Überwachung: Bundespolizei verschickte 2020 über 100.000 stille SMS
Der Einsatz geheimer Pings hat sich bei der Bundespolizei 2020 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt, Funkzellenabfragen beim Zoll bleiben erstmals geheim.
Deutsche Strafverfolgungsbehörden überwachen Mobiltelefon-Nutzer erneut verstärkt mit verdeckten Mitteln. Allein die Bundespolizei hat im vorigen Jahr in 50 Ermittlungsverfahren 101.117 "stille SMS" verschickt, um Personen zu orten. Das sind mehr als doppelte so viele "Stealth Pings" als 2019, als der einstige Bundesgrenzschutz 48.000 entsprechende geheime Kurznachrichten aussandte. Dies ist einer heise online vorliegenden Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zu entnehmen.
Nutzung wieder auf Höhe von 2018
Die Bundespolizei setzt das umstrittene Instrument damit in etwa wieder genauso oft ein wie 2018. Die zwischenzeitliche Delle erklärt sich vermutlich durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser forderte im Februar 2018, dass Strafverfolger eine stille SMS nur mit richterlichem Beschluss versenden dürfen. Der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko konstatiert: "Die BGH-Entscheidung konnte die ausufernde Überwachung bei der Bundespolizei offenbar nur kurze Zeit eindämmen."
Auch beim Bundeskriminalamt (BKA) erfreut sich das Werkzeug wieder größerer Beliebtheit. Es hat voriges Jahr in 82 Verfahren 44.444 entsprechende heimliche Kurzmitteilungen verschickt, 2019 waren es 41.300. Wie viele Betroffene der Maßnahmen der Polizeibehörden des Bundes nachträglich darüber informiert wurden, ist der Regierung nicht bekannt: Dieser Schritt obliege den jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften.
Keine weiteren Zahlen zum Einsatz
Beim Zoll behandelt das federführende Bundesinnenministerium (BMI) die Zahlen zur stillen SMS seit 2012 als Verschlusssache. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verfährt das Ressort seit Anfang 2019 genauso. Zuvor hatte der Inlandsgeheimdienst Werte von bis zu 180.000 entsprechenden Abfragen pro Jahr erreicht. Das BMI weigert sich nun auch, Informationen über entsprechende BfV-Aktivitäten in "abstrahierter Form" zu veröffentlichen. Zu späteren Benachrichtigungen erfolge hier zudem "keine maßnahmenbezogene Erhebung". Angaben zum Bundesnachrichtendienst gelten ebenfalls als geheim.
"Stille SMS" gehen an die anvisierten Mobiltelefone, werden dort aber nicht angezeigt. Sie bleiben für die Empfänger unsichtbar. Ihr Gerät meldet sich aber bei der eingebuchten Funkzelle zurück, erzeugt so auswertbare Verbindungsdaten und verrät Ermittlern einen ungefähren Standort der Betroffenen.
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Beitrag zur Aufklärung von Straftaten unbekannt
Nicht mehr öffentlich verraten will die Regierung nun erstmals auch, wie viele Funkzellenabfragen die Zollfahnder durchführten. 2019 nutzten diese das Verfahren, bei dem Verbindungsdaten aller in eine bestimmte Funkzelle zu einem bestimmten Zeitpunkt eingeloggter Handy-Nutzer gespeichert und gerastert werden, in 44 Fällen. Hunko kritisiert diese erweiterte Heimlichtuerei "aufs Schärfste". Weil damit das parlamentarische Fragerecht ausgehöhlt werde, habe er beim BMI Beschwerde eingereicht. Handys seien generell zum Telefonieren da, "nicht um sie zunehmend als Ortungswanzen zu missbrauchen".
Die Bundespolizei fragte 2020 in 77 Fällen Providerdaten mithilfe von Funkzellenauswertungen ab. Im Vorjahr hatte sie davon 96-mal Gebrauch gemacht, um nachträglich alle Mobiltelefone in der Umgebung von Tatorten festzustellen. Das BKA gebrauchte das Instrument im vorigen Jahr in einem Fall, 2019 waren es drei Fälle gewesen. Der Generalbundesanwalt führte in vier Fällen insgesamt fünf Funkzellenauswertungen durch, wobei er sich der Amtshilfe von Landeskriminalämtern in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen bediente. Maßnahmen benennen, "die wesentlich zur Aufklärung der jeweiligen Straftat beigetragen haben", kann das BMI nicht.
IMSI-Catcher und "Internetaufklärung"
IMSI-Catcher brachte die Bundespolizei in 28, das BKA in vier Fällen in Stellung, um den Standort eines aktiv geschalteten Mobiltelefons und die Geräte- oder Kartennummer zu ermitteln. In Verfahren des Generalbundesanwalts wurden im ersten Halbjahr 2020 in 14 sowie im zweiten in 13 Fällen derlei Anlagen eingesetzt. IMSI-Catcher senden mit einem stärkeren Signal als Basisstationen der offiziellen Netzbetreiber, sodass sich Handys dort einwählen und überwacht werden können.
Das Werkzeug liefert dem BMI zufolge wesentliche Ausgangspunkte für weitere Ermittlungsmaßnahmen, durch die Sachverhalte inhaltlich aufgeklärt werden können. Die Bundesregierung habe 2020 auch eine Ausfuhrgenehmigung für einen IMSI-Catcher erteilt und zwar nach Ungarn. Über das belieferte Unternehmen könne man keine Angaben machen, um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Keine öffentliche Auskunft gibt die Exekutive darüber, wie viele solcher Abhöranlagen Bundesbehörden im Regierungsviertel aufgespürt haben.
Jenseits der Handy-Überwachung befassen sich mit der "Internetaufklärung" beim BfV "alle Fachabteilungen". Nähere Auskünfte zur Aufgabenverteilung und zu Personalstärken könnten zum Schutz der Arbeitsweise des Geheimdienstes nicht gegeben werden. Innerhalb des BKAs seien die Abteilungen Polizeilicher Staatsschutz und Islamistisch motivierter Terrorismus/Extremismus damit beschäftigt, Online-Inhalte koordiniert auszuwerten. Das Bundesverteidigungsministerium unternehme in den Abteilungen Strategie und Einsatz offene Recherchen (Open Source Intelligence) zu "Nachrichten, gemeldeten Vorgängen und Ereignissen".
(tiw)