Depressionen: Über die Augen messbar

Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat neue Merkmale zur Diagnostizierung affektiver Störungen entwickelt. Sie haben mit der Pupillenreaktion zu tun.

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(Bild: Photo by Cristian Newman on Unsplash)

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Die Augen seien das Fenster zur Seele, heißt es – mancher sagt auch "Spiegel" dazu. Die Vorstellung dahinter: Augen bringen inneres Empfinden ohne Umwege zum Ausdruck – sie eröffnen uns Einsichten, die sonst unzugänglich blieben. Forscher am Max-Plack-Institut für Psychiatrie in München (MPI) haben bei einer Studie mit schwer depressiven Patienten herausgefunden, dass das sogar ganz praktisch stimmt: Es gibt tatsächlich physiologische Grundlagen für diese Annahme.

Bei Menschen mit einer Depression gehören eine verminderte Fähigkeit zur Freude und Antriebslosigkeit zu den Hauptsymptomen. Schon lange stellten Wissenschaftler sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie genau dieses Leiden mit dem Belohnungszentrum im Gehirn zusammenhängt. Wird ein Mensch freudig erregt, weil er beispielsweise in einem Spiel etwas gewonnen hat oder eine besondere Belohnung erhält, dann weiten die Pupillen sich leicht. Die Forscher des MPI konnten nun nachweisen, dass diese Regulation bei depressiven Menschen gestört ist.

Im Rahmen der Studie führten Teilnehmer im Magnetresonanztomographen (MRT) ein Spiel durch, bei dem kleine Geldsummen gewonnen werden konnten. Hinter dem Präsentationsbildschirm waren schnelle Eye Tracker positioniert, mit denen die Blickbewegungen hochpräzise mit 250 Bildern pro Sekunde gemessen wurden. Bei dem Spiel wurden die Teilnehmer drei verschiedenen Stimuli ausgesetzt: der Aussicht auf Belohnung ("reward stimulus"), einem neutralen Reiz ("neutral stimulus") und einem Kontroll-Stimulus, für den keinerlei Reaktion provoziert wurde ("nonresponse stimulus").

Ein deutlicher Unterschied zeigte sich dann bei der ersten Anregung: Kam es zu einem Gewinn, regten sich die Pupillen der Depressiven vergleichsweise deutlich weniger als die der Teilnehmer aus der gesunden Kontrollgruppe. Es konnte außerdem eine Korrelation zwischen der Weitung der Pupille und dem Schweregrad der Depression festgestellt werden.

Die Studie zeigt damit, dass ein Belohnungseffekt für Depressive tatsächlich weniger reizvoll ist. Infolgedessen wird das Nervensystem der Erkrankten durch die Aussicht darauf weniger aktiviert als es bei nicht erkrankten Menschen der Fall ist. Studienleiter Prof. Dr. Victor Spoormaker und sein Team vermuten dahinter "ein physiologisches System, das die oft berichtete Antriebsstörung bei Patienten teilweise erklären kann".

Psychiatrische Diagnosen gründen neben körperlichen Untersuchungen in weiten Teilen auf Mitteilungen und beobachtbares Verhalten. Das MPI hält biologisch messbare Faktoren für nützlich, um im Zuge einer treffgenaueren Diagnostik individuellere Behandlungsmethoden anbieten zu können. So könnte man beispielsweise bei Patienten, deren Pupillen bei Belohnung weniger stark reagieren, eine gezieltere medikamentöse Therapie anbieten. Bis sich hieraus ein neuer Klassifikationsschlüssel entwickeln könnte, wird allerdings noch viel Forschung notwendig sein. (bsc)