Fahrradverkehr: Wie Finnlands Hauptstadt die Unfallzahlen herunterbrachte

Helsinki ist ungewöhnlich sicher für Radfahrer und Fußgänger. Anni Sinnemäki, stellvertretende Bürgermeisterin für ­Stadtentwicklung, erklärt die Strategie.

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Anni Sinnemäki, Helsinkis stellvertretende Bürgermeisterin für Stadtentwicklung, hat Grund zum Lächeln: Viele Unfalltote im Hauptstadtverkehr sind Geschichte.

(Bild: Anni Sinnemäki/Anna Salmisalo)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

2019 kam in Helsinki nicht ein Radfahrer oder Fußgänger ums Leben, dieses Jahr nur zwei Radler und drei Fußgänger. Die stellvertretende Bürgermeisterin für Stadtentwicklung, Anni Sinnemäki, erklärt, wie die finnische Hauptstadt das geschafft hat.

Technology Review: Helsinki hat 2019 ein Vision-Zero-Ziel erreicht, da bei Verkehrsunfällen keine Radfahrer und Fußgänger starben. Wie ist 2020 gelaufen?

Anni Sinnemäki: Leider starben in diesem Jahr zwei Radfahrer und drei Fußgänger. Aber letztes Jahr waren wir wirklich glücklich, es war ein historisches Ergebnis, dass keine Radfahrer oder Fußgänger gestorben sind. Vision Zero bedeutet für uns allerdings, dass auch keine motorisierten Fahrer sterben. So gesehen sind wir noch nicht am Ziel, da letztes Jahr zwei Motorrad- und ein Autofahrer ums Leben gekommen sind und dieses Jahr ein Motorradfahrer und ein Auto-Mitfahrer.

Trotzdem hat Helsinki viele tödliche Unfälle verhindert. Wie haben Sie das erreicht?

In den 60er-Jahren waren in Helsinki jährlich 30 bis 40 Fußgänger-Unfalltote normal. Die wichtigste Sicherheitsmaßnahme war, dass ab den Siebzigern die Geschwindigkeitsbegrenzungen schrittweise gesenkt wurden. 2018 haben wir als letzten Schritt die Senkung von 50 auf 40 km/h auf alle Hauptstraßen ausgeweitet und in den übrigen Straßen von 40 auf 30 km/h.

Neue Geschwindigkeitslimits sind notorisch unbeliebt. Wie haben Sie die Bürger an Bord geholt?

Es war politisch nicht einfach, es gab heftige Kritik, und selbst die Entscheidung von 2018 war nicht einstimmig. Aber da die Diskussionen und Entscheidungen über Limits bereits in den Siebzigern begonnen haben und es ein langsamer Prozess war, war es letztlich nicht so schmerzhaft. Was sich sicher auch ausgewirkt hat, ist, dass Helsinki eine gute Stadt für öffentliche Verkehrsmittel ist. Mehr als 75 Prozent aller Strecken werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt. Autos sind also gar nicht so dominant.

Was planen Sie als Nächstes?

Wir wollen künftig besonders an Kreuzungen nicht nur tödliche Unfälle, sondern auch schwere Verletzungen verhindern. Da die Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht mehr das Hauptproblem sind, konzentrieren wir uns jetzt auf die physische Form und Struktur der Straßen und Kreuzungen, die die gefährlichsten Orte für Unfälle sind. Das bedeutet, dass wir etwa die Fahrspuren verengen, wenn Sie sich einer Kreuzung nähern, erhöhte Fußgängerüberwege einrichten und Bürgersteige an Kreuzungen erweitern. Damit letztendlich die Straßenstruktur vorgibt, wie man sich verhält. Denn wenn eine breite Straße wie eine Autobahn aussieht, halten sich die Leute vielleicht nicht an die 40 km/h, weil sich die Straße nicht danach anfühlt. Wir arbeiten auch mit der Polizei zusammen, um die Fahrgeschwindigkeit, rote Ampeln und Einbahnstraßen mit siebzig Kameras zu überwachen.

Geschieht das in der ganzen Stadt, oder analysieren Sie, wo die gefährlichsten Stellen sind?

Beim Erneuern unseres Verkehrssicherheitsprogramms haben wir die Daten über Verletzungen und Todesfälle analysiert und festgestellt, dass es ungefähr 20 Kreuzungen gibt, an denen die meisten Unfälle passieren. Außerdem hatten wir diesen Herbst die Bürger mit einem stadtplanbasierten Fragebogen dazu eingeladen, uns mitzuteilen, welche Orte sie als gefährlich wahrnehmen und warum. Wir freuen uns sehr, dass so viele mitgemacht haben.

(bsc)