IT-Arbeitsmarkt: Viele Akademiker, aber zu wenige Fachkräfte

Karriere und Geld sind wesentliche Argumente für ein Informatikstudium? Gibt es auch gute Gründe für eine Ausbildung zum Fachinformatiker?

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(Bild: Photographee.eu/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Der Trend zur Akademisierung in Deutschland setzt sich weiter fort. Im Wintersemester 2020/2021 waren mit rund 2,95 Millionen Studierenden so viele wie noch nie an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Die Zahl der Erstsemester aber sinkt seit Jahren, waren es vor fünf Jahren noch 0,1 Prozent sind es in diesem Jahr 4 Prozent weniger. Besonders hoch ist der prozentuale Rückgang in den technischen Fächern Elektrotechnik und Informationstechnik (-14 Prozent), Maschinenbau/Verfahrenstechnik (-10 Prozent), Informatik (-5 Prozent). Absolut gab es in der Informatik 39.000 Studienanfänger. Die Abbrecherquote in dem Fach ist jedoch extrem hoch. Aber auch die Chance für diese ehemaligen Studenten, eine duale IT-Ausbildung zu beginnen. Ist eine duale Ausbildung eine adäquate Alternative zur akademischen?

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Aktuell dominieren Beschäftigte mit Hochschulabschluss die IT-Berufe. "Von unseren etwa 2.300 Mitarbeitern haben rund 80 Prozent einen akademischen Titel", sagt Kerstin Aigner, Ausbildungsleiterin von Materna. Das verwundert nicht, schließlich wurde schon 1968 der erste Informatikstudiengang in Deutschland an der TH Darmstadt eingeführt. Die dualen IT-Ausbildungsberufe gibt es erst seit 1997. Inzwischen haben gut 300.000 Fachkräfte ihren Abschluss in einem der vier dualen Ausbildungsberufe gemacht. Der mit großem Abstand beliebteste ist der Fachinformatiker. Mit rund 16.500 Ausbildungsverträgen zählt er zu den zehn beliebtesten Berufen in Deutschland. Verglichen mit der Menge an Informatik-Absolventen in den vergangenen 30 Jahren ist das ein Klacks.

Obwohl der Akademikeranteil bei Materna so hoch ist, bildet das Unternehmen die meisten Fachinformatiker im Kammerbezirk der IHK-Dortmund aus, dem Sitz der IT-Firma, die Kunden bei deren Digitalisierungsprojekten unterstützt. Die Abbrecherquote im Studiengang Informatik an der TU Dortmund liegt nach Auskunft von Aigner bei etwa 70 Prozent.

Kerstin Aigner, Ausbildungsleiterin für IT-Berufe bei Materna, sieht eine Ausbildung als ersten Schritt zum IT-Studium.

(Bild: Materna SE)

"Wir stellen viele Abbrecher als Azubis ein und machen damit sehr gute Erfahrungen." Die anderen Auszubildenden als Fachinformatiker brauchen bei Materna eine Hochschulzugangsberechtigung. "15-jährigen Realschülern fehlt vielfach die Reife für eine solche Ausbildung, und Gymnasiasten sind nach G8 und mit 17 Jahren zu jung für ein Studium“, sagt Aigner.

Die erfahrene Personalerin rät deshalb zuerst zur Ausbildung und anschließend zum Studium. In der Ausbildung lernen die Azubis einen regelmäßigen Tagesablauf, Disziplin und Praxis. "Später studieren ist in vielen Fällen der bessere, weil erfolgreichere Weg", so Aigner. Unser durchlässiges Bildungssystem lässt dies auf die unterschiedlichste Art und Weise zu: ohne Hochschulzugangsberechtigung, aber mit beruflicher Praxis, nebenberuflich oder in Vollzeit. Die Möglichkeiten sind reich.

Für ein Informatikstudium sprechen nach Meinung von Professor Dr. Christian Koot, Studiendekan mehrerer IT-Studiengänge an der Hochschule Aalen, mehrere Gründe. "Ein IT-Studium ist eine theoretisch fundierte Ausbildung in allen wesentlichen Teildisziplinen der Informatik und die Gelegenheit, wissenschaftliches Arbeiten und die zugehörige Methodik zu erlernen." Ein erfolgreicher Abschluss bringe einen leichteren Zugang zu anspruchsvolleren Projekt- und Führungsaufgaben "und gegenüber einer betrieblichen Ausbildung im Durchschnitt deutlich bessere Verdienstmöglichkeiten". Geld und Karriere werden häufig als Gründe dafür genannt, die belegen sollen, dass das Studium die höherwertigere Ausbildung ist. Aber stimmt das tatsächlich?

Beim Gehalt zweifelsfrei. Das Vergütungsportal gehalt.de hat berechnet, dass in IT-Berufen Fachkräfte mit einer Berufsausbildung mit rund 34.000 Euro Jahresgehalt ins Berufsleben einsteigen. Etwa 10.000 Euro mehr bekommen Bachelor-Absolventen und 15.000 Euro diejenigen mit Master-Abschluss. Je höher der Bildungsabschluss, umso höher ist das Gehalt.

Mit zunehmender Berufserfahrung steigt der Unterschied noch weiter an: um das 50. Lebensjahr beträgt die Differenz zwischen einer Fachkraft mit Berufsausbildung und einem Bachelor-Absolventen rund 20.000 Euro jährlich. Die Gehaltsdifferenz zwischen Bachelor- und Master-Absolvent ist beim Eintritt ins Rentenalter mit ungefähr 5.000 Euro gleich hoch wie beim Start ins Berufsleben. Ein Master bringt damit finanziell nicht so viel, wie manche vielleicht hoffen oder meinen.

Bei der Karriere ist die Situation nicht so eindeutig wie beim Gehalt, denn beim Berufseinstieg sind die Tätigkeiten von ausgebildeten Fachkräften und Akademikern bei Materna ähnlich. "Aufgrund ihrer praktischen Erfahrung stellen viele frisch ausgelernte Fachinformatiker Hochschulabsolventen der Informatik fachlich in den Schatten", sagt Aigner. Dieser Praxisbezug ist dem Unternehmen wichtig. Die Ausbildungsleiterin verhehlt aber auch nicht, dass "mit zunehmender Berufserfahrung der Akademiker deren Karrierechancen gegenüber den beruflich Ausgebildeten steigen." Informatiker haben den notwendigen akademischen Hintergrund, um etwa als Software-Architekten zu arbeiten. Fachinformatiker müssen sich in diese anspruchsvolle Aufgabe ein- und hocharbeiten. Das gelingt nur wenigen.

Ist aber nicht schlimm, weil es zahlreiche Tätigkeiten für IT-Fachkräfte gibt, die kein Studium voraussetzen. "In den IT-Berufen gibt es viele Häuptlinge und wenig Indianer“, sagt Florian Kaiser, Leiter der Bildungsberatung bei der IHK München. Das Problem daran: Für reine Routine-Arbeiten im IT-Bereich sind Akademiker überqualifiziert. Weil der Anteil der Akademiker in den IT-Berufen bislang so hoch und der Anteil derer mit dualer Ausbildung so niedrig ist, fürchten die Unternehmen des Münchner IHK-Kammerbezirks einen zunehmenden Engpass bei IT-Fachkräften mit Berufsausbildung. Dabei brauchen die Firmen in den kommenden Jahren deutlich mehr beruflich Qualifizierte als Akademiker, so auch das Ergebnis einer Umfrage der IHK bei den Unternehmen. "Dass sich viele jungen Leute mit einem Studium nicht optimal entscheiden, belegen jedes Jahr die tausenden Studienabbrecher, auch in Informatik", sagt Kaiser. Eine Ausbildung wäre häufig die bessere Entscheidung.

Aktuell sind die Berufsaussichten mit beiden Abschlüssen sehr gut. Ob die der dual ausgebildeten Fachkräfte steigen, wird die Zeit zeigen.

(olb)