Urheberrechtsreform: Künstler laufen Sturm gegen freie Inhalte-Schnipsel

576 Kreative sind entsetzt über die geplante Bagatellausnahme für nicht-kommerzielle Nutzungen in sozialen Medien, YouTuber und Verbraucherschützer dafür.

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EU-Copyright-Reform: die Modernisierung des Urheberrechts ist aus dem Blickfeld geraten

(Bild: metamorworks / shutterstock.com)

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Eine Gruppe von 576 Künstlern appelliert an die Politik, das Urheberrecht "nicht gegen uns auszuspielen". Musik bis zu 20 Sekunden, Remixe, Samples – "alles soll frei nutzbar sein, ohne Lizenz", wettert die Allianz gegen den Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Urheberrechtsreform. Vor allem die vorgesehenen neuen Ausnahmen von den exklusiven Verwertungsrechten seien "so hanebüchen europarechtswidrig", dass "wir nur noch mit dem Kopf schütteln können".

Zu den Unterzeichnern des heise online vorliegenden Briefs an Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordnete gehören die Bands und Ensembles AnnenMayKantereit, Antilopen Gang, Beatsteaks, die Berliner Philharmoniker, die Ärzte, die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und Kraftwerk. Dazu kommen Musiker, Sänger und DJs wie Blixa Bargeld, Herbert Grönemeyer, Joy Denalane, Leslie Mandoki, Paul van Dyk und Tim Bendzko.

"Die Corona-Krise hat uns hart getroffen", schreiben die Künstler. Umso mehr schmerze es, "dass wir auf dem einzigen nicht eingeschränkten Markt" der Online-Plattformen "immer noch keine angemessene Vergütung für unsere Werke erhalten". Das EU-Parlament habe hier den Mut gehabt, mit der umstrittenen Urheberrechtsrichtlinie und dem damit verschärften Haftungsregime "das ungleiche Machtgefälle" ein Stück weit in Richtung einer neuen Balance zu verschieben.

Noch ein anderes Anliegen hätten die EU-Politiker aufgegriffen, betont das Bündnis, und "die Verfügungsgewalt über unsere künstlerische Arbeit wieder in unsere Hände zurückgelegt: Wir sollen nicht länger in den Fluten der Plattformen jedes Videofitzelchen selbst herausfischen müssen, in dem sich z. B. Neurechte oder Verschwörungstheoretiker*innen ungefragt die Bekanntheit unserer Werke zu Nutze machen."

Die Musiker zeigen sich deswegen "entsetzt", wie wenig von dieser Intention in dem Vorhaben des Ministeriums verblieben sei: Die Richtlinie werde verwässert, die Position der Kreativen bei Verhandlungen geschwächt. "Statt eines harmonisierten europäischen Marktes für Lizenzen bekommen wir einen deutschen Selbstbedienungsladen, in dem unsere Werke an jeden verschenkt werden, der 'Pastiche' sagt."

Vor allem die vorgeschlagene "Bagatellschranke", mit der Inhalte-Schnipsel wie Meme in sozialen Medien lizenzfrei und vergütungsfrei werden sollen, müsse fallen, fordern die Verfasser. Nutzerrechte im Bereich "User Generated Content" dürften nicht pauschal durch die Hintertür erweitert werden. Das bewährte Notice-and-Takedown-Verfahren zum Herunternehmen von Inhalte sei beizubehalten.

Dass das Gesetzgebungsvorhaben sehr umstritten ist, zeigt neben den bereits publik gewordenen Einwänden aus anderen Ministerien auch die hohe Zahl von über 100 Stellungnahmen an das Justizressort. Die Palette der Interessensvertreter reicht von Rechteinhabern über Verbände der IT-Wirtschaft und Initiativen wie SaveTheInternet, die seit Langem gegen Upload-Filter mobil machen, bis zu den Kirchen. So machen sich die deutschen Bischöfe etwa dafür stark, auch jenseits der Corona-Pandemie Gottesdienste weiterhin streamen zu können mit einer Pauschalvergütung über die Verwertungsgesellschaft Gema.

Erstmals ihre Stimme erheben 48 Social-Media-Größen wie PietSmiet, Gronkh, Le Floyd, Rewi, Rezo und Tilo Jung, die nach eigenen Angaben gemeinsam rund 88 Millionen Nutzer auf YouTube, Instagram, Twitter, Twitch und TikTok erreichen. Sie monieren, dass die Initiative "zwischen Inhabern von Urheberrechten und Nutzern von Upload-Plattformen" eine Grenze ziehe, "die nicht der gelebten Praxis entspricht". Als "Content Creator" seien sie beides und hätten "als Kreative und als Unternehmen der Kulturwirtschaft" gegen den damaligen Artikel 13 (jetzt 17) der Richtlinie protestiert.

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"Wir lehnen automatisierte Systeme, die Uploads auf Urheberrechtsverletzung überprüfen, grundsätzlich ab", unterstreichen die Macher. Diese könnten hochgeladene Werke inhaltlich nicht verstehen und seien so nicht dafür geeignet sind, fehlerfrei Urheberrechtsverstöße zu erkennen. Damit würden eigentlich legale Inhalte unterdrückt. Ausdrücklich positiv beurteilen die Schöpfer die "vorgesehenen Ausnahmen für die öffentliche Wiedergabe eines winzigen Ausschnittes" urheberrechtlich geschützter Werke zu nichtkommerziellen Zwecken.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) lobt, dass das Justizministerien die Gestaltungsspielräume von Artikel 17 aktiv zu nutzen beabsichtigte. Klar sei aber, dass Upload-Filter auch mit dem vorliegenden Vorschlag nicht verhindert würden. Insofern breche die Regierung ihr im Koalitionsvertrag gegebenes Versprechen. Deswegen sei es entscheidend, "dass die Nutzerrechte bestmöglich geschützt werden". Dies sei kein notwendiges Übel, sondern Voraussetzung dafür, die EU-Vorgaben überhaupt grundrechtskonform umsetzen zu können.

Auch Wikimedia Deutschland ruft die Regierung dazu auf, stärker auf die Bedürfnisse der Nutzer zu achten und die Balance der gesetzlichen Erlaubnisse zu wahren. Selbst wenn die Wikipedia von Artikel 17 ausgenommen sei: Sollten Filter-Algorithmen breit eingesetzt werden, leide der gesamte Entstehungsprozess von freiem Wissen über soziale Medien, Foren und Videoportale massiv. Dass automatische Systeme Inhalte vorab prüfen sollten, widerspreche dem Tenor der Protokollerklärung der Exekutive.

Im Gegensatz zum Diskussionsentwurf enthalte das überarbeitete Papier keine "innovativen Lösungen" mehr, bedauert Google. Das Justizressort bürde nun Diensteanbietern "die Verantwortung für Probleme innerhalb des Ökosystems auf, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen". Die Pflicht, Lizenzen für typischerweise hochgeladene Inhalte zu erwerben, sei nicht praktikabel und unvereinbar mit europäischem Recht.

Das erweiterte Leistungsschutzrecht für Presseverleger hält der Konzern für unnötig. Erst im Oktober 2020 habe er bekanntgegeben, Journalisten und Presseverlage über das "News Showcase" verstärkt zu unterstützen und für ausgewählte hochwertige Artikel Lizenzgebühren zu zahlen. Snippets mit bis zu 200 Zeichen beziehungsweise 30 Wörtern sollten auf jeden Fall lizenzfrei bleiben. Laut der VG Media, die viele Verlage vertritt, sichert der Entwurf trotz Korrekturen aber "die Geschäftsmodelle der Anbieter von Diensten, die Presseerzeugnisse intensiv und umfangreich nutzen".

Technische Bedenken gegen das im Raum stehende "Pre-Flagging-System" hat Facebook. Milliarden von Uploads mit Millionen Dateien von Rechteinhabern in Echtzeit mit komplexer Technologie abzugleichen, "ist in vielen Fällen nicht möglich". Auf deutsche Nutzer könnten längere und frustrierende Wartezeiten zukommen beim Versuch, Inhalte zu posten. Dies dürfte ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung schaden.

(jk)