Wissenschaftler: Künstliches Fleisch kann Umwelt enorm entlasten

Obwohl die Nachfrage nach vegetarischer und veganer Ernährung steigt, essen viele nach wie vor gern Fleisch. Die Fleischerzeugung aber hat viele Nachteile.

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(Bild: FooTToo / Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Elmar Stephan
  • dpa

In einem Restaurant in Singapur ist kürzlich erstmals ein Hähnchen-Nugget serviert worden, dessen Fleisch im Labor entstand. Der Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi von der Universität Vechta sieht darin einen Epochenwandel, auf den sich auch hierzulande die Land- und Ernährungswirtschaft einstellen muss.

Sie sagen, die Zulassung von im Labor erzeugtem Fleisch in Singapur ist die größte Innovation in der menschlichen Ernährung seit zwei Millionen Jahren – warum?

Lin-Hi: Bisher haben wir unser Fleisch erzeugt durch die Kultivierung von Tieren, was auch die Erzeugung von Futtermitteln und damit die Kultivierung von Pflanzen einschließt. In Zukunft erzeugen wir Fleisch ohne Tiere. Man muss bedenken, welche Effekte die Fleischerzeugung bislang auf unsere Umwelt hat: Etwa ein Drittel der Treibhaus-Emissionen kommt aus dem Ernährungssektor, davon entfällt die Hälfte auf die Fleischproduktion. Weltweit steigt nicht nur die Bevölkerung – bis 2050 sollen es fast zehn Milliarden Menschen sein – mit zunehmendem Wohlstand steigt auch die Nachfrage nach Fleisch. Beide Faktoren führen dazu, das bis 2050 eine Steigerung des Fleischkonsums von 50 bis 70 Prozent prognostiziert wird. Mit der konventionellen Fleischerzeugung werden alle Klimaschutzziele, die wir haben, nicht zu erreichen sein.

Zur Person

Nick Lin-Hi (40) hat 1999 sein Abitur in Hildesheim gemacht, studierte in Eichstätt-Ingolstadt Betriebswirtschaftslehre, promovierte 2008 an der Handelshochschule in Leipzig und habilitierte sich 2015 an der Universität Mannheim. Seit August 2016 ist er Inhaber der Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta.

Aber ist denn Fleisch aus dem Labor überhaupt nachhaltiger und ressourcenschonender?

Wir wissen natürlich nicht, ob sich die Versprechen der neuen Technik realisieren lassen. Optimisten sehen das Potenzial, bis zu 90 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen zu haben, 90 Prozent weniger Wasserverbrauch und 90 Prozent weniger Landverbrauch haben zu können. Das ist ein Versprechen auf eine viel nachhaltigere Entwicklung.

Dennoch ist der Aufwand für In-Vitro-Fleisch größer als für rein pflanzliche Fleisch-Alternativen, etwa beim fleischlosen Burger.

Das ist richtig. Wir könnten darüber reden, ob wir es schaffen, den Menschen vom Fleischkonsum wegzukriegen. Ich halte das für wenig realistisch. Wir Menschen lieben das Fleischessen, den Geschmack, wir lieben es, abends im Sommer in geselliger Runde am Grill ein Steak zu brutzeln.

Aber zuletzt ist die Nachfrage nach pflanzlichen Fleisch-Alternativen doch stark gestiegen.

Pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte sind sehr erfolgreich. Deswegen haben sich auch alle großen Unternehmen diesem Marktsegment zugewandt. Aus meiner Sicht ist das eine Brückentechnologie. Gerade der klassische Fleischkonsument als Zielgruppe wird nicht vom echten Fleisch lassen. Aber mit dem künstlich erzeugten Fleisch geht die Tür auf zum Markt dieser Konsumenten. Es ist das perfekte Substitut, es ist echtes Fleisch.

Bis künstlich erzeugtes Fleisch im Massenmarkt ankommt, dürfte aber noch eine ganze Zeit vergehen...

Das kann schneller gehen, als man jetzt denkt, zumal kultiviertes Fleisch in Singapur jetzt wirklich real auf den Teller kommt. Es ist ein Signal an die Finanzmärkte, in diesem Bereich Milliarden zu investieren. Und wenn Geld reinfließt, geht es auch mit der Entwicklung und Produktion von neuen Produkten sehr schnell. Gerade der asiatische Markt und nicht zuletzt China dürften das Thema schnell aufnehmen.

Wie sehen Sie die Ernährungswirtschaft hierzulande in der Frage aufgestellt?

Dass sich Unternehmen wie die PHW-Gruppe, also Wiesenhof, über Start-Ups an der Entwicklung alternativer Proteinquellen beteiligen, finde ich extrem wichtig. Generell aber habe ich die Sorge, dass der Zug am Ende ohne die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft abfährt. Da ändert sich gerade etwas ganz gewaltig in der Welt, und wir kommen nicht schnell genug hinterher. Gerade, wenn ich an die Landwirtschaft mit ihren Problemen, etwa den zusammengebrochenen Fleisch-Export nach China, denke, finde ich, dass man da den Mut finden müsste zu etwas grundlegend Neuem. Wir haben gerade mit unseren genossenschaftlichen Strukturen die Chance, da etwas aufzubauen. Aber auch die Politik müsste mehr tun.

(mho)