Energiewende: Bundesregierung sieht vieles im Lot, Experten sind skeptisch
Das Bundeskabinett stellt sich in einem Kontrollbericht zur Energiewende ein gutes Zeugnis aus. Die Begleitkommission stellt höhere Ansprüche.
(Bild: Daniel AJ Sokolov)
"Die Energiewende kommt in vielen Handlungsfeldern deutlich voran und liegt insgesamt auf Erfolgskurs." Dieses Fazit zieht das die deutsche Bundesregierung in ihrem "8. Monitoring-Bericht zur Energiewende". Positiv sieht sie vor allem den steigenden Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromversorgung in Deutschland.
Ihr Anteil am Stromverbrauch lag laut Monitoring-Bericht 2019 bei 42 Prozent, 2020 bereits bei rund 46 Prozent. Das einschlägige Ziel sei damit "bereits deutlich übererfüllt". Der Bericht bezieht sich im Rahmen des 2011 gestarteten Kontrollprozesses zur "Energie der Zukunft" schwerpunktmäßig auf die Jahre 2018 und 2019, da die Analyse 2018 ausgefallen war. Die Treibhausgas-Emissionen wurden demnach 2019 um 5,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr und um 35,1 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 reduziert. Obgleich noch keine endgültigen Zahlen vorlägen, setze sich der positive Trend 2020 fort.
Videos by heise
"Die Stromerzeugung aus Kohle sinkt erneut deutlich und damit auch die energiebedingten CO2-Emissionen", schreibt die Bundesregierung. Das Klimaziel 2020, bei dem noch vor wenigen Jahren eine LĂĽcke von fĂĽnf bis acht Prozentpunkten prognostiziert worden war, "wird nun voraussichtlich mit einer Minderung der Treibhausgasemissionen von mehr als 40 Prozent gegenĂĽber 1990 sogar ĂĽbertroffen".
Energieverbrauch schon vor Corona stark reduziert
Der Energieverbrauch in Deutschland ist 2019 auf den niedrigsten Stand seit Anfang der 1970er Jahre gefallen. Trotz dieses Fortschritts bleibe es aber "eine Herausforderung, die ambitionierten Ziele bei Verbrauch und Effizienz so schnell wie möglich zu erreichen". Sorgenkind sei vor allem der Verkehrsbereich, wo der Energieverbrauch entgegen der Zielsetzung 2019 gegenüber dem Vorjahr und dem Referenzjahr 2005 angestiegen sei. Hier bedürfe es "erheblicher weiterer Anstrengungen" für eine rasche Trendumkehr.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Deutschlands Stromversorgung hält die Regierung "auch vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernenergie und der Kohleverstromung" für sicher. Die Energienachfrage sei "jederzeit gedeckt, sodass ein auch im internationalen Vergleich hohes Maß an Versorgungssicherheit gewährleistet ist".
Der Erfolgskurs der Energiewende gehe auch 2020 weiter, selbst unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie, etwa mit weniger Verkehr. Der verfolgte Ansatz habe zudem "hohes Potenzial", um etwa mit Beschäftigungseffekten "positive Wachstumsimpulse für die wirtschaftliche Entwicklung zu setzen". Es handle sich um eine Modernisierungsstrategie, "die umfangreiche Investitionen am Wirtschaftsstandort Deutschland auslöst" und so einen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie leiste.
Begleitkommission fordert strengere Ziele
Die den Monitorprozess begleitende Expertenkommission kommt in ihrer Stellungnahme auf über 300 Seiten vielfach zu anderen Einschätzungen. Sie kritisiert beispielsweise, dass die Zielsetzungen nicht vollständig aktuelle und zu erwartende Beschlüsse abbildeten.
Die Wissenschaftler verweisen dabei vor allem auf das von der EU-Kommission vorgeschlagene verschärfte Klimaschutzziel für 2030 auf Basis des europäischen Green Deal mit einer Reduktion der CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 statt lediglich 40 Prozent gegenüber 1990. Das Zieltableau für 2030 sollte entsprechend "rasch vollständig und konsistent entwickelt werden".
Die Experten unterstreichen zudem Risiken bei Leistbarkeit, Versorgungssicherheit und Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Regierung solle gegensteuern.
Pandemie reduziert Treibhausgase weiter
Beim Treibhausgas-Ausstoß vergibt die Kommission in ihrer eigenen Bewertung die Ampelfarbe "gelb". Bei der nötigen Zunahme der Endenergieproduktivität sieht sie "rot". Bei der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch und am Bruttostromverbrauch erachtet das Gremium die Zielerreichung als wahrscheinlich ("grün"). Auf "rot" steht die Ampel im Bereich des Anteils erneuerbarer Energien im Verkehr sowie bei der Reduktion des Primär- und des Endenergieverbrauchs.
Dass die Erreichbarkeit der 2020-Energiewendeziele der Regierung entgegen anders lautender Schätzungen erstmals "deutlich näher rückte", liegt laut den Experten am konjunkturellen Einbruch infolge der COVID-19-Lockdowns. Dadurch hätten sich Primärenergieverbrauch und Emissionen 2020 stark verringert. Laut vorläufigen Schätzungen ist der Ausstoß klimawirksamer Gase 2020 gegenüber 2019 um etwa zehn Prozent zurückgegangen.
(ds)