Parler & Co.: Bürgerrechtler warnen vor Zensur auf elementarer Netzebene

Das vorläufige Aus für Parler heizt die Deplatforming-Debatte an. ACLU und EFF fordern, dass sich Infrastrukturanbieter wie Amazon neutral verhalten.

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(Bild: Ascannio/Shutterstock.com)

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Das gemeinsame Vorgehen wichtiger Internetkonzerne aus dem Silicon Valley und aus anderen Teilen der Westküste der USA gegen kleinere Netzwerk- und App-Betreiber nach dem Sturm auf das Kapitol stößt US-Bürgerrechtlern übel auf. Dass Amazon bei Parler den Stecke gezogen hat und Apple sowie Google die Anwendung aus ihren App-Stores warfen, sollte kritische Beobachter innehalten lassen, meint etwa Jillian York, Direktorin für internationale Meinungsfreiheit bei der Electronic Frontier Foundation (EFF). Dies gelte unabhängig davon, was man von dem sozialen, zuletzt von vielen Rechtsextremen bevölkerten Netzwerk halte.

In den vergangenen Tagen hätten sich drei Infrastrukturbetreiber dazu entschlossen, ihre Dienste für eine ganze Plattform abzuschalten, schreibt die Aktivistin in einem Blogbeitrag. Dies gehe über die ebenfalls umstrittene Sperre für den amtierenden US-Präsidenten Trump auf Plattformen wie Twitter und Facebook hinaus, von der zunächst nur eine einzelne Person betroffen sei. Beim Betrieb von Cloud-Diensten wie Amazon Web Services (AWS) und App-Stores handle es sich um Dienste auf einer elementaren, "tiefen" technischen Netzwerkebene, für die nicht so leicht – oder gar kein hinreichender – Ersatz zu finden sei.

"Privatfirmen haben nach amerikanischem Recht das Recht, sich zu weigern, Inhalte zu hosten oder zu unterstützen, die ihnen nicht gefallen", stellt York klar. Hinter ihren Entscheidungen verbärgen sich aber besonders hohe Risiken, "wenn sich eine Gruppe von Unternehmen zusammenschließt, um bestimmte Meinungsäußerungen oder Redner effektiv komplett offline zu nehmen".

Die 38-Jährige verweist auf ein anderes Beispiel für einen solchen gefährlichen "Infrastruktur-Takedown": Vor ein paar Monaten habe der Videokonferenzanbieter Zoom entschieden, eine Online-Veranstaltung der San Francisco State University zu blockieren, an der prominente Aktivisten der schwarzen und südafrikanischen Befreiungsbewegungen, die Gruppe Jewish Voice for Peace und die Flugzeugentführerin Leila Chaled von der in den USA als Terrororganisation eingestuften Volksfront zur Befreiung Palästinas teilnahmen. Diese – offenbar auf äußeren Druck hin beschlossene – Blockade habe Facebook und YouTube dazu inspiriert, dem Beispiel zu folgen.

York hält dagegen: "So wie Sie nicht erwarten, dass Ihre Telefongesellschaft Entscheidungen darüber trifft, wen Sie anrufen dürfen", sollte ein Konferenzdienst auch nicht bestimmen, "wer an Ihrem Meeting teilnehmen darf". Amazons Entscheidung, den Mikroblogging-Dienst Parler aus dem Cloud-Hosting zu hieven, werfe so ein Schlaglicht auf die wichtige Frage: "Wer sollte entscheiden, was akzeptable Sprache ist, und in welchem Maße sollten Unternehmen auf der Infrastrukturebene eine Rolle bei der Zensur spielen?" Die Antwort der EFF darauf sei "so einfach wie herausfordernd": Wo immer es möglich ist, sollten Nutzer hier selbst entscheiden und Unternehmen sich auf der Infrastrukturebene heraushalten.

Ganz ähnlich argumentiert Ben Wizner von der American Civil Liberties Union (ACLU). Es sei zwar verständlich, dass kein Unternehmen mit den "abstoßenden Beiträgen" in Verbindung gebracht werden wolle, die den Angriff auf den US-Kongress unterstützt hätten, erklärte der Anwalt gegenüber der "New York Times". Die Situation von Parler sei aber beunruhigend: Auf der Ebene der Netzinfrastruktur komme es auf Neutralität an. Parler sei nicht von Pro-Trump-Anhängern gegründet worden und werde auch nicht von ihnen betrieben, gibt der Reporter Glenn Greenwald zu bedenken, dem Edward Snowden Teile seiner NSA-Geheimpapiere anvertraute. Die Plattform sei auf Basis "libertärer Werte" wie Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und Kritik an Überwachung als Alternative zu Facebook und Twitter gegründet worden. Eine der wichtigsten frühen Investorinnen sei jedoch die erzkonservative Rebekah Mercer gewesen, deren Milliardärsfamilie Trump mit an die Macht gebracht hat.

Das Parler-Management klagt inzwischen in Seattle wegen des eingestellten Hostings gegen Amazon. Der Fall erinnert an das temporäre Aus für Gab.com, das ebenfalls bei Neonazis und anderen Rechtsradikalen beliebt ist.

Nach einem Anschlag auf eine Synagoge mit elf Toten stellte der Hostprovider GoDaddy dem Betreiber des sozialen Netzwerks 2018 ein Ultimatum zum Umziehen. Zuvor hatte der Attentäter auf der Plattform antisemitische Botschaften und Verschwörungserzählungen verbreitet. Obwohl einige Beteiligte am Sturm auf das Kapitol auf Parler und Gab aktiv gewesen seien, habe der Großteil des Mobs Appelle zu der Aktion über die großen sozialen Netzwerke wahrgenommen, hat Fadi Quran, Kampagnenleiter bei der Bürgerrechtsbewegung Avaaz, beobachtet.

Verschwörungsmilizen wie QAnon oder die Proud Boys, die in Washington eine wichtige Rolle gespielt hätten, wären ohne Facebook und Twitter nie so groß geworden. Amazon, Apple und Google begründeten ihr Einschreiten gegen Parler damit, dass das Netzwerk die Nutzungsbedingungen und Vorgaben zum Löschen gemeldeter Inhalte inklusive Morddrohungen gegen Politiker, Journalisten und Aktivisten nicht einhalten könne und wolle. Dies gefährde die öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus wollten sie sich zur Deplatforming-Debatte nicht äußern.

Der AWS-Manager Chris Vonderhaar soll Angestellte in Rechenzentren gemahnt haben, auf sich und die Umgebung der Anlagen zu achten. Zuvor waren Angriffe auf Datencenter angedroht worden. Eine im Kern für Klimaschutz streitende Mitarbeitervertretung Amazons hatte am Samstag das Management des Online-Konzerns aufgefordert, Parler nicht länger zu hosten, bis dort Beiträge gelöscht seien, die zu Gewalt etwa rund um die Amtseinführung des gewählten Präsidenten Joe Biden aufriefen: "Wir können uns nicht an weiterem Blutvergießen und gewaltsamen Angriffen auf unsere Demokratie beteiligen." Nachdem Amazon den Dienst abgeschaltet hatte, feierte die Vereinigung ihren Sieg. Es sei richtig, weißen Rassisten die Technik zu entziehen, "an der wir arbeiten". Diese dürfe nicht als deren Megafon missbraucht werden.

(kbe)