Edit Policy: Copyright-Trolle – gezielter Missbrauch von Creative Commons

Copyright-Trolle untergraben das Creative Commons-Lizenz-System und schaden der Idee dahinter. Es wird Zeit für den Gesetzgeber, endlich richtig zu handeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 65 Kommentare lesen

(Bild: Blackboard/Shutterstock.com/heise online)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Felix Reda
Inhaltsverzeichnis

Wer im Netz nicht nur konsumiert, sondern selbst Inhalte erstellt, muss sich unweigerlich früher oder später mit dem Urheberrecht auseinandersetzen. Die Regeln, unter welchen Umständen man fremde Inhalte zitieren, übernehmen oder sogar nur verlinken darf, sind hochgradig komplex.

Viele geben entnervt auf, andere finden in Creative Commons eine Lösung. Unter diesen freien Lizenzen teilen Kreative aus der ganzen Welt über eine Milliarde Bilder, Texte, Musik und andere Inhalte zur freien Weiterverwendung. Es gilt das Prinzip "some rights reserved": Wer sich an einige Vorgaben hält, darf die Inhalte kostenlos nutzen. Doch das deutsche Abmahnwesen schafft Anreize für den gezielten Missbrauch von Creative Commons, um unbedarfte Nutzer:innen in die Falle zu locken.

Kolumne: Edit Policy

(Bild: 

Volker Conradus, CC BY 4.0

)

In der Kolumne Edit Policy kommentiert der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda Entwicklungen in der europäischen und globalen Digitalpolitik. Dabei möchte er aufzeigen, dass europäische und globale netzpolitische Entwicklungen veränderbar sind, und zum politischen Engagement anregen.

Durch Recherchen der Süddeutschen Zeitung und von Computer Weekly ist kürzlich ein deutscher Urheberrechts-Troll aufgeflogen. Marco Verch, Fotograf aus Köln, hat hunderttausende Fotos ins Netz gestellt. Einige seiner jüngsten Flickr-Veröffentlichungen zeigen ein weißes Puzzlespiel, auf dem einzelne Wörter wie "Lockdown COVID-19" oder "Zoom Meeting" abgedruckt sind. Diese Symbolbilder sind offensichtlich darauf optimiert, bei Bildersuchen zu aktuellen Themen gefunden zu werden. Die Nachnutzung ist ausdrücklich erlaubt. Doch wer die Bilder auf seiner eigenen Webseite oder sozialen Netzwerken verwendet, muss mit Abmahnungen rechnen.

Bereits seit Monaten finden sich vereinzelte Berichte im Netz, die vor dieser Falle warnen. Wikipedia hat Verch wegen seiner Masche bereits 2018 als Autor ausgeschlossen. Doch die neusten Recherchen offenbaren das Ausmaß dieses fragwürdigen Geschäftsmodells. Über 80 Personen und Unternehmen konnte Computer Weekly identifizieren, die Post von Verch und seinem Anwalt bekommen haben. Verch nutzt eine veraltete Creative Commons-Lizenz, die besonders strenge Anforderungen an die korrekte Quellenangabe stellt. Mit einem eigenen Bilderkennungstool spürt Verch Nutzungen seiner Bilder auf und geht gegen jeden kleinsten Verstoß der Lizenzbedingungen vor. Verchs Vorgehen erinnert an Patent-Trolle, die Patente nicht deshalb aufkaufen, um die geschützten Erfindungen zu nutzen, sondern um andere Unternehmen für die Nutzung dieser Patente zu verklagen.

Vor Gericht hat Verchs Masche nicht unbedingt Erfolg. Doch viele Menschen, die Abmahnungen von ihm bekommen, zahlen aus Verunsicherung die meist dreistelligen Eurobeträge lieber, als sich einen Anwalt zu suchen. Zu den Leidtragenden gehören private Blogger:innen und gemeinnützige Vereine, die über geringe finanzielle Ressourcen verfügen. Eigentlich wollte die Politik Geschäftsmodellen, die auf dem massenhaften Versand von Urheberrechts-Abmahnungen basieren, schon vor Jahren mit einer Gesetzesänderung einen Riegel vorschieben. Der aktuelle Fall zeigt jedoch, dass die Abmahnindustrie in Deutschland noch lange nicht besiegt ist.

Die Creative Commons-Lizenz CC-by 2.0, die Verch für seine Bilder verwendet, lädt auf den ersten Blick zum sorglosen Teilen ein, doch sie enthält besonders strenge Regeln für die korrekte Quellenangabe. Wenn man etwa Herrn Verch zwar als Rechteinhaber angibt, aber den Link auf das Originalbild weglässt, oder vergisst kenntlich zu machen, dass man Veränderungen an dem Bild vorgenommen hat, verliert die Lizenz automatisch ihre Gültigkeit. Creative Commons hat die 2.0-Lizenzen schon vor Jahren durch moderne, flexiblere Lizenzen ersetzt. Trotzdem verwendet Verch diese veraltete Lizenz auch für seine im Jahr 2020 veröffentlichten Bilder – ein Indiz dafür, dass er es gerade darauf anlegt, dass bei der Nutzung dieser Lizenz möglichst viele Fehler passieren.

Bereits im Januar hat Creative Commons einen Artikel veröffentlicht, in dem erklärt wird, warum es für die Akzeptanz der Lizenzen wichtig ist, dass sie zur Not auch gerichtlich durchsetzbar sind. Gleichzeitig erklärt die Organisation, dass ein Vorgehen wie das von Verch der Kultur der CC-Community widerspricht, und rät Nutzer:innen, nach Möglichkeit nur noch Inhalte zu verwenden, die unter der aktuellen 4.0-Lizenz veröffentlicht sind. Diese Lizenz eröffnet mehr Möglichkeiten für eine korrekte Quellenangabe und gibt Nutzer:innen 30 Tage Zeit, Fehler zu korrigieren und dadurch Schadensersatzforderungen einen Riegel vorzuschieben.

Der Bundestag hat bereits 2013 ein Gesetz verabschiedet, um die Abmahnindustrie in die Schranken zu weisen. Anlass waren damals massenhaft verschickte urheberrechtliche Abmahnungen vor allem gegen Filesharer, die offensichtlich nicht das Ziel hatten, den legalen Handel mit urheberrechtlich geschützten Inhalten zu fördern, sondern mit den Abmahngebühren selbst möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken deckelte die Abmahnkosten und führte eine Regelung ein, wonach Opfer von missbräuchlichen Abmahnungen sich ihre Anwaltskosten ersetzen lassen können. Vor wenigen Monaten folgte die Verabschiedung eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs, das zum Ziel hat, gegen missbräuchliche wettbewerbsrechtliche Abmahnungen vorzugehen.

Der aktuelle Fall zeigt jedoch, dass die gesetzlichen Regelungen nach wie vor nicht ausreichen, um Geschäftsmodelle zu unterbinden, die auf urheberrechtlichen Abmahnungen beruhen. Das ist ein ernstes Problem für die Politik, denn wenn Menschen Angst vor der Benutzung von Creative Commons-Lizenzen haben, bringt das das ganze Urheberrechtssystem unter Druck. Creative Commons stärkt die friedliche Koexistenz zwischen dem äußerst strikten Urheberrecht, auf das große Teile der Unterhaltungsindustrie setzen, und der Kultur des Teilens, die charakteristisch ist für das Internet. Wenn der Gesetzgeber keine Rechtssicherheit bei der Nutzung von Creative Commons schafft und es Copyright-Trollen wie Verch erleichtert, sich durch einfache Fehler ehrlicher Nutzer:innen zu bereichern, leidet darunter die Legitimität des Urheberrechts insgesamt.

Schon heute empfinden viele das geltende Urheberrecht mit seinen komplexen Regeln für den Kommunikationsalltag als ungerecht. In den Niederlanden hat ein Gericht kürzlich dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob sich Rechteinhaber, deren Geschäftsmodell ausschließlich in der Rechtsdurchsetzung besteht, überhaupt auf das Urheberrecht berufen dürfen. Neue Pflichten zum Einsatz von Uploadfiltern tragen ebenfalls nicht gerade zur Akzeptanz des Urheberrechts bei. Bei dieser Reform ignoriert der Gesetzgeber die Existenz von Creative Commons-Lizenzen, denn bei der automatischen Sperrung von angeblichen Urheberrechtsverletzungen sind frei nutzbare Inhalte oft ein Kollateralschaden. Statt freie Lizenzen zu sabotieren, sollte die Bundesregierung Creative Commons in der Urheberrechtsreform ausdrücklich fördern, um einem gerechten Ausgleich zwischen den Betroffenen zu schaffen. Auch die Reform des Abmahnwesens gehört dabei wieder auf die Tagesordnung.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

(bme)