Bürgerrechtler warnen vor bundesweitem Kfz-Kennzeichen-Scanning

CCC und Digitalcourage monieren den Plan der Bundesregierung zum bundesweiten Erfassen von Fahrzeugkennzeichen. Das sei schon auf Länderebene umkämpft.

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Automatisiertes Kennzeichenlesesystem (AKLS)

(Bild: Jenoptik)

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Datenschutzverfechter kritisieren den Plan der Bundesregierung scharf, eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Einsatz automatisierter Kennzeichenlesesysteme (AKLS) im öffentlichen Verkehrsraum durch Polizei, Zoll und andere Fahndungsbehörden zu schaffen. Frank Rosengart vom Chaos Computer Club (CCC) beklagt: "Damit soll bundesweit legalisiert werden, was schon auf Länderebene äußerst umstritten ist."

Das Beispiel Brandenburg zeige, "dass trotz strenger gesetzlicher Vorgaben die polizeiliche Praxis völlig aus dem Ruder gelaufen ist", gibt Rosengart zu bedenken. Der Hacker hatte dem Innenministerium des Landes im September den Big Brother Award für die anlasslose und dauerhafte Kennzeichenerfassung auf der A12 mit dem umstrittenen System Kesy verliehen. Leider hätten dort "sämtliche Kontrollmechanismen versagt, so dass über viele Jahre eine grundrechtswidrige Datensammlung auf Vorrat stattgefunden hat". Die nun geplante "butterweiche" Norm in Paragraf 163g Strafprozessordnung (StPO) werde "Missbrauch noch leichter machen".

Das Bundesverfassungsgericht hatte zuletzt 2019 die Praxis zum automatischen Scannen von Kfz-Kennzeichen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen für teilweise unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. "In solchen Kontrollen liegen Grundrechtseingriffe gegenüber allen Personen vor, deren Kraftfahrzeugkennzeichen erfasst und abgeglichen werden, unabhängig davon, ob die Kontrolle zu einem Treffer führt", monierten die Karlsruher Richter. In den Ländern ist die Maßnahme auf die Gefahrenabwehr beschränkt, bundesweit soll sie jetzt auch zur Strafverfolgung zulässig werden.

Rena Tangens aus dem Vorstand des Datenschutzvereins Digitalcourage erwartet daher, dass auch die nun geplante bundesweite Erlaubnis keinen Bestand haben dürfte. Schon 2008 habe das höchste Gericht klargestellt, dass es enge Grenzen für die Verhältnismäßigkeit bei diesem Instrument gebe, führt sie aus. Mit der vorgesehenen StPO-Novelle bleibe aber vieles vage: So sollten Kfz-Kennzeichen "vorübergehend" und "örtlich begrenzt" beim Verdacht auf "erhebliche Straftaten" erlaubt werden, was den Behörden "viel zu viel Ermessensspielraum" lasse.

Einen Richtervorbehalt solle es zudem nicht geben, stößt Tangens übel auf. Eine schriftliche Anordnung der Staatsanwaltschaft reiche dem Entwurf nach aus, bei "Gefahr im Verzug" dürfe diese sogar mündlich durch die Ermittlungspersonen ergehen. Die Polizei könne sich "also im Zweifel selbst dazu berechtigen". Dies stehe in keinem Verhältnis zur Schwere des damit verknüpften Einschnitts in die Grundrechte.

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"Der massenhafte Abgleich von Kfz-Kennzeichen führt selten und allenfalls zufällig einmal zur Aufklärung von Straftaten", erklärte der EU-Abgeordnete Patrick Breyer, der seit Jahren gerichtlich gegen den massenhaften Abgleich von Nummernschildern mit Datenbanken der Ordnungshüter vorgeht. Die Maßnahme verschwende "die wertvolle Arbeitskraft von Polizeibeschäftigten damit, die zu über 90 Prozent falschen Treffermeldungen der fehleranfälligen Technik auszusortieren".

Die permanente massenhafte automatisierte Kontrolle der gesamten Bevölkerung drohe wie ein Krebsgeschwür immer weitere Kreise zu ziehen, befürchtet das Mitglied der Piratenpartei, die Standorte der Scanner veröffentlicht. "Heute zur Fahndung und Beobachtung, morgen für Knöllchen gegen Temposünder und zur Diesel-Fahrverbotsüberwachung und übermorgen wird eine biometrische Gesichtserkennung an jeder Straßenecke eingeführt." Die vom Grundgesetz garantierte Handlungsfreiheit gehe unter dieser ständigen Kontrolle verloren.

Breyer verwies darauf, dass eine 2018 von ihm eingereichte Beschwerde gegen das Kfz-Kennzeichen-Scanning durch die Bundespolizei beim Bundesverfassungsgericht noch anhängig sei (Az. 1 BvR 1046/18). In Brandenburg klage zudem ein Mitglied der Piratenpartei gegen die dortige weite einschlägige Praxis. Der Fall liege beim Landesverfassungsgericht.

Der Bremer Informationsrechtler Dennis-Kenji Kipker erinnerte die federführende Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) daran, dass es einmal Zeiten gegeben habe, in denen das Justizressort das "Nadelöhr" für ausufernde Überwachungsgesetzgebung gewesen sei. Diese Zeiten schienen offenbar passé zu sein.

(tiw)