Japan: Revolution beim Wasserstoff-Transport, aber welche?

Damit die Wasserstoffwirtschaft läuft, müssen funktionierende Lieferketten her. Japanische Konzerne konkurrieren um diesen Zukunftsmarkt.

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Anlage von Chiyoda.

(Bild: Chiyoda Chemical Engineering)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Wasserstoff als Energiespeicher erlebt gerade weltweit einen Boom. In Nippon konkurrieren dabei bereits zwei Konsortien um die Lösung der Schlüsselfrage: Wie kann das flüchtige Element möglichst verlustarm, in großen Mengen und preiswert vom Produktionsort A global zum Verwendungsort B transportiert werden?

Im Frühjahr wird eine Firmengruppe um den Schwerindustriekonzern Kawasaki Heavy Industries in der Hafenstadt Kobe das erste Terminal für flüssigen Wasserstoff in Betrieb nehmen. Ein neuentwickelter Spezialtanker wird das Element zuvor in Australien laden und bei unter minus 162 Grad Celsius nach Japan verschiffen.

Nun bekommt die Gruppe heimische Konkurrenz: Ein Team um den Ingenieurskonzern Chiyoda Chemical Engineering kündigte an, in diesem Jahr eine Technik für den Transport von Wasserstoff bei Umgebungstemperatur und -druck zu demonstrieren. Japans Wirtschaftszeitung Nikkei feierte die bevorstehende Machbarkeitsstudie diese Woche bereits als "Durchbruch, der die Verbreitung von Wasserstoff als Alternative zu kohlenstoffbasierten Kraftstoffen beschleunigen könnte".

Mit von der Partie sind die Handelshäuser Mitsubishi, Mitsui sowie die Reederei Nippon Yusen. Das Ziel des Teams: Mitte des Jahrzehnts soll die Kommerzialisierung beginnen. Auch im Ausland stößt das Projekt auf Interesse: Fünf Unternehmen aus Singapur haben bereits ihre Absicht erklärt, die Technologie ab 2030 großindustriell zu nutzen.

Der Reiz der Idee liegt in der Transportmethode. Es gibt mehrere gängige Varianten: Gebunden in Erdgas, unter Druck gelagert oder als flüssiger Wasserstoff. Auch in dem neuen Fall wird der Wasserstoff flüssig bewegt. Aber im Gegensatz zu flüssigem Wasserstoff, der mindestens auf minus 162 Grad gekühlt und in Spezialtankern und -tanks gelagert werden muss, kann Chiyodas Energiespeicher in handelsüblichen Tankern oder Pipelines transportiert werden. Zudem kann der Wasserstoff in normalen, nicht gekühlten Tanks mindestens zwei Jahre ohne große Verluste gelagert werden. Flüssiger Wasserstoff hingegen eignet sich genauso wenig wie Flüssiggas für die Langzeitlagerung.

Chiyodas Rezept: Das Unternehmen hat einen Weg gefunden, Wasserstoff effizient aus Methylcyclohexan (MCH) abzuspalten. Die Verbindung ist ein Lösungsmittel, das durch die Verbindung von Wasserstoff mit Toluol, ebenfalls ein gebräuchliches Lösungsmittel, erzeugt wird. Die Energiedichte beträgt dabei nach Chiyodas Angaben mit 7,55 MJ pro Kilogramm ungefähr ein Sechstel der von Schweröl.

Die Kunst besteht dabei nicht im chemischen Prinzip, sondern darin, die Methode zu einem kommerziell lebensfähigen Produkt zu verfeinern, das die Kunden wirtschaftlich überzeugt. Und so sieht der erste Lieferkreislauf aus: In dem südostasiatischen Sultanat Brunei, einer der wichtigsten Flüssiggaslieferanten Japans, wird der Wasserstoff in einem ersten Schritt aus Erdgas abgespalten und zu MCH weiterverarbeiten. (Natürlich ließe sich auch Wasserstoff verwenden, der mit erneuerbaren Energien durch Elektrolyse gewonnen wird. Aber der ist noch sehr teuer.)

Vom Sultanat geht es 5000 Kilometer per Tanker nach Japan, wo der Wasserstoff mit hoher Hitze abgespalten und genutzt wird. Das entstehende Toluol wird dann zur erneuten Wasserstoffbindung per Tanker wieder zurück nach Brunei verschifft. Allerdings reduziert diese Methode den Platzbedarf des Wasserstoffs etwas weniger stark als flüssiger Wasserstoff auf ein Fünfhundertstel. Ein Kubikmeter H2 kann damit in ungefähr zwei Litern MCH gebunden werden, erklärt Chiyoda. Zum Vergleich: Flüssigwasserstoff schrumpft bei guter Kühlung auf minus 162 Grad auf ein Sechshundertstel und auf ein Achthundertstel bei minus 250 Grad.

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Chiyoda hat seit Jahrzehnten an der Methode gearbeitet und dabei zwei Kandidaten verworfen, die mehr Wasserstoff binden konnten. Eine Verbindung ist Naphtalin, das mit Wasserstoff zu Decalin hydriert werden kann. Nur muss man das Naphtalin auf über 80 Grad erhitzen, damit es flüssig wird. Gleichzeitig liegt der Siedepunkt von Decalin bei fast 200 Grad. Benzol ist ein anderer Kandidat, der mehr Wasserstoff bindet. Das entstehende Cyclohexan ist allerdings nur ein Produkt für lauwarme Breiten. Der Gefrierpunkt liegt bei sieben, der Siedepunkt bei niedrigen 81 Grad. Toluol und MCH sind dagegen von den Tropen bis zur Antarktis problemloser zu verarbeiten. MCH gefriert erst bei minus 127 Grad und beginnt bei 101 Grad zu kochen.

Als Einsatzgebiete schweben Chiyoda weniger die Versorgung von Brennstoffzellen, sondern die Nutzung in Gasturbinen und Kraftwerken vor. Der Grund ist simpel: Bei der Dehydrierung bleiben kleine Mengen an Toluol im Wasserstoff zurück. Für den Einsatz in Brennstoffzellenautos müsste Chiyodas Wasserstoff im Gegensatz zu Flüssigwasserstoff noch einmal gereinigt werden. Aller Anfang ist allerdings klein. In der Machbarkeitsstudie wird das MCH nicht in einem großen Tanker, sondern lediglich in Tankcontainern transportiert. Denn die zwölfmonatige Demonstration ist nur auf 210 Tonnen Wasserstoff ausgelegt. Aber wenn beide Projekte laufen wird bald der Markt entscheiden können, welche Technik für welche Anwendungen am sinnvollsten ist.

(bsc)