Urheberrecht: Bundesregierung will "roten" Sperrknopf für Rechteinhaber

Die Urheberrechtsreform soll freie Inhalte-Schnipsel stutzen und das Beschwerdeverfahren aufbohren. Die Kabinettsentscheidung wurde aber verschoben.

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(Bild: Blackboard/Shutterstock.com)

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Von
  • Stefan Krempl
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Die Bundesregierung will die geplante vergütungspflichtige Ausnahme vom exklusiven Verwertungsrecht noch einmal massiv eindampfen, die für geringfügige Nutzungen von Schnipseln aus Video-, Audio- und Textmaterial auf Online-Plattformen bei nichtkommerziellen Zwecken gelten soll. Dies geht aus dem Regierungsentwurf hervor, mit dem die umkämpfte EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden soll. Das Bundeskabinett wollte die Initiative am Mittwoch auf den Weg bringen, schob die Entscheidung aber überraschend noch einmal auf. Das Gesetz muss nach der Entscheidung im Kabinett dann noch durch den Bundestag und den Bundesrat.

Zum Schutz der Kunstfreiheit und der sozialen Kommunikation soll der Gesetzgeber laut dem heise online vorliegenden Entwurf die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke insbesondere zu den Zwecken von Zitat, Karikatur, Parodie und Pastiche erlauben. Dabei sei auch an Praktiken wie Remix, Meme, GIF, Mashup, Fan Art, Fan Fiction oder Sampling zu denken. Bei Pastiche kommt nun aber bereits der Zusatz hinzu, dass eine legale Nutzung "in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt" sein müsse.

Um die mit Artikel 17 der Urheberrechtsrichtlinie verknüpften Upload-Filter einzuhegen, wie es die Bundesregierung versprochen hat, sollen in sozialen Medien zudem "geringfügige Nutzungen" geschützter Werke zulässig werden. Die Vorgaben dazu fallen in dem Papier nun deutlich schmaler aus als bisher. Umfasst sein sollen nur noch 15 Sekunden je eines Filmwerkes oder Laufbildes und einer Tonspur, 160 Zeichen eines Texts sowie 125 Kilobyte je eines Lichtbildwerkes, Lichtbildes oder einer Grafik. In früheren Entwürfen war von 20 Sekunden bei Video- oder Audioaufnahmen, 1000 Textzeichen und Bildern mit 250 Kilobyte die Rede.

Schon im vorausgegangenen Papier von Ende November hatte das federführende Bundesjustizministerium diese "Bagatellklausel" mit mehreren zu erfüllenden Anforderungen "eingefangen". Sie gilt demnach nur für nutzergenerierte Inhalte, die weniger als die Hälfte eines Werkes von Dritten enthalten, die grundsätzlich zulässigen Auszüge "mit anderem Inhalt kombinieren" und Schöpfungen Dritter tatsächlich nur geringfügig nutzen oder vom Nutzer entsprechend als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet sind.

Am Konzept der Bagatellausnahmen hält die Regierung weiter fest, "um unverhältnismäßige Blockierungen entsprechender Uploads beim Einsatz automatisierter Verfahren zu vermeiden". Das eigentlich für Nutzer gedachte Beschwerdeverfahren gegen das widerrechtliche Löschen legaler Inhalte durch Diensteanbieter hat sie nun aber auf Rechteinhaber fokussiert. Diese sollen einen "roten Knopf" zum unverzüglichen Blockieren von Inhalten bekommen.

Netzwerkbetreiber wie YouTube würden generell verpflichtet, die anderen Beteiligten über die Beschwerde zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, heißt es in dem Vorhaben. Die Entscheidungsfrist betrage maximal eine Woche. Nun will das Kabinett aber verstärkt dem Umstand Rechnung tragen, dass die abstrakt definierten Voraussetzungen für mutmaßlich erlaubte Nutzungen in einem gewissen Umfang auch Inhalte online verfügbar machen könnten, bei denen sich die Vermutung einer legalen geringfügigen Inanspruchnahme "bei einer menschlichen Überprüfung ohne Weiteres widerlegen ließe".

Sprich: Ein Nutzer könnte fälschlicherweise behaupten, dass ein Upload rechtlich zulässig sei, die Filter ließen diesen so durch. Für diese Fälle soll die überarbeitete Vorschrift jetzt für "vertrauenswürdige Rechtsinhaber" einen Mechanismus bereitstellen, um erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigungen ihrer Ansprüche "bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens sofort unterbinden zu können". Hier überwiege das Interesse an einer automatisiert durchzuführenden Blockade. Das weitere Vorgehen hänge von der Entscheidung über die Beschwerde selbst ab.

Die Inanspruchnahme dieses "roten Knopfs" kommt laut der Begründung insbesondere "bei rechtswidrigen Nutzungen von Premiuminhalten in Betracht, die die Verwertung auf den Primärmärkten erheblich stören können, etwa bei der Nutzung von Teilen eines aktuellen Spielfilms in willkürlicher Kombination mit einem anderen Inhalt, der zugleich falsch als erlaubte Nutzung gekennzeichnet war".

Rechtsinhaber sind dem Plan zufolge bei Missbrauch durch falsche Copyright-Ansprüche vorübergehend von der Möglichkeit auszuschließen, Inhalte sperren zu lassen. Sie sind Nutzern und Diensteanbietern überdies schadensersatzpflichtig. Ist es zu einem missbräuchlichen Blockierverlangen im Hinblick auf Inhalte gekommen, die tatsächlich gemeinfrei sind oder etwa unter einer Creative-Commons-Lizenz stehen, so hat der Diensteanbieter "bestmöglich sicherzustellen, dass diese Werke nicht erneut blockiert werden". Ein wiederholter Missbrauch des "roten Knopfes" soll mit dem Ausschluss von diesem Verfahren sanktioniert werden.

Nutzern wiederum droht bei mehrfachem "False Flagging" der zeitweise Ausschluss von der Möglichkeit zur Kennzeichnung erlaubter Nutzungen. Netzwerkbetreiber könnten zudem etwa von Verbraucherschutzverbänden "auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn sie wiederholt erlaubte Nutzungen fälschlicherweise blockiert haben".

Ein Stück weit nachgegeben hat das Justizressort bei der Beteiligungsquote der Urheber an möglichen Einnahmen der Presseverleger aus dem ebenfalls wieder vorgesehenen Leistungsschutzrecht im Internet. Die Urheber sind prinzipiell zwar weiterhin mindestens zu einem Drittel daran zu beteiligen. Davon soll nun aber "zum Nachteil des Urhebers" durch eine Vereinbarung abgewichen werden, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel oder einem Tarifvertrag beruht. Die Beteiligung werde so "zur Disposition der Verbände der Kreativen" und der Verleger gestellt.

Ähnlich sieht es aus bei der Beteiligung der Verlage an Einnahmen, die Urheber über Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort erzielen. Dabei sollen dem Urheber zwar weiterhin mindestens zwei Drittel der Einnahmen zustehen. Dazu kommt aber die Öffnungsklausel: "sofern die Verwertungsgesellschaft keine andere Verteilung festlegt".

Beim Leistungsschutzrecht unterstreicht die Regierung ferner nun, dass dieses sich auch auf Vervielfältigungen für Online-Nutzungen beziehe wie das "Versenden von E-Mail-Newslettern mit Inhalten aus Presseveröffentlichungen an einzelne Nutzer". Rein interne notwendige Kopien wie etwa einer Webseite oder eines Dokuments zur Aufnahme in den Index einer Suchmaschine (Cache) sollen außen vorbleiben.

Vertreter der Musik- und Medienwelt laufen trotz der Änderungen noch einmal Sturm vor allem gegen die geplanten Reste der freien Inhalte-Schnipsel. So haben etwa der Bundesverband Musikindustrie (BVMI), der Bundesverband professioneller Bildanbieter, die früher als VG Media bekannte Corint Media, der DFB, der Computerspieleverband Game, die Motion Picture Association der Filmindustrie, die Produzentenallianz, die im Vaunet vertretenen Privatsender sowie der Verband unabhängiger Musikunternehmer einen "dringenden Appell" insbesondere an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) geschickt.

Jede Sekunde, jedes Foto zähle, heißt es in dem Brandbrief. "Der kleinste Ausschnitt eines Werkes kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen, die Handlung eines ganzen Films oder einer Serie kann in wenigen Sekunden verraten werden." Es drohe ein dramatischer Einschnitt "in die Wertschöpfung unserer Sektoren". Diese Hinweise seien bislang "vollständig und unter Vernachlässigung jedweder Evidenz außer Acht gelassen" worden. Zudem nehme die Regierung "die Kollision mit inter- und supranationalem Recht und deutschem Verfassungsrecht in Kauf". Ähnliche Schreiben versandte der BVMI auch an andere Kabinettsmitglieder und Abgeordnete.

Unter anderem der hinter der Wikipedia stehende Verein Wikimedia sieht ebenfalls die gesamte Reform auf der Kippe – aber aus genau gegenteiligen Gründen. Der zunächst vorgesehene, recht nutzerfreundliche Pre-Flagging-Mechanismus sei mittlerweile "umgekehrt" worden und setze nun "eine flächendeckende Durchleuchtung von Uploads faktisch voraus", heißt es dort. Nutzerinteressen würden allenfalls "auf Abruf" gesichert.

Die Fragen des Europäischen Gerichtshofs im Rahmen der mündlichen Anhörung zur Klage Polens gegen Artikel 17 im November deuten laut Wikimedia darauf hin, "dass Kleinstnutzungen sogar erlaubt sein müssen". Entsprechend sollte im weiteren Verfahren eine Lösung gefunden werden, die "die grundrechtlich geschützten Kommunikationsfreiheiten auch in ihren aktuellen Formen wie der Meme-Kultur schützt". Nur dann könne die Umsetzung europarechtskonform und verhältnismäßig sein.

[Update 27.01.2021 10:15]:

Überraschend hat das Bundeskabinett seinen Plan, den Regierungsentwurf zur Urheberrechtsreform am Mittwoch zu billigen, in letzter Sekunde aufgegeben. Offenbar gibt es nach wie vor Streit zwischen den Ressorts über die letzten Details, dazu kam der Protest von vielen Seiten rund um die Initiative. Ein neuer Termin für den Kabinettsbeschluss steht noch nicht fest.

(axk)