dass wir alle Alpträume bekommen. Bekommen wir aber nicht. Höchstens davon, dass solche Spinner wirklich mal was zu sagen haben könnten.

(Bild: 80's Child / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Heute ist ein historischer Tag in jeder nur denkbaren Dimension. Denn heute vor 15 Jahren wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Eigens zu diesem Tag gab es von dieser Firma eine Bärin namens "Angie" für den gehobenen Bären-Sammler, so wie es dieser Tage einen neuen deutschen Einheitsbär zu kaufen gab. Über Angie, die Bärin, habe ich schon einmal geschrieben, über Angela, die Kanzlerin dann noch in 203 weiteren Wochenschauen. Wie groß die Zeitspanne ist und was sich alles in ihr veränderte, mag man daran ablesen, dass allen Ernstes über das Bild einer nackten Kanzlerin Merkel diskutiert wurde, die auf einem roten Bären reitet. Dann lieber zurück in die Zukunft, zu der Kanzlerin, über die ich anno 2005 schrieb: "Es gibt in Deutschland weltoffene Menschen im Sinn von Kanzlerin Merkel, die das gesamte Ausland nach Deutschland einladen. Was kümmern uns schon Melilla oder Ceuta, die stehen ohnehin nicht im Katalog von t-lour, Cook und Dr. Snuggles." Wer sich erinnern möchte: Das waren die Städte, die vor 15 Jahren unter einem "Migrantensturm" ächzten.

So fing alles an ...

... und so endet es noch lange nicht. Ach ja, man hat's nicht leicht, nicht war, Frau Merkel? Auch nach 15 Jahren im Chefsessel mag sie manches Mal über die Uneinsichtigkeit, Bockigkeit und besonders die undemokratischen Avancen mancher EU-Regierungschef schier verzweifeln.

(Bild: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com)

*** In dieser Woche hat es in Berlin eine Demonstration gegeben, in der Angela Merkel wieder einmal übelst beschimpft wurde. Auch andere Bundestagsmitglieder bekamen Unflätiges und Wirres von "rechten Youtubern" zu hören, die von AfD-Abgeordneten ins Parlament eingeschleust wurden. Da war die Bezeichnung "kleiner Wanna-be-König" für Merkels stattlichen gemütsruhigen Parteikollegen Peter Altmaier noch das Lustigste. Vor 15 Jahren plus einen Tag begann übrigens Altmaiers Karriere als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Zum König schaffte er es dabei nie, nur zu einer leicht absolutistisch anmutenden Drohung, gefolgt vom diffusen Vorwurf des "Landesverrates". Der brachte ganz andere Demonstranten auf die Straße.

*** Bis die Amtszeit von Angela Merkel zu Ende geht, werden noch ein paar Wochenschauen in grauen oder lauen Nächten erscheinen. Noch müssen einige Parteien entscheiden, wer von den Mitgliedern Kanzler oder Kanzlerin kann. Zu den interessanteren Debatten ist in Zeiten von Corona die Frage elektronischer Wahlen aufgetaucht, die einfacher und schneller ablaufen könnten als eine Briefwahl durch die Delegierten einer Partei. Dafür müsste vorher nach Ansicht von Juristen jedoch das Parteienrecht geändert werden. Nun hat sich ausgerechnet der Traditionalist Friedrich Merz mit elektronischen Wahlen per De-Mail angefreundet – einem System, das gefühlt älter als 15 Jahre Kanzlerinnenschaft ist. Gleichzeitig will Merz Weihnachtsfeiern mit der ganzen Familie. Wegen dieser Privatsphäre, die allen so wichtig ist, dass nach einer magischen Lösung für die Entschlüsselung von Verschlüsselung gesucht wird. Ein Thema, das schon vor 15 Jahren auf der Tagesordnung stand – und vor 25 Jahren.

*** Die Geschichte mit den rechtsextremen Einzelfällen bei der Polizei ist eine lange Geschichte. Man kann nach Nordrhein-Westfalen schauen, wo 173 Einzelfälle gezählt wurden oder auf Mecklenburg-Vorpommern, wo der Innenminister Caffier zurückgetreten ist und die Aufklärung beginnt. Hessen ist auch dabei, hier ist der Einzelfall offenbar ein Polizeibeamter, der eine Anwältin als NSU 2.0 bedrohte, nachdem er über den Polizeicomputer ihre Adresse ermittelt hatte. Die Anwältin Seda Basay-Yildiz zog um, an eine Adresse, die nur wenigen bekannt ist. Nun wird sie auch dort von Unbekannten ausgekundschaftet. Die einen haben eine Privatsphäre und ihre Privatwaffen, die anderen haben keinen Schutz. Wie heißt das so unschön? Sachdienliche Hinweise bitte an Hinweise_NSU2.0@protonmail.com schicken.

*** Während US-Außenminister Mike Pompeo der Republik Palau zu ihren freien demokratischen Wahlen und der "bewunderungswürdigen Beachtung der demokratischen Prozeduren" gratuliert, geht in der Bananenrepublik USA das Geschachere um die Wahl weiter. Nach seinem Auftritt auf dem Parkplatz von Four Seasons Landscaping hat der Rechtsbeistand Rudy Guiliani einen weiteren denkwürdigen Auftritt absolviert, diesmal unterstützt von Four Seasons Hair Care. Der ehemalige Microsoft-Manager Chris Krebs und Wahlbeauftragte sprach von den "gefährlichsten Stunden der amerikanischen Fernsehgeschichte", nachdem unter anderem die QAnon-Theorie verbreitet wurde, dass eine von Hugo Chavez modifizierte Wahlsoftware das Wahlergebnis fälschte. Derweil nehmen die Abschiede von Trump seltsame Wendungen und Wirrungen wahr: Da ist er einmal ein Pokerface, das den ultimativen Bluff mit seinen Karten durchzieht, ein anderes Mal ein rostiger alter Nagel, den man einfach nicht aus der Wand bekommt. Dazu gibt es wieder einmal psychiatrische Expertise, ein bisschen Kreml-Astrologie oder Erinnerungen an den Höhepunkt der Sportberichterstattung: Wo ist Behle? Äh, wo ist Pence? Derweil bereitet sich Twitter auf das Großreinemachen vor. Auch Trumps eigentlicher Account dürfte nach der Amtsübergabe Veränderungen unterliegen.

*** Es ist schon ein lustiges Döneken, die Geschichte von der Online-Konferenz der EU-Verteidigungsminister, abgesichert mit einem sechsstelligen Passwort, von dem fünf Stellen in einem Bild getwittert wurden. So konnte ein Journalist die letzte Stelle ausprobieren und tauchte kurzzeitig in der Konferenz auf. An dieser werden nicht nur die Verteidigungsminister, sondern auch interessierte Dienste anderer Länder feixend teilgenommen haben, freilich ohne sich erkennen zu geben. So ist der Cyberwar äußerst kommod, wie es der brave Soldat Schweijk formulieren würde. Richtiges Hacken ist das jedoch nicht, eher das Anlehnen der Haustür, während man den Müll rausbringt. Doch auch die Szene der richtigen Hacker kann sich freuen. Etwa mit einem ihrer besten Erzähler und Fabulierer, dem LulzSec-Mitglied Jeremy Hammond, dessen Verteidigungsrede vor Gericht anno 2013 in dieser Wochenschau gewürdigt wurde. Nun ist Hammond aus dem Gefängnis entlassen worden und lebt in einem Halfway House, wo er auf das überwachte Leben in Freiheit vorbereitet wird. Derweil ist Reality Winner immer noch im Gefängnis für die Tat, mit Dokumenten auf die Beeinflussung der US-Wahlen von 2016 durch russische Cyberagenten aufmerksam zu machen.

Wo bleibt das Positive, das vor 15 Jahren die ganze Wochenschau füllen konnte? Nun, in 39 Tagen ist dieses elende 2020 vorüber, dann kommt 2021 und der Impfstoff für alle. Was noch kommt, ist ein neuer Fußball-Bundestrainer, nachdem "Le Mannschaft" eine historische Niederlage eingefahren hat. Das ist eine staatstragende Aufgabe der inneren Führung dieses Landes, wenn man diesem Kommentar liest: "Denn nur eine beschwingende Nationalmannschaft garantiert eine große Aufmerksamkeit, hohe Einnahmen und bewegt die Jugend, das eigentliche Kapital eines Sportverbandes mit einer so breiten wie tiefen Verankerung in der Gesellschaft." Tiefe Anker sind immer gut. Wer war eigentlich vor 15 Jahren Bundestrainer, da kam doch dieses "deutsche Sommermärchen" in einem entspannten und weltoffenen Land? Ok, 2021, Du wirst es besser machen. Immerhin spielte Mad Max im Jahre 2021 im fernen Australien.

Die Zukunft ist auch nur die Vergangenheit der nächsten Zukunft.

(jk)