Missing Link: Souverän im Netz – wie Staaten digitale Selbstbestimmung gestalten

Digitale Souveränität war eines der Buzzwörter 2020. Nur hat niemand so recht erklärt, wie er digital souverän sein will. Und wer ist der digitale Souverän?

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(Bild: nepool / shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Schon in den ersten beiden Wochen des neuen Jahres kann man zwei Konferenzen zum Thema „Digitale Souveränität“ besuchen, eine in Hongkong und eine in Brüssel – natürlich beide virtuell. Ost und West verstehen nicht das gleiche unter dem Begriff, aber auch in Europa oder in der deutschen Politik variieren die Vorstellungen, wie man digital souverän sein sollte. Wie die Politik argumentiert und was die Technik möglich machen kann, erkunden wir im ersten Missing Link des Jahres.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Seit knapp zwei Jahren arbeitet man im Schweizer Netzwerk „Digitale Selbstbestimmung“ an der Idee von vertrauenswürdigen Datenräumen. Ein konkretes Projekt, den Data Hub des Bundesamts für Energie, stellten Schweizer Vertreter beim Internet Governance Forum im November vor. Durch eine zentrale Datenplattform soll Energie effizienter produziert, verteilt und verbraucht werden. Die Bürger könnten ihren ökologischen Fußabdruck selbst kontrollieren, stellte Matthias Galus vom BfE in Aussicht. Ein weiteres Projekt ist die Schweizer Mobilitätsplattform, eine Initiative des Bundesamts für Verkehr, das erst einmal alle Mobilitätsanbieter an einen Tisch gebracht hat.

Bewusst spreche man von digitaler Selbstbestimmung statt von digitaler Souveränität, sagt Thomas Schneider vom Bundesamt für Kommunikation, das mit federführend für den Aufbau des Netzwerks verantwortlich ist. Natürlich spiele digitale Souveränität auch eine Rolle und die Überlegung, wie man angesichts der Macht der großen Plattformen und Technologieprovider als Staat noch die Kontrolle behalten könne, sagt Schneider. Es werde aber leicht vergessen in diesen Debatten, dass der Souverän die Bürger seien.

Die Idee von der Behauptung staatlicher – oder nationaler – Souveränität im Cyberspace hat Chinas autokratische Staatsführung ins Spiel gebracht. Chinas Staatschef Xi Jinping unterstrich den Anspruch auf „Cybersouveränität“ für sein Land bei der 2. Weltkonferenz der Informationsgesellschaft der Vereinten Nationen 2015. Zuvor hatten chinesische Delegationen in den ersten Internetkonferenzen der UN klargemacht, dass das Ausland bitte die Hände von „ihrem Cyberspace“ zu lassen habe. Die US-Hoheit über zentrale Netzressourcen wie Namen und Nummern sei damit übrigens auch nicht vereinbar.

Der gerne als „Norden“ bezeichnete Block der kapitalistischen Demokratien war lange Zeit vereint in der Ablehnung von dieser Art digitaler Souveränität, zumindest in der Form, wie China sie behauptete. Doch seit 2015 kreist auch Deutschlands nationaler IT-Gipfel um das Thema. 2020 war die digitale Souveränität Programmpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron pocht seit Jahren auf eine Rückgewinnung staatlicher Souveränität im „kalifornisch“ geprägten Netz.

„Die Chinesen reiben sich angesichts der heute stattfindenden Diskussion über digitale Souveränität natürlich die Hände“, bedauert der emeritierte Völkerrechtler Wolfgang Kleinwächter, der den Aufstieg des Begriffs sozusagen live verfolgt hat. Jahrelang habe er auch international für digitale Selbstbestimmung gestritten, die auf das Volk abhebt, sagt Kleinwächter. „Aber wie das im Politiksprech so ist, man kriegt den ‚Souveränitäts‘-Begriff nicht mehr weg.“