Chicken Nuggets aus der Petrischale kommen in den Handel

Die Regierung von Singapur hat einem US-Startup den Verkauf eines Gerichts mit Hühnerfleisch aus dem Labor erlaubt – andere Länder könnten bald nachziehen.

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(Bild: JUST)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niall Firth
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Das Start-Up Just aus San Francisco hat in Singapur eine Zulassung dafür bekommen, Fleischprodukte aus dem Labor für den menschlichen Verzehr anzubieten. Für den Anfang darf Just in einem Restaurant in dem Stadtstaat gezüchtetes Hähnchenfleisch in Form von Chicken-Nuggets servieren lassen.

Das Unternehmen hat sich seit zwei Jahren um die Zulassung bemüht und bekam sie offiziell am 26. November. Vorher stellte die zuständige Behörde ein Gremium aus sieben Experten für Lebensmittelsicherheit, Bioinformatik, Ernährung, Epidemiologie, öffentliche Gesundheit, Lebensmittelwissenschaft und Lebensmitteltechnologie zusammen, um die einzelnen Stufen des Produktionsprozesses bei Just zu evaluieren und sicherzustellen, dass der Konsum des Labor-Fleischs ungefährlich ist. "Sie haben sich nicht nur das Endprodukt angesehen, sondern alle Schritte, die zu ihm führen" sagt Josh Tetrick, Mitgründer und CEO von Just. "Wir waren beeindruckt davon, wie überlegt und streng das Vorgehen war."

Zunächst soll nur ein Restaurant in Singapur, dessen Name noch nicht genannt wurde, das Labor-Hühnerfleisch von Just auf seine Speisekarte nehmen. Doch anschließend ist laut Tetrick eine Expansion geplant: "Wir werden von einem einzigen Restaurant auf fünf bis zehn gehen, danach in den Einzelhandel und anschließend auch außerhalb von Singapur" sagt er.

Gezüchtetes Fleisch entsteht meist auf ähnliche Weise: Tieren werden Zellen entnommen, oft über eine Biopsie oder aus einer bestehenden Tierzell-Linie. Diese bekommen eine Nährlösung und werden in einem Bioreaktor untergebracht, in dem sie sich vermehren, bis es genügend von ihnen für die Ernte für Fleischbällchen oder Chicken-Nuggets gibt. Eine Reihe von Start-Ups verfolgt Variationen dieses Ansatzes, in der Hoffnung, dass gezüchtetes Fleisch attraktiv für Flexitarier ist, also für Menschen, die aus ethischen oder ökologischen Gründen weniger Fleisch essen, aber nicht ganz darauf verzichten wollen.

Seit im Jahr 2013 ein Hamburger im Fernsehen gebraten wurde, dessen Produktion 330.000 Dollar kostete, hat sich die entstehende Branche deutlich weiterentwickelt. Die Idee dahinter: Fleisch soll mit deutlich weniger Treibhausgas-Emissionen und ganz ohne Tierleid produziert werden.

Noch aber sind die Kosten ein Problem. Der hohe Preis der Nährlösung sorgt dafür, dass Labor-Fleischprodukte immer noch hunderte Dollar pro Pfund kosten; das ist viel zu teuer, um mit normalem Fleisch zu konkurrieren. Beim ersten Produkt von Just wird es sich deshalb um Hühnchen-"Bites" handeln, in denen gezüchtete Hühnerzellen mit Pflanzenproteinen gemischt sind. In welchen Anteilen, will Tetrick nicht sagen. "Chicken-Nuggets sind sowieso eine Mischung – bei unseren wird das nicht anders sein", erklärt er. In der Speisekarte werden die Stückchen als "gezüchtetes Huhn" bezeichnet.

Nach der Entscheidung in Singapur könnte die erste Welle von Zulassungen in anderen Ländern weltweit in Gang kommen. "Wir hoffen und erwarten, dass die USA, China und die EU die Herausforderung annehmen werden, die Singapur ihnen gestellt hat", sagt Bruce Friedrich, Geschäftsführer der Organisation Good Food Institiut. "Nichts ist wichtiger für das Klima als eine Bewegung weg von industrieller Tierwirtschaft."

Zwar bekam Just die erste Zulassung, aber auch viele große Unternehmen arbeiten schon daran, eigene Produkte auf den Markt zu bringen. Das sollten Sie nicht übereilen, sagt Friedrich: "Es ist sehr wichtig, dass Anbieter von gezüchtetem Fleisch besonders sorgfältig sind und die Erwartungen mehr als erfüllen, wenn es darum geht, das sich Verbraucher sicher mit Ihren Produkten fühlen."

Wie eine Zulassung in den USA vor sich gehen könnte, ist erst seit relativ kurzer Zeit klar. Im März 2019 wurde angekündigt, dass die FDA die frühen Phasen in der Fleisch-Kultivierung einschließlich Zellbanken und Zellwachstum regulieren soll. In der Phase der Zell-Ernte ist dann der Food Safety and Inspection Service des US-Landwirtschaftsministerium zuständig, der außerdem Produktionsanlagen inspiziert und die Kennzeichnungen für das Labor-Fleisch genehmigt.

In Europa müssen Anbieter eine Zulassung beantragen und die Vorschriften der EU zu neuartigen Lebensmitteln erfüllen. Dieser Prozess dürfte mindestens 18 Monate in Anspruch nehmen, und noch hat kein Anbieter von Kultur-Fleisch ihn eingeleitet.

Laut Friedrich zeigt sich neben Singapur auch Israel offen für Start-Ups aus dem Bereich Pflanzen- und Kultur-Fleisch. Andere Regierungen sollten nach seinen Worten ihrem Beispiel folgen und die Branche fördern wie Initiativen für erneuerbare Energie oder globale Gesundheit.

"Wir brauchen ein Rennen um Fleisch aus Pflanzen oder Zellen wie bei der Eroberung des Weltraums", erklärt Friedrich. "Wir brauchen ein Manhattan-Projekt für die Neuerfindung von Fleisch."

(sma)