Anti-Terror-Agenda: EU-Kommission sucht "Mittelweg" gegen Verschlüsselung

Die EU-Kommission will Lösungen für den Zugang zu Nachrichten im Klartext ausloten und schließt Hintertüren nicht aus. Europol soll mehr Befugnisse erhalten.

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(Bild: Pixels Hunter/Shutterstock.com)

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Die EU-Kommission will Lösungen für den Zugang zu Nachrichten im Klartext ausloten und schließt Hintertüren nicht aus. Europol soll mehr Befugnisse erhalten. Mit einer neuen Agenda für Terrorismusbekämpfung soll die EU stärker gegen gewalttätigen Extremismus und Online-Radikalisierung vorgehen sowie sich besser gegen terroristische Bedrohungen wappnen. Einen entsprechenden umfangreichen Plan hat die EU-Kommission am Mittwoch präsentiert.

Da bei vielen Ermittlungen in den Bereichen Kriminalität und Terrorismus verschlüsselte Informationen im Spiel seien, will die Brüsseler Regierungseinrichtung auch auf diesem Feld ansetzen. Man werde gemeinsam mit den Mitgliedstaaten "mögliche rechtliche, operative und technische Lösungen" für den rechtmäßigen Zugang zu Daten im Klartext beim Einsatz von Verschlüsselung prüfen, heißt es in der Agenda. Dabei soll auch künftig der Schutz der Privatsphäre und eine sichere Kommunikation ermöglicht, gleichzeitig aber eine wirksame Reaktion auf Kriminalität und Terrorismus gewährleistet werden.

Auf die Frage, ob Hintertüren etwa für Messenger-Dienste mit durchgehender Verschlüsselung wie WhatsApp, Threema oder Signal geplant seien, wollte dies EU-Innenkommissarin Ylva Johansson nicht ganz ausschließen. "Es gibt keine Ja- oder Nein-Antwort", erklärte die Schwedin. Die Kommission prüfe das weitere Vorgehen mit den Mitgliedsländern, die einen Zugriff auf unverschlüsselte Kommunikation forderten.

Verschlüsselung sei ein wichtiges Werkzeug für Privatheit im Internet. Gleichzeitig müsse dafür gesorgt werden, "dass wir nicht blind sind angesichts terroristischer Bedrohungen". Die Polizei dürfe nicht immer weniger Möglichkeiten haben. Für Johansson ist damit klar: Die Politik muss einen "Mittelweg" finden. Sie will eine "offene politische Debatte" über eine bestmögliche Balance der verschiedenen Interessen zu führen.

Die Kommission arbeite parallel schon mit Diensteanbietern und Plattform-Betreibern in einer Arbeitsgruppe zusammen. Diese habe im Kampf gegen sexuelle Missbrauchsdarstellungen von Kindern verschiedene Möglichkeiten zur Entschlüsselung getestet. Im Anschluss folge dann eine politische Entscheidung.

IT-Sicherheitsexperten halten die bislang im Rahmen der Arbeitsgruppe vorgestellten Lösungen für untauglich. Mit ihrem präsentierten Kurs glaubt die Kommission an die in den laufenden Crypto Wars von Geheimdiensten und dem FBI entwickelte Idee, dass für Sicherheitsbehörden eine Form des außergewöhnlichen Zugriffs auf verschlüsselte Kommunikation möglich sein sollte und könnte, ohne die IT-Sicherheit insgesamt auszuhebeln. Sie ist damit ganz auf der Linie des Ministerrats, der auf die Beihilfe von Dienstanbietern setzt. Techniker verweisen eine solche "magische Lösung" ins Reich der Märchen, da es "ein bisschen verschlüsselt" nicht gebe.

Die Kommission schlägt zudem vor, das Mandat von Europol zu stärken. Die EU-Polizeibehörde betreibt bereits eine Plattform zur Entschlüsselung nach dem Vorbild der deutschen Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis). Terroristen missbrauchten oft Dienstleistungen privater Unternehmen, um künftige Attentäter zu rekrutieren, Anschläge zu planen und Propaganda zu verbreiten, argumentiert die Brüsseler Exekutivinstitution. Europol solle daher noch effizienter mit solchen Firmen wie Facebook zusammenarbeiten und Beweise an die Mitgliedstaaten weiterleiten dürfen.

Das vorgesehene Mandat wird es Europol auch ermöglichen, Big-Data-Analysen durchzuführen, die Zusammenarbeit mit der europäischen Staatsanwaltschaft Eurojust sowie mit Partnerländern außerhalb der EU zu vertiefen und "die Entwicklung neuer Technologien für die Strafverfolgung" zu unterstützen. 180 Millionen Euro und 160 zusätzliche Stellen sind dafür insgesamt eingeplant. Parallel sollen der Datenschutz sowie die parlamentarische Kontrolle der Behörde gestärkt werden. Die Kommission übernimmt so zentrale Konzepte aus einem Zehn-Punkte-Plan des EU-Rats zur Zukunft von Europol.

Folgen soll laut der Agenda im kommenden Jahr ein EU-Kodex für die polizeiliche Zusammenarbeit im Bereich der Mitgliedsstaaten. Im Bereich Prävention will die Kommission zudem stärker auf Erkenntnisse von Geheimdiensten setzen. So sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das EU-Zentrum für Informationsgewinnung und Lageerfassung (EU INTCEN) sich auf qualitativ hochwertige Beiträge stützen kann und "wir so ein besseres Lagebild erhalten". Eigentlich ist die Spionage ein souveräner nationaler Bereich.

Mit einem Vorschlag über die Widerstandsfähigkeit kritischer Infrastrukturen will die Kommission Beratungsmissionen schaffen, die die Mitgliedstaaten bei Risikobewertungen in Bereichen wie Transport, Energie, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung unterstützen. Auch die Sicherheitsforschung wird ihr zufolge dazu beitragen, "neue Bedrohungen frühzeitig zu erkennen" und entsprechende Technologien voranzubringen.

Viele der jüngsten Anschläge in der EU seien an stark frequentierten oder sehr symbolträchtigen Orten verübt worden, weiß die Kommission. Sie will daher den physischen Schutz öffentlicher Räume durch maßgeschneiderte Sicherheitskonzepte ("Security by Design") besser gewährleisten.

Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas, der für die Förderung des europäischen Lebensstils zuständig ist, denkt dabei nicht nur an Palmen als Barrieren in Nizza, sondern etwa auch an "intelligente Videoüberwachung" zur Identifizierung etwa von alleingelassenen Gepäckstücken. Die Kommission will auch einen eigenen Koordinator für Terrorismusbekämpfung ernennen, obwohl es eine solche Position auf Ratsebene schon gibt.

Die "Interoperabilität" zahlreicher Datenbanken rund um die Grenzkontrolle und die innere Sicherheit wie das Schengener Informationssystem oder das künftige Europäische Reisegenehmigungssystem (ETIAS) soll weiter erhöht werden. Jüngst räumte die deutsche Ratspräsidentschaft in einem vertraulichen Papier aber ein, dass die Großprojekte aufgrund der Komplexität und der vielfältigen Verbindungen zwischen den verschiedenen Bausteinen eine "Herausforderung" darstellten. Vor allem beim Ein-Ausreisesystems (EES) komme es zu Verzögerungen.

Druck macht die Kommission ferner bei der geplanten Verordnung zum Löschen terroristischer Inhalte aus dem Internet binnen einer Stunde. "Online werden die Leute radikalisiert, da findet man die Anleitungen zum Bombenbau, da gibt man auch an mit seinen Taten", meinte Johansson. "Das Internet darf kein Live-Theater werden für Terroristen", ergänzte Schinas.

Die voraussichtlich finale Verhandlungsrunde mit dem EU-Parlament ist für Donnerstag geplant. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen Digitale Gesellschaft, Chaos Computer Club, Digitalcourage und SaveTheInternet warnten die Beteiligten gerade noch einmal vor erheblichen Grundrechtseinschränkungen etwa durch Upload-Filter und grenzüberschreitende Entfernungsanordnungen.

(kbe)